Prager Burg präsentiert die Kunstverschwörer Eva und Jan Svankmajer

'Essen' von Eva und Jan Svankmajer

Eva und Jan Svankmajer leben seit 44 Jahren nicht nur als Eheleute zusammen. Sie ergänzen sich auch als führende Vertreter des tschechischen Surrealismus in ihrem künstlerischen Schaffen gegenseitig. Die bisherige Bilanz ihres Werkes präsentiert derzeit eine umfangreiche Ausstellung auf der Prager Burg. Mehr dazu berichtet in unserer heutigen Sondersendung Lucie Drahonovska.

Eva und Jan Svankmajer  (Foto: CTK)
Man schrieb das Jahr 2002: Das originelle Künstlerehepaar Eva und Jan Svankmajer bekommt für ihren Horrorfilm "Otesanek" - auf Deutsch etwa "Der Allesfresser" - den renommiertesten Preis der tschechischen Kinematografie, "den goldenen Löwen". Es war nicht nur für die Filmemacher selbst eine große Überraschung. Denn die Filme eines der originellsten tschechischen Regisseurs, Szenografen und bildenden Künstlers Jan Svankmajer kann man keinesfalls als "einfache Kost" bezeichnen. Dabei kann man schon der Inhalt Svankmajers surrealistischen Visionen, die meistens magisch, zynisch und provokativ sind, kaum beschreiben. Der Künstler selbst hütet sich davor, den Sinn seiner Filme in Worte zu fassen. Stattdessen soll die Phantasie des Zuschauers angestiftet und Svankmajers Werk wie ein Kreuzworträtsel gelöst werden.

In diesem Licht ist auch die große gemeinsame Ausstellung von Jan und Eva Svankmajer zu sehen, die bis zum 19. September in der Reithalle der Prager Burg präsentiert wird. Nicht zufällig haben sich die Svankmajers bei ihrer umfassenden Retrospektive für den Titel "Jidlo", auf Deutsch "Das Essen", entschieden. Auch wenn auf den Besucher der Ausstellung keine Hochgenüsse der tschechischen Gastronomie warten, gehört gerade das Thema "Essen" zu den stärksten Motiven der Svankmajers. Näheres zum Titel der Ausstellung erklärt Jan Svankmajer wie folgt:

"Das Essen stellt einerseits eine der primären Tätigkeiten des Menschen dar, die er betreiben muss, um nicht zu sterben. Obwohl, man kann sterben, auch wenn man isst. Das Essen stellt für mich persönlich ein Kindheitstrauma dar, da ich als Kind nicht essen wollte und dazu stets gezwungen wurde. Und das Kindheitstrauma, wie wir von Freud wissen, verfolgt den Menschen sein Leben lang. Andererseits stellt das Essen ein wunderbares Symbol unserer Zivilisation dar, die alles - ganze Ethnien, die Natur und Kultur schluckt, sie dann verdaut und zu Geld macht."

Die Ausstellung von Eva und Jan Svankmajer ist sehr umfangreich - sie schließt 600 Exemplare des Künstlerehepaares ein, wobei die Objekte Jan Svankmajers den meisten Raum bei der Ausstellung einnehmen. Im Unterschied zu anderen retrospektiven Ausstellungen im strengen Sinne des Wortes ist diese Kunstschau keinesfalls chronologisch unterteilt. Vielmehr geht es dabei um die Aufteilung des gemeinsamen Werkes, das wie ein großes Lebenslabyrinth anzusehen ist, in einzelne Schaffensphasen der beiden Künstler. Zu diesem inspirationsvollen Weg durch das Leben und die Kunst äußert sich Jan Svankmajer wie folgt:

"Gerade deshalb, weil wir einige zwingende Themen haben, zu denen wir nach einigen Jahren immer wieder zurückkehren, haben wir uns für eine Gliederung in einzelne Themenbereiche entschieden. Auf diese Weise finden sich nebeneinander Bilder, zwischen denen ein großer Zeitabstand liegt. Nur was die Dokumentation zu unserem frühen Werk vom Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre betrifft, dort gehen wir chronologisch vor. Denn wir fassen es als eine Vor-Phase dessen auf, was wir später gemacht haben."

Auf diese Weise kann die Art der Präsentation eine Verwandtschaft mit einer manieristischen Kunstkammer des Kaisers Rudolf II. keinesfalls leugnen. Und so darf es in dieser Raritätensammlung nicht an wundersamen Naturgegenständen, "wirklichen Kunstschätzen" sowie regelrechten Kitschobjekten keinesfalls fehlen. Sie sind in den einzelnen Bereichen wie Träume, Bestiarium, Rätsel, Alchemie, Fetisch, Erotik oder Marionetten vertreten.

