Milan Horácek: Deutscher Europaabgeordneter mit tschechischer Herkunft
Am Sonntag konnten Sie in unserer Sendereihe "Schauplatz" ein Portrait der tschechischen Grünen hören. Sie ist mit Abstand die stärkste Partei unter all jenen, die im Juni den Einzug ins Europaparlament nicht geschafft haben. Dennoch gibt es einen tschechischen Abgeordneten bei den europäischen Grünen. Oder zumindest einen mit tschechischen Wurzeln: Milan Horácek. Der ehemalige Emigrant hatte für die deutschen Grünen kandidiert, für die er vor über zwanzig Jahren bereits einmal im Bundestag saß. Anlässlich der Eröffnung seines Prager Büros hat Gerald mit Schubert mit ihm gesprochen. Hören Sie nun das ganze Gespräch, in der neuen Ausgabe unserer Sendereihe "Heute am Mikrophon".
"Mehrere. Ich bin in Nordmähren geboren, war dann im politischen Exil, habe die Grünen mitgegründet und war durch sie schon im deutschen Bundestag. Voriges Jahr haben sie mich eingeladen, für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zu kandidieren. Ich wurde gewählt, und jetzt bin ich im Europaparlament. Die Beziehung zu Tschechien ist aber klar: Nach 1989 bin ich hierher zurückgekommen. Zuerst habe ich in Václav Havels Beratergremium gearbeitet, dann habe ich das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Prag eröffnet. Hier haben wir klassische Aufklärung betrieben - von der Ökologie bis hin zur politischen Kultur. Deshalb ist es für mich wichtig, dass ich hier gegenüber vom tschechischen Parlament, gerade zehn Schritte über die Straße, ein Büro habe. Auch, um die tschechischen Grünen zu stärken. Ich bin ja auch Mitglied in der Parteiorganisation des fünften Prager Stadtbezirks. In zwei Jahren wollen wir dann ins tschechische Parlament einziehen."
Trotzdem: Sie sind zwar auch hier Mitglied einer Parteiorganisation, aber gewählt wurden Sie in Deutschland. Haben Sie das Büro in Prag jetzt in Ihrer Eigenschaft als Europaabgeordneter eröffnet? Und hat das auch damit zu tun, dass die Grünen eine gesamteuropäische Partei gegründet haben?
"Ja, ich bin hier als Europaabgeordneter. Denn eine Europäisierung der Politik ist hier notwendig. Glücklicherweise wurden dreizehn deutsche Grüne ins Europaparlament gewählt. Meine Kollegen dort werden das sehr gut ausgleichen, wenn ich hier ab und zu mal helfe. Natürlich bin ich auch an den Büros in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen beteiligt, ein Büro habe ich noch in Berlin, und meine Hauptbüros sind natürlich in Brüssel und Straßburg. Also Arbeit gibt es genug. Aber ein bisschen muss ich auch hier mithelfen."
Welche Chancen geben Sie den Grünen bei der nächsten tschechischen Parlamentswahl im Jahr 2006?
"Ich bin kein Prophet. Aber ich hoffe, und ich werde mich sehr dafür einsetzen, dass sie über fünf Prozent kommen. Dann sind sie drin."Daher auch die Symbolik des Büros gleich über die Straße. Aber wie ist Ihre Beziehung zu den tschechischen Grünen? Sorgenfrei?
"Nein! Ein Teil hat mich kurz vor der Wahl sogar ausgeschlossen. Aber ich verstehe mich mit vielen tschechischen Grünen sehr gut. Dass ich mit der jetzigen Führung Differenzen habe, das ist in meinen Augen eine vorübergehende Situation, die wir hoffentlich positiv lösen werden."
Sind das ideologische Differenzen innerhalb der Partei, oder hat das eher persönliche Gründe?
"Das hat zwei Ebenen. Die Inhaltliche: In einer Reihe von Dingen bewege ich mich einfach anders - nicht so eingeengt, fast national, sondern eben europäisch. Manche Denkweisen der hiesigen Führung waren hingegen sehr eingeschränkt. In der Begründung meines Ausschlusses stand etwa, dass ich die Parteiführung in fremder Sprache kritisiert habe. Und das bei einer gesamteuropäischen Partei! Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Zweitens: Die politische Kultur ist hier noch schwach. Die Vorgänge bei der Zusammenstellung der Kandidatenliste für die Europawahl etwa waren zutiefst undemokratisch. Das habe ich kritisiert. Ich selbst wurde in Deutschland in einer Art Primary gewählt. Es ist ein demokratischer Vorgang, dass Kandidaten von unten, von ihren Bezirksorganisationen vorgeschlagen werden, wo sie arbeiten und wo die Leute sie kennen. Dann werden sie auf staatlicher Ebene empfohlen und entweder gewählt oder nicht gewählt. Hier geschah dies aber sehr von oben herab: Der tschechische Parteivorsitzende ist mit etwa 26 Namen zum hiesigen Republikrat gekommen. Davon waren nur sechs Leute anwesend, und die wurden en bloc auf die Europaliste gesetzt. Als ich das dem deutschen Parteichef erzählt habe, hat er nur schallend gelacht. Also, man muss hier noch einiges lernen."
Wie fühlen Sie sich in Brüssel und in Straßburg? Haben Sie sich schon eingelebt? Und wie sieht die Arbeit eines frisch gebackenen Europaabgeordneten in den ersten Wochen aus?"Ich fühle mich sehr gut, und zwar aus zwei Gründen. Erstens kenne ich einen Teil der Kollegen schon. Ich habe mich während der letzten Jahre hier in der Heinrich-Böll-Stiftung der Erweiterung der Europäischen Union gewidmet. Das heißt, ich war schon ziemlich oft in Brüssel und auch in Straßburg. Aber auch aus einem anderen Grund fühle ich mich gut: Ich war schon 1981 als Stadtverordneter im Frankfurter Römer, und ab 1983 dann im Bundestag. Und immer war ich der erste Fremde. Man hört ja immer noch, dass ich erst mit 22 die deutsche Sprache gelernt habe und den Akzent nicht mehr losgeworden bin. Aber im Europaparlament bin ich nun sozusagen der letzte Fremde. Hier sind mehrere hundert neue Kollegen aus insgesamt 25 Ländern zusammengekommen. Da ist jeder fremd! Und deshalb müssen sich alle miteinander bekannt machen."
Obwohl Sie neu im Europaparlament sind: Können Sie sich vorstellen, hier vielleicht bei der übernächsten Parlamentswahl auch einmal für die tschechischen Grünen zu kandidieren und auf diese Weise in die tschechische Politik zurückzukehren?
"Tschechische Politik im engeren Sinne habe ich ja eigentlich nie gemacht. Ich habe hier wie gesagt immer klassische Aufklärung betrieben - auf dem Gebiet der Menschenrechte, der Ökologie oder der politischen Kultur. In die tschechische Politik habe ich mich aber nicht sehr eingemischt. Vielleicht kommt das mit dem Übergang zu mehr Europäisierung. Aber was in fünf Jahren sein wird, das weiß ich nicht. Da bin ich vielleicht schon in Rente, weil ich dann schon über sechzig bin."