Der legendäre Animationsfilmer Jan Švankmajer überlebt sein Leben

Jan Švankmajer (Foto: www.kviff.com)

Der tschechische Künstler und Filmemacher Jan Švankmajer ist eine Legende des internationalen Kinos. Sein Name ist aber meist nur ausgewiesenen Cineasten und Liebhabern des Animationsfilmes ein Begriff. Das liegt vielleicht auch daran, dass Švankmajers Filme thematisch und visuell oft sperrig sind, keine leichte Kost eben. Dennoch hat der mittlerweile 76-jährige Altmeister zahlreiche weltbekannte Filmregisseure wie Tim Burton, Terry Gilliam und weitere maßgeblich beeinflusst. In der kommenden Woche steht der tschechische Trickfilm im Mittelpunkt des Filmfestivals Dresden. Besonders stolz sind die Veranstalter darauf, dass sie auch Švankmajer für das Festival gewinnen konnten. Dort wird auch sein jüngster Strefen zu sehen sein, der im vergangenen Jahr bereits in die tschechischen Kinos kam.

Eigentlich begann die Karriere Jan Švankmajers mit einem Weihnachtsgeschenk. Von seinen Eltern bekam er als Kind ein Puppentheater, etwas respektlos könnte man auch sagen: ein Kasperletheater. In den 50er Jahren studierte Švankmajer dann an der Prager Hochschule für darstellende Künste (AMU) Puppentheaterregie. Sein erster animierter Kurzfilm entstand im Jahre 1964 - natürlich mit Puppen. Von dem Manierismus seiner frühen Arbeiten wandte sich Švankmajer bald dem Surrealismus zu. Seine meist animierten Filme zeichnen sich durch den raffinierten Einsatz der heute kaum noch verwendeten Stop-Motion-Technik aus, für die Švankmajer weltbekannt wurde.



Švankmajer erhielt auf dem Filmfestival in Segovia einen Preis für sein Lebenswerk
Viele der Werke landeten bis 1989 im Tresor. Seinen Unterhalt musste sich Švankmajer lange Zeit mit der Animation kleinerer Passagen in Märchenfilmen oder Kinderserien verdienen. Auch diese kurzen Szenen sind immer unverkennbar „Švankmajer“. Er wurde mit zahlreichen nationalen wie internationalen Preisen ausgezeichnet. Erst vor knapp einer Woche erhielt er auf dem Filmfestival im spanischen Segovia einen Preis für sein Lebenswerk. Dabei steht Švankmajer selbst solchen Ehrungen eher kritisch gegenüber, zumindest behauptet er das:

„Ein Film oder eine Ausstellung wird nicht besser, nur weil jemand darüber schreibt, oder weil jemand dafür einen Preis vergibt. Das steht außerhalb. Es ist nur ein Abguss dessen, was ich gemacht habe. Ich sage immer, man bestraft mich dafür, dass ich etwas geschaffen habe.“

Tresor-Film „Wohnung“ von Jan Švankmajer
Die künstlerische Unabhängigkeit ist Švankmajer wichtig. Kritik lässt er an sich abprallen:

„Wenn man einen Film fertig gestellt hat, dann kann man ohnehin nichts mehr daran ändern. Wenn dazu bestimmte Kritiken und Reaktionen kommen, dann sind das tote Reaktionen. Außerdem bin ich ziemlich starrköpfig und würde mich sowieso nicht beraten lassen. Wenn ich eine Sache fertig gemacht habe, dann streiche ich sie aus meinem Leben - und sie lebt danach ihr eigenes Leben.“

Diese Eigenwilligkeit ist auch der Grund dafür, dass Jan Švankmajer von 1972 bis 1979 vom kommunistischen Regime in der damaligen Tschechoslowakei ein Drehverbot erhielt. Er hatte sich geweigert, Kompromisse bei der Postproduktion eines Filmes zu machen. Und was den Machthabern erst recht nicht genehm sein konnte: Die alptraumhaften, mit schwarzem Humor durchsetzten Filme verbildlichten eine Entfremdung von der sozialistischen Wirklichkeit. Für Švankmajer, der seinem Stil nach dem Fall des Sozialismus treu geblieben ist, ist dies aber ein Abbild des menschlichen Lebens:

Film „Alice“ bewegt sich zwischen Horror und Märchen
„Alle meine Filme bewegen sich auf dem schmalen Grat zwischen Horror und Komödie oder dem schwarzen Humor. Und auf diesem Grat bewegt sich auch unser ganzes Leben.“

Ein Beispiel ist das Motiv des Essens, das spielt in nahezu allen seinen Filmen eine bedeutende Rolle - sei es der Zwang zu essen, sei es das Sich-Überfressen, sei es der Stoffwechsel. Oft sind es unappetitliche, drastische Bilder, die Švankmajer seinem Publikum zumutet. Für ihn selbst auch ein Ventil für den nicht verarbeiteten Horror seiner eigenen Biographie. Er will darin aber auch eine Gesellschaftskritik verstanden wissen:

