Der Versailler Friedensvertrag

Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrags

Vor 85 Jahren, am 28. Juni 1919, wurde der Versailler Friedensvertrag unterzeichnet. Was dieser für die neu entstandene tschechoslowakische Republik bedeutete, erfahren Sie im folgenden Kapitel aus der tschechischen Geschichte.

Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrags
Am 28. Oktober 1918 haben tschechische und slowakische Politiker in Prag die Unabhängigkeit der Tschechoslowakei ausgerufen. Dieser Tag wird heute noch in Tschechien als Tag der Staatsgründung gefeiert. Doch der Staat, dessen Unabhängigkeit damals erklärt wurde, hatte keine Grenzen - sein zukünftiges Aussehen war noch völlig unklar. Über die Größe und die Grenzen der Tschechoslowakei sollten erst die Friedensverträge mit dem Deutschen Reich, mit Österreich und mit Ungarn endgültig entscheiden. Als am 18. Januar 1919 die Pariser Friedenskonferenz begann, waren die Vorstellungen der siegreichen Alliierten über das zukünftige Aussehen Mitteleuropas noch etwas verschwommen. Die tschechoslowakische Delegation dagegen hatte genaue Pläne in ihrem Reisegepäck. Die erste, wichtige Entscheidung für die Tschechen fiel am 28. Juni 1919 mit der Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrags. Dieser brachte nämlich unter anderem die Anerkennung der historischen böhmisch-deutschen Grenze.

Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs zerbrach die Habsburger Monarchie, neue Staaten entstanden auf dem Gebiet des ehemaligen Reiches, deren Grenzen festgelegt werden mussten. Die tschechoslowakische Delegation forderte im Westen ihres Landes die Anerkennung der historischen Grenzen des Königreichs Böhmen. Zu dem historischen Gebiet gehörten allerdings auch die überwiegend von Deutschen bewohnten Randgebiete. Diese rund drei Millionen Deutschen, die bisher, wie die Tschechen auch, Bürger der Habsburger Monarchie gewesen waren, hatten im Herbst 1918 unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie nicht zu dem neuen Staat der Tschechen und Slowaken gehören wollen, sondern weiterhin zu Österreich oder aber zum Deutschen Reich. Anfang November 1918 hatten die Deutschen deshalb die Provinzen Deutschböhmen, Sudetenland, Deutschsüdmähren und Böhmerwaldgau ausgerufen. Die Forderung nach einem Anschluss dieser selbsternannten Provinzen an Deutschland oder Österreich war allerdings recht unrealistisch. Die beiden Staaten gehörten zu den Verlierern des Krieges und konnten nicht mit dem Gewinn neuer Gebiete rechnen, auch wenn diese mehrheitlich von Deutschen bewohnt wurden. Die Tschechen warteten deshalb nicht lange mit ihrer Reaktion. Bis Ende des Jahres 1918 hatten tschechische Truppen alle Gebiete, auf die die Tschechoslowakei im Westen Anspruch erhob, besetzt.

Versailler Friedensvertrag
Doch die Deutschen im Randgebiet gaben vorerst ihre Hoffnungen nicht auf. Am 4. März 1919 kam in Wien zum ersten Mal das neu gewählte Parlament zusammen - ohne deutsche Vertreter aus den Böhmischen Ländern, denn diese hatten an den Wahlen nicht teilnehmen können. Aus Protest dagegen fanden an jenem 4. März in zahlreichen deutschen Städten Böhmens und Mährens Demonstrationen für den Anschluss der deutschen Gebiete an Österreich statt. In einigen Städten gingen tschechoslowakische Truppen gegen die Demonstrierenden vor - 54 Tote waren die Folge der bis in die 30er Jahre schwerwiegendsten Zusammenstöße von Deutschen und Tschechen.

