Einkaufen ohne Ladenschluss
Augenblicke der Ruhe und der Besinnung sind selten geworden in einer Zeit, in der für viele Menschen der permanente Blick auf die Uhr zur Regel und die vertiefte, "zeitlose" Auseinandersetzung zur Ausnahme geworden ist. Als Zeit der Stille und Besinnung sind die Weihnachtsfeiertage fest in der abendländisch-christlichen Kultur verankert. Doch auch ihr Fundament ist, so scheint es, ins Wanken geraten. Noch sind die Weihnachtsfeiertage in Tschechien die wohl einzigen Tage im Jahr, an denen die Geschäfte ausnahmslos geschlossen sind. Doch denkt man an die Massen von Kauflustigen, die an jedem beliebigen anderen Feiertag oder Sonntag die Geschäfte bevölkern, fällt es nicht schwer, ein ähnliches Szenario auf den 25. bzw. 26.Dezember zu übertragen. Silja Schultheis mit Stimmen und Gedanken zum Einkaufsverhalten der Tschechen 15 Jahre nach der Samtenen Revolution.
"Ich kaufe ziemlich oft am Wochenende ein, unter der Woche habe ich keine Zeit dafür. Die Kritik an den unbegrenzten Ladenöffnungszeiten verstehe ich. Aber ob es uns gefällt oder nicht, diese Art des Einkaufens gehört nun einmal zur heutigen Zeit dazu, alle machen das auf den letzten Drücker, da bin ich wohl nicht der einzige"
Tatsächlich lässt sich in Tschechien eine im Vergleich zu anderen ehemals kommunistischen Staaten wie Polen oder Ungarn stärkere Vorliebe für globalisiertes Einkaufen in Hypermärkten und Shopping malls feststellen. Eine Entwicklung, die für Zdenek Skala vom Marktforschungsinstitut Incoma Research weniger auf eine größere Konsumorientierung der Tschechen als vielmehr auf die Besonderheit des tschechischen Marktes zurück zu führen ist:"Der tschechische Markt wurde bereits Anfang der 90er Jahre von internationalen Investoren als nahezu ideal wahrgenommen. Es herrschte dort eine gewisse politische Stabilität, gab genügend qualifizierte Arbeitskräfte und man konnte an eine demokratische Tradition anknüpfen. Und so kam es, dass der tschechische Markt schnell und umfassend von den global players erobert wurde. Heute gibt es in Tschechien im Verhältnis zur Größe seines Marktes mehr internationale Akteure als in unseren Nachbarländern."
Seit Mitte der 90er Jahre schießen an den Peripherien der tschechischen Städte riesige Einkaufszentren wie Pilze aus dem Boden. Allein in den letzten fünf Jahren sind 125 neue Hypermärkte eröffnet worden - zum Vergleich: in Holland dauerte es zwanzig Jahre, bis dieselbe Zahl erreicht war.
Stärker als andere ehemals sozialistische Gesellschaften zieht es die Tschechen in die Shopping malls - 40% kaufen nahezu ausschließlich hier ein. Und nicht nur das: Auch das familiäre und gesellschaftliche Leben verlagert sich zunehmend in die Einkaufparks mit integrierten Bistros, Multiplex-Kinos, Spielmöglichkeiten für Kinder. Eine fragwürdige Entwicklung mit weit reichenden negativen Folgen, meint Filip Fuchs von der "Unabhängigen sozialen ökologischen Bewegung" - kurz NESEHNUTI - aus Brünn:"Zum einen bedeutet die Ausbreitung der Hypermärkte natürlich das Aus für kleinere Läden, vor allem im Stadtzentrum. In Brünn beispielsweise, wo 1996 der erste Hypermarkt Tschechiens entstand, kann man das sehr gut beobachten. Es kommt zur Verödung der Stadtzentren. Eine weitere negative Auswirkung der großen Einkaufszentren ist der enorme Anstieg des Autoverkehrs, da sich die Hypermärkte an den Peripherien der Städte befinden und oftmals nicht vernünftig mit städtischen Nahverkehrsmitteln zu erreichen sind. Und die Einkaufsparks im Stadtzentrum fügen sich meistens nicht in das historisch gewachsene Stadtbild ein."
Einen Großteil der Schuld an den negativen Begleiterscheinungen großer Einkaufszentren, hinter denen zumeist ausländische Investoren stehen, trägt nach Ansicht von Filip Fuchs der tschechische Staat:
"Im Westen gelten wesentlich strengere Beschränkungen für die Geschäfte. In Utrecht beispielsweise, der niederländischen Partnerstadt von Brünn, wollte vor einiger Zeit ein Hypermarkt eine weitere Filiale öffnen. Die Stadtverwaltung gab daraufhin zunächst eine Marktanalyse in Auftrag und verweigerte dann letztlich dem Unternehmen die Baugenehmigung - mit der Begründung, dass Utrecht bereits ausreichend mit Hypermärkten versorgt sei. Hier in Brünn vertritt der Magistrat umgekehrt die Meinung: je mehr Hypermärkte desto besser."Folge dieser Einstellung, so Fuchs, sei eine allzu laxe Haltung des tschechischen Staates gegenüber großen Konzernen:
"Bei uns sind die Hypermärkte gewohnt, dass man ihnen wesentlich mehr entgegenkommt, als man eigentlich sollte. Häufig mit dem Argument, dass sie Arbeitsplätze schaffen - was nicht stimmt. Internationale Studien belegen, dass zwei neue Arbeitsplätze in einem Hypermarkt auf der anderen Seite den Verlust von drei Arbeitsplätzen im Kleinhandel zur Folge haben. Dazu kommt noch, dass die Löhne der Angestellten in Super- und Hypermärkten zu den niedrigsten in Tschechien zählen."
An eine Einschränkung der Ladenöffnungszeiten, wie jüngst von einigen sozialdemokratischen und kommunistischen Parlamentariern vorgeschlagen, mögen daher auch deren größte Befürworter nicht ernsthaft glauben. Und dennoch gibt es - wenn auch statistisch bislang wenig relevant - selbst unter den treuesten Sonntags-Kunden Sympathisanten für ein Ladenschlussgesetz. Stimmen aus Prags beliebtestem Einkaufszentrum Novy Smichov:"Ich fände das in Ordnung, wenn die Geschäfte am Sonntag geschlossen wären. Jeder muss sich mal ausruhen am Ende der Woche, ich wäre damit einverstanden".
"Das Einkaufen ist nicht das Einzige (mich persönlich stört das nicht), man hat viele andere Sachen zu tun am Wochenende.".
"Da ist schon etwas dran an dem Ladenschlussgesetz. In meiner Jugend waren der Sonntag und die sonntägliche Ruhe auch heilig. Auf der anderen Seite - wenn die Menschen es in der Woche nicht schaffen, einzukaufen und das am Wochenende nachholen, ist es in meinen Augen schon ein ziemlicher Vorteil, dass die Geschäfte geöffnet sind."
Vielleicht sind Stimmen wie diese ja Vorboten jener Veränderung im Einkaufsverhalten der Tschechen, die Zdenek Skala vom Marktforschungsinstitut Incoma Research in Ansätzen bereits heute beobachtet:"Die Phase des Rausches, der durch die 1989 neu entstandenen kommerziellen Möglichkeiten ausgelöst wurde, geht allmählich zu Ende. Bereits heute kann man beobachten, dass sich