Von Hirschen und Hennen

Prag macht durstig. So gehört der Königsweg zum Hradschin hinauf für die meisten Touristen zum Pflichtprogramm. Wie gut trifft es sich da, dass aus den Zapfhähnen der goldenen Stadt das vermeintlich beste Bier der Welt sprudelt. Mit Sorge betrachten die Fremdenverkehrsbehörden jedoch einen neuen Trend: Für immer mehr Reisegruppen führt der Prager Königsweg nicht erst zur Burg hoch, sondern gleich in die nächste Bar. So gilt Prag vor allem bei jungen Briten als Paradies, um den Abschied vom Junggesellenleben mit einem mehrtägigen Trinkgelage zu feiern. Anne Lemhöfer hat sich das Phänomen näher angesehen.

Paul ist 22 Jahre alt. In zwei Wochen wird er Rachel heiraten. Vor der Hochzeit feiert Paul wie die meisten seiner Landsleute eine "Stag-Party". Deshalb steht der Immobilienmakler aus Edinburgh nun im Kreis seiner acht besten Freunde am Tresen im Irish Pub "Caffreys" am Altstädter Ring und verlangt bereits zum neunten Mal nach einem Glas Pilsener Urquell. "Stag" bedeutet auf Englisch "Hirsch", und mit einer solchen "Hirschparty" endet für junge britische Männer gemäß alter Sitte das Leben als Junggeselle. Die Idee einer "Stag-Party" ist schnell erklärt: Es geht bei dem beliebten angelsächsischen Ritual darum, möglichst viel Alkohol zu konsumieren, am späteren Abend gerne auch in Striptease-Bars, und gerne in einer anderen als der Heimatstadt. Übrigens: Britische Frauen haben die Tradition längst auch für sich entdeckt. Die oft nicht minder trinkfreudigen Ehegattinnen in spe treffen sich mit ihren Freundinnen zu einem "Hen-Weekend" (zu deutsch: Hennen-Wochenende). Als im vergangenen Jahr erstmals Billig-Airlines wie "Easy Jet" von London und Manchester Prag anflogen, reagierten viele Reiseveranstalter prompt. Allein über das berüchtigte Internet-Reisebüro www.praguepissup.com sollen in diesem Jahr wie Paul und seine Freunde bereits 600 Stag- und Hen-Gruppen an die Moldau gejettet sein. Praguepissup.com organisiert für seine Kunden auf Wunsch das komplette Wochenende - All-you-can-Drink-Abende in ausgewählten Kneipen und den Programmpunkt "Steak and Tits" inklusive. Warum gerade Prag?

Foto: Simona Kalasova
"Das Essen ist gut und billig, Bier ist gut und billig, dazu einen Haufen Striptease Bars, man kriegt was für sein Geld, eine sehr gute Stadt..."

Wie lange sind Sie schon am Trinken?

"Wir haben Donnerstag Nacht angefangen, das ist drei Tage her, jetzt ist es Sonntag früh um zwei. Wir haben Pausen eingelegt, um zu essen"

Was haben Sie außer Kneipen von Prag gesehen?

"Also, die Architektur soll ja sehr schön sein, haben wir gehört..."

Was für Paul und seine Freunde ein Segen ist, stößt bei Gastronomen und Hoteliers auf ein geteiltes Echo. Einige Lokale verwehren den Party-Gesellschaften bereits per Türschild den Eintritt. Rund 300.000 Touristen aus Großbritannien haben nach Schätzungen der Tschechischen Fremdenverkehrszentrale in diesem Jahr in Prag Urlaub gemacht. Etwa zehn Prozent von ihnen, schätzt Pressesprecherin Hana Cermakova, kamen im Jahr 2004, um eine Stag- oder eine Hen-Party zu feiern und auffällig kostümiert durch die Gassen um Altstädter Ring und Wenzelsplatz zu ziehen. Cermakova beobachtet den Trend mit einem lachenden und einem weinenden Auge.

"Biertourismus wird zum Problem, wenn sich andere Touristen und Einheimische belästigt fühlen. Das Problem mit den Stag- und Hen-Partys ist nicht die Zahl derer, die kommen, um Junggesellenabschied zu feiern - sondern die Tatsache, dass die jungen Briten, im Stadtbild sehr präsent sind."

Gleichzeitig ist die bierselige Spaßfraktion von der Insel für die Prager Tourismusbranche, die nach der Flut im Jahr 2002 Millionenverluste zu verkraften hatte, nicht nur ein Ärgernis.

"Diese Touristen geben viel Geld in Prag aus und sind für Hotelbesitzer und Barkeeper eine gute Einnahmequelle. Wir wollen die Stadt aber nicht in erster Linie als Ort verstanden wissen, wo man nur hinfährt, um sich zu betrinken. Uns ist es natürlich lieber, wenn die Touristen wegen der Kultur herkommen. Und wir haben die Hoffnung, dass die jungen Engländer später vielleicht zum Familienurlaub nach Prag zurückkehren, um sich die historischen Denkmäler anzusehen oder die Natur in der Umgebung."