Rechtschreibung - ein deutsches Problem
In der heissen Sommerzeit fliessen die Nachrichten spärlicher. Und so kommen immer wieder Themen hoch, für die man sich sonst eher weniger interessiert. Zu einem solchen Thema unser heutiges Feuilleton von Alexander Schneller.
Typisch deutsch an dieser Sache ist, dass man jetzt Angst hat vor der Tatsache, dass viele verschiedene Varianten nebeneinander existieren. Für mich ist das allerdings kein Problem, schon gar kein Chaos oder Wildwuchs, wie die Reformbefürworter finden. Nein, für mich ist das positiv, denn es bedeutet in erster Linie, dass man mehr Freiraum hat. Dass jede Schreiberin und jeder Schreiber in einem bestimmten Rahmen selber entscheiden kann, ob er zum Beispiel das Wort Saxophon mit ph oder f schreiben will, ob er vor einem erweiterten Infinitivsatz ein Komma setzen will oder nicht. Ich will aber auch die Freiheit haben, die erwähnten groben Dummheiten der Reform zu umgehen. Ich will also weiterhin "Stengel" mit e und nicht mit ä schreiben, ebenso "aufwendig" mit e oder "selbständig", schon aus buchstabenökonomischen und auch ästhetischen Gründen, nur mit einem st. Wichtig ist doch in jedem Fall, dass der Leser das Geschriebene versteht. Und das hängt von der Rechtschreibung nur bedingt ab. Grammatikalische und stilistische Sicherheit wären da eher gefragt. Aber um die kümmert sich ja eh schon längst niemand mehr.
"Rückkehr zur alten Rechtschreibung!" fordern die einen, "Durchsetzung der Reform, koste es, was es wolle!", darauf beharren die andern. Aber eines muss sein, da sind sich alle einig: Es muss vereinheitlicht sein. Das eben, liebe Hörerinnen und Hörer, ist typisch deutsch. Wie wenn die Schweizer zum Beispiel das sogenannte scharfe s nicht schon längst abgeschafft hätten und deshalb nicht dümmer dastehen als andere. Lassen wir der lebendigen deutschen Sprache doch wenigstens den orthografischen Freiraum. Und weder ein abgehobener Kommisionsentscheid irgendeines Gremiums noch gar ein Volksentscheid darüber wird einem sich langsam, aber stetig entwickelnden Organismus wie der deutschen Sprache gerecht.
An dieser Stelle muss von Prag aus gesagt sein, dass der geniale Magister Jan Hus schon im 15. Jahrhundert für die tschechische Sprache mit seiner Schreibreform ein für alle Mal das Problem gelöst hat, das die Deutschsprachigen derzeit wieder so sehr in Rage bringt. Mit der Einführung diakritischer Zeichen, also dem Hácek auf Konsonanten und dem Längezeichen für Vokale, sind alle Schreib- und Ausspracheprobleme mit einem Schlag gelöst. Und so haben die Tschechinnen und Tschechen den Kopf frei für viel wichtigere Dinge. Und das wünsche ich mir für die deutsche Sprachgemeinschaft auch.