Film „Les conspirateurs du plaisir“
„Ich war so ein Kind, das nicht gegessen hat. Ich war extrem dürr. Zeitweise musste man mich im Rollstuhl schieben, weil ich nicht mehr in der Lage war zu gehen. Man hat mich deswegen nicht einschulen wollen. Es gab einfach Probleme damit. Meine Eltern haben mich in Freizeitlager geschickt, wo sie Essen in uns reingestopft haben. Ich habe also damit so meine offenen Rechnungen. Auf der anderen Seite ist Essen auch ein Symbol unserer Zivilisation, die bacchantisch ist, die einfach alles frisst, was sie kriegen kann. Und dann verdaut sie das und tauscht es ein gegen Geld. Das ist eine aggressive, alles fressende Zivilisation.“

Film „Otesánek“
Jan Švankmajer ist belesen. Seine Werke haben fast immer ein philosophisches Fundament, oder sie setzen sich mit politischen, gesellschaftlichen oder kulturellen Phänomenen auseinander. Als surrealistischer Künstler gilt Jan Švankmajer auch, weil bei ihm das Unterbewusstsein und der Traum eine große Rolle spielen:

„Schon lange zurückliegende Zivilisationen hatten spezielle Traumdeuter. Und die Menschen haben sich nach ihnen gerichtet. Der Traum hat immer eine bedeutende Rolle gespielt in der menschlichen Psyche, im menschlichen Leben. In der modernen Zeit aber hat der Traum keinen Wert mehr, weil man ihn nicht zu Geld machen kann. Die Moderne hat den Traum irgendwo an die Peripherie der menschlichen Psyche gedrängt, und das halte ich für eine absolute Verarmung des menschlichen Lebens.“

Sein neuester Film „Das eigene Leben überleben“
In Švankmajers neuestem Film „Přežít svůj život“ (zu Deutsch etwa: Sein Leben überleben) spielt der Traum die treibende Kraft der Handlung. Hauptfigur ist ein alternder Mann, Evžen, der im Traum eine schöne unbekannte junge Frau trifft, die ihn aus der Lethargie seiner tristen Wirklichkeit reißt. Die Träume kehren immer wieder und vermischen sich mit der Realität. Obwohl die Träume nicht immer schön sind, will Evžen immer wieder dorthin zurück. Er kann nicht mehr unterscheiden zwischen Traum und Wirklichkeit. Am Ende muss er eine Wahl zwischen beiden treffen. Er wählt den Traum. „Přežít svůj život“ ist ironisch durchsetzt mit Reflexionen über Siegmund Freud und Carl Josef Jung. Eine Psychoanalytikerin, die Evžen aufsucht, dichtet ihm einen Ödipuskomplex an und greift so indirekt in die Traumhandlung ein. Wie Švankmajer genüsslich psychoanalytische Klischees zerpflückt, ist durchaus witzig, gleichzeitig aber nimmt er seine Charaktere und ihre Ängste ernst.

Film „Das eigene Leben überleben“
„Přežít svůj život“ zeichnet sich aber nicht nur durch den typischen Stil Švankmajers aus, sondern auch durch seine ungewöhnliche visuelle Form. Er ist weder ein reiner Animationsfilm noch ein klassischer Spielfilm. Auf herkömmliche Weise gedreht sind nur Details, wie etwa die Münder, die Augen oder die Füße der Schauspieler. Der Rest besteht aus animierten Fotografien. Grund seien keine künstlerischen Erwägungen gewesen, behauptet Švankmajer:

Film „Das eigene Leben überleben“
„Für diese Art Filme ist es immer schwieriger Geld aufzutreiben. Und diesmal hat sich das alles noch schwieriger dargestellt als sonst. Deshalb habe ich einfach nach einer Technik gesucht, die eine billigere Produktion ermöglicht. Eigentlich ist es dieselbe Technik, nach der auch die Sandmännchenfilme für Kinder hergestellt werden, ein Papierfilm unter einer senkrechten Kamera, Köpfe, Arme, Beine extra, und die bewegt man einfach. Aber wir mussten tausende bis zehntausende Fotos von den Schauspielern aus allen Perspektiven machen. Das Drehbuch war geschrieben wie für einen normalen Spielfilm. Es gibt darin also sehr viele Dialoge. Wir mussten deshalb auch das Sprechen fotografieren, das ganze Alphabet, einzelne Laute, die dann zusammengesetzt wurden. Die Fotografien sprechen.“

Film „Das eigene Leben überleben“
Die Schauspieler kamen also lediglich zu ausgedehnten Fotoshootings. Die kurzen Spielfilmpassagen nahmen sie allein auf. Ihr einziger Partner war das Kameraobjektiv. Ihre Kollegen haben sie also am Set überhaupt nicht getroffen. Diese Art zu drehen war für die Darsteller mehr als ungewohnt. Beschwert hat sich keiner. Dafür ist auch die Ehre zu groß, in einem Švankmajer-Film mitzuwirken.


Dieser Beitrag wurde am 28. November 2010 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.