Dreieinhalb Monate später wurde der Versailler Friedensvertrag unterzeichnet. Dieser bestätigte die Forderungen der Tschechen und brachte die internationale Anerkennung der Westgrenze des neuen Staates. Die in den Grenzgebieten lebenden Deutschen wurden damit offiziell Bürger der Tschechoslowakei. Die meisten von ihnen begannen nun, sich im neuen Staat einzurichten. Bereits Ende August 1919 entstand mit der deutschen sozialdemokratischen Partei die erste deutsche Partei in der Tschechoslowakei, der bald weitere folgen sollten.

Im Versailler Friedensvertrag wurde der Tschechoslowakei außerdem das so genannten Hultschiner Ländchen zugesprochen, ein kleiner Landstrich mit 37 Dörfern und rund 48.000 überwiegend tschechischen Einwohnern an der schlesisch-mährischen Grenze. Vor dem ersten Weltkrieg hatte das Hultschiner Ländchen zum Deutschen Reich gehört.

Erste Weltkrieg
Mit der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Versailles vor 85 Jahren hatten die Tschechen und Slowaken ihren ersten Erfolg gefeiert. Der zweite kam zweieinhalb Monate später, als am 10. September 1919 der Friedensvertrag von St.Germain mit Österreich unterzeichnet wurde. Dieser brachte die endgültige internationale Anerkennung der Tschechoslowakei.

Im Friedensvertrag mit Ungarn schließlich, der am 4. Juni 1920 in Trianon unterzeichnet wurde, wurde endgültig die Abtretung der Slowakei und der Karpatenukraine an die Tschechoslowakei bestätigt, zudem wurde die neue Grenze zwischen Ungarn und der Slowakei festgelegt. Dies war der letzte, große Erfolg der Tschechen und Slowaken. Denn so natürlich uns heute der Gedanke eines tschechoslowakischen Staates erscheinen mag, damals war er vollkommen neu. Vor Beginn des Ersten Weltkriegs hatten weder Tschechen noch Slowaken auch nur im Geringsten daran gedacht, einen gemeinsamen Staat bilden zu können. Nie zuvor in der Geschichte hatten die beiden Völker einen gemeinsamen Staat gebildet. Während die Tschechen Jahrhunderte lang zur Habsburger Monarchie gehört hatten, war das Gebiet der heutigen Slowakei Bestandteil Ungarns gewesen. Während in den Böhmischen Ländern Deutsch die Amtssprache war, war diese in der Slowakei Ungarisch.

Zudem sollte im Osten die Karpatenukraine zu der neu entstandenen Tschechoslowakei kommen, die vor dem Ersten Weltkrieg ebenfalls zur Habsburger Monarchie gehört hatte. Der erste tschechoslowakische Präsident Tomas Garruige Masaryk hatte im November 1918 mit ihren Vertretern im Exil in den USA ein entsprechendes Abkommen unterzeichnet. Für einen Anschluss an die Tschechoslowakei hatte sich im Mai 1919 die Mehrheit der Nationalräte in der Karpatenurkaine ausgesprochen. Doch Ungarn erhob ebenfalls Anspruch auf das Gebiet. Im August 1919 besetzten daraufhin tschechoslowakische Truppen das Gebiet, der Ausnahmezustand wurde erst 1922 aufgehoben.

In den Friedensverträgen wurden so gut wie alle Forderungen der Tschechen und Slowaken erfüllt, doch die Ziehung der neuen Grenzen erfolgte nicht ohne Konflikte und einige der Entscheidungen der Pariser Friedenskonferenz bargen für die Zukunft einigen Zündstoff in sich. Am meisten belastete wohl das deutsch-tschechische Verhältnis die Tschechoslowakei, doch auch die Beziehungen zu den neuen Nachbarstaaten Polen und Ungarn hatten keinen guten Start.

Am 23. Januar 1919 begann die später als siebentägiger Krieg bezeichnete militärische Auseinandersetzung zwischen Polen und der Tschechoslowakei. Den Streitapfel stellte das Kohlenrevier im ehemaligen Herzogtum Teschen dar, das beide Staaten für sich beanspruchten. Der Teschener Nationalrat hatte sich bereits im Oktober 1918 für einen Anschluss an Polen ausgesprochen. Im Januar 1919 bereiteten die Polen die ersten Wahlen zum Sejm vor - und dieses auch in Teschen. Die Tschechen wiederum wollten sich nicht vor vollendete Tatsache gestellt sehen und marschierten am 23. Januar 1919 kurzerhand in Teschen ein. Während der siebentägigen kriegerischen Auseinandersetzung fielen auf beiden Seiten einige Dutzend Soldaten.

Zur Lösung des Konflikts wurde der Zehnerrat der Friedenskonferenz um Hilfe gebeten. Dieser beschloss, das Gebiet bis zur Durchführung einer Volksabstimmung zunächst einer internationalen Kommission zu unterstellen. Zu einer Volksabstimmung kam es nie. Im Juli 1920 wurde das ehemalige Herzogtum Teschen entlang des Flusses Olse geteilt. Den größere Teil mit den Kohlegruben erhielten die Tschechen, den kleineren die Polen. Die Stadt Tesin -Teschen wurde damals ebenfalls geteilt - und ist es bis heute noch.

Der damalige tschechisch-polnische Konflikt wirkte sich negativ auf die zukünftigen Beziehungen der Nachbarstaaten aus. Als sich nach dem Münchner Abkommen vom September 1938 den Polen die Möglichkeit bot, das tschechische Gebiet von Teschen zu besetzen, zögerten sie nicht lange. Am 2. Oktober 1938, zwei Tage nach der Unterzeichnung des Abkommens, marschierten polnische Truppen in den tschechischen Teil Teschens ein. Dieses blieb bis September 1939 Bestandteil Polens. Nach dem Ausbruch des zweiten Weltkriegs wurde es dann von der Wehrmacht besetzt.

Weiteren Konfliktstoff bildete die Grenze zu Ungarn. Auch hier verlief die Grenzziehung nicht ohne militärische Auseinandersetzungen, da Ungarn nicht ohne weiteres auf seine Provinz Oberungarn, die heutige Slowakei, verzichten wollte. Wiederholte Male überschritten sowohl ungarische als auch tschechoslowakische Truppen die von den Alliierten festgelegte Demarkationslinie. Im Frühjahr 1919 hatten ungarische Truppen rund zwei Drittel des von der Tschechoslowakei beanspruchten Gebiets der Slowakei besetzt. Prag bat die Alliierten um Hilfe und wurde erhört - nach ihrem Eingreifen zogen sich die Ungarn hinter die Donau, die neue Grenze, zurück. Erst im Juli 1919 wurde die Slowakei formell in die Tschechoslowakei eingegliedert. Im Friedensvertrag von Trianon wurde im Juni 1920 die Grenze endgültig festgelegt. Doch die Grenzziehung erfolgte nicht endlang nationaler Grenzen, rund 750 000 Ungarn wurden Bürger der Tschechoslowakei. Ebenso wie die Polen warteten auch die Ungarn auf eine Gelegenheit, die Grenzen zu korrigieren, auch ihnen bot sich diese im September 1938. Nach dem Münchner Abkommen marschierten Ungarn in die Südslowakei ein und besetzten diese.

Nach der Unterzeichnung der Pariser Friedensverträge war die Tschechoslowakei international anerkannt - ein Staat, dessen Grenzen eine Gesamtlänge von über 4.000 km erreichten, ein Staat, der von West nach Ost über 900km lang war, ein Staat, in dem 1920 neben 6,8 Millionen Tschechen und 1,9 Millionen Slowaken auch 3,1 Millionen Deutsche, 750.000 Ungarn, 460.000 Ruthenen in der Karpatenukraine und 75.000 Polen lebten.