Es lebe die böhmische Küche!

Olmützer Quarkerln

Mit dem Beitritt zur Europäischen Union hat sich für die Tschechische Republik einiges geändert. So auch auf dem Gebiet der Kulinarik. Und da bleibt manches noch im Unklaren. Dazu das folgende Feuilleton von Alexander Schneller.

Svícková
Jede Nation hat eine eigene Esskultur. So gibt es auch die tschechische oder böhmische Küche. Und böhmische Köchinnen haben überall auf der Welt, insbesondere auch in der Schweiz und in Österreich, im vorletzten und letzten Jahrhundert gekocht und dabei Furore gemacht. Und zu Recht sind die Tschechinnen und Tschechen stolz auf ihre Küche. Auf den Lendenbraten, Svícková, auf Rostená, den Rostbraten, aufs tschechische Gulasch, aber auch auf andere Kleinigkeiten, auf die traditionellen "hotovky", die Tellergerichte, oder auf Vorspeisen wie "Utopenci", hübsch auf Deutsch übersetzt mit "Ertrunkene Würstchen", den überbackenen Niva-Käse oder gar die "Olomoucké tvaruzky", die sogenannten Olmützer Quarkerln, einen äusserst streng riechenden, aber vorzüglich schmeckenden Käse. Soweit so gut.

Olomoucké tvaruzky
Im Zusammenhang mit dem inzwischen vollzogenen Beitritt zur Europäischen Union kursieren nun aber doch einige Behauptungen und Befürchtungen. Denn die Damen und Herren in Brüssel haben ein scharfes Auge auf die Essgewohnheiten in den Ländern der EU. Allerdings betrifft das vor allem hygienische Anforderungen. Im Prinzip ja nicht schlecht. So müssen zum Beispiel Backwaren, etwa die Powideltaschen (povidlové sátecky), in Plastikfolie verpackt verkauft werden. Das mag zwar hygienisch sein, führt aber auch dazu, dass sie meist nur noch weich und teigig verzehrt werden können, während sie früher luftig waren und erheblich besser schmeckten. Aber was muss man nicht alles für die "food correctness", die Essenskorrektheit, tun oder lassen. So sollen vorproduzierte Speisen, wie eben etwa das Gulasch, nicht länger als drei Stunden nach der Herstellung serviert werden dürfen. Wer so etwas allen Ernstes fordert, hat a) keinerlei Ahnung von der Zubereitung der betroffenen Speisen und b) von der Tatsache, dass gerade zum Beispiel ein Gulasch immer besser schmeckt, je länger es im eigenen Saft schmort. Und wenn es dann so richtig gut schmeckt, dann ist es mir zum Beispiel piepegal, ob und wieviele Bakterien dabei sind, die nach dem Erhitzen ja eh unschädlich gemacht werden.

Im Übrigen gilt das auch für andere Küchen, für die italienischen Pastasaucen ebenso wie für griechische Vorspeisen oder französische Eintöpfe. Wie auch immer: Nichts wird je so heiss gegessen, wies gekocht wird. Deshalb kann man in Italien, Frankreich oder Griechenland, also in der "alten" EU, auch heute weiterhin alles geniessen, was die Küchen dieser Länder so begehrenswert macht. Und so soll es auch in Tschechien sein. Auch weiterhin geniessen wir unser Gulasch, den Lendenbraten, den sie in Österreich gar Lungenbraten nennen, den Rostbraten, die "Ertrunkenen Würstchen".

Aber natürlich beobachtet man von Brüssel aus gerade die neuen Länder besonders genau. Und hier liegt vielleicht doch ein nicht kleines Problem. Es kann schon sein, dass im Gefolge dieser neuen Auflagen so manch sympathisches Quartier-Geschäft um die Ecke, so manch gemütliche Kneipe und sogar viele von den traditionellen "Obcerstvení", den Verpflegungsbuden, darunter zu leiden haben werden und im schlimmsten Fall gar verschwinden, weil sie es finanziell nicht verkraften. Das allerdings wäre dann wirklich ein Verlust. Nicht nur ein kulinarischer, sondern auch ein kultureller. Deshalb gilt: Es lebe die böhmische Küche. Und dann erst Brüssel.