Die umfangreiche Retrospektive eröffnet Jan Svankmajers Naturkabinett, in dem der Künstler aus unterschiedlichsten Körperteilen und Naturgegenständen bizarre Tiergestalten kreierte. Als Ergebnis seiner unendlichen Phantasie sind fremdartige Ungeheuer aus Muscheln, Eierschalen, Steinen, Schädeln, Knochen und Hörnern entstanden. Auch in einem weiteren bemerkenswerten Teil der Ausstellung spielt die Natur eine der wichtigsten Rollen: In seinem so genannten "Svank-mayers Bilderlexikon", einem Pseudo-Lexikon der phantastischen Fauna. Und wie kann man eigentlich zu einem solchen Einfall kommen?

"Es war eine Idee von 1972 ein phantastisches, alternatives Bilderlexikon zu 'Meyers' oder 'Brockhaus' zu realisieren. Ich kaufte damals alte Enzyklopädien im Antiquariat ein, riss Bilder heraus und stellte sie zu Collagen zusammen. Daraus entstand eine alternative Welt, die den Werken französischer Enzyklopädisten konkurrieren sollte. Doch dieser Gedanke hat sich für mich allmählich als allzu groß herausgestellt - denn ich müsste mich ja damit mein ganzes Leben lang beschäftigen. Außerdem war es zu einer Zeit, die gegenüber solchen Experimenten nicht gerade offen war. Die hier ausgestellten 10 Grafikblätter stellen daher einen Torso dieses Projekts dar."

Nach Eva und Jans Experimenten rund um den Tastsinn, die sie als die so genannte "taktile Imagination" anhand von taktilen Gedichten sowie taktilen Marionetten präsentieren, folgt der Rätsel-Zyklus von Eva Svankmajerova. Es geht dabei um Wortbilder, die den Betrachter mit ihren Wortspielen zu unterschiedlichsten Sinn-Interpretationen verführen.

Das Ausstellungslabyrinth von Eva und Jan Svankmajer schließen in der Reithalle der Prager Burg Marionetten ab. Und so kann hier der Besucher viele bekannte Helden aus Svankmajers Zeichentrickfilmen begegnen, die hierzulande sowie im Ausland große Erfolge gefeiert haben: darunter natürlich "Otesanek"/"Der Allesfresser", "Neco z Alenky"/"Etwas aus Alice in Wunderland", "Lekce Faust"/"Lektion Faust" sowie "Jidlo"/"Das Essen" oder "Spiklenci slasti"/"Die Verschwörer der Wonne". Und welche Rolle des Theaters misst Svankmajer seinem Werk bei?

"Das Theater, und speziell das Marionettentheater, ist tief in meiner Kindheit verwurzelt. Damals bekam ich von meinem Vater ein kleines Marionettentheater. Und ich und Eva sind auch vom Beruf her Puppenmacher. In meiner Arbeit mache ich zwischen einem Zeichentrickfilm oder einem Spielfilm jedoch keinen Unterschied, da ich den Film als ein Ausdrucksmittel auffasse, der gleichwertig mit meinen Objekten, Frottage, oder Collage ist. Denn der Prozess ist bei einem Film und einem anderen Schaffensprozess derselbe, genauso wie die Poesie immer nur dieselbe ist. Demgegenüber sind jedoch die Mittel austauschbar, mit denen man sich der Poesie bemächtigt."

Davon, dass Jan und Eva Svankmajer irgendwann untätig sein könnten, kann keine Rede sein. Gemeinsam möchten sie in ihrem Haus im Böhmerwald ihre umfangreiche Werksammlung unterbringen. Außerdem haben sie auch einen weiteren Film in dem Sinn - "Sileni"/"Die Wahnsinnigen". Es wird sich auch dieses Mal um einen Film handeln, in dem Jan und Eva Svankmajer ihre Zuschauer mit großer Sicherheit aufs Neue überraschen werden.

Die Ausstellung "Jidlo"/"Das Essen" ist in der Reithalle der Prager Burg täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Zur Ausstellung wurde ein gleichnamiger Katalog herausgegeben.

Weitere Informationen zur Ausstellung von Jan und Eva Svankmajer findet man auf folgenden Internetseiten: www.hrad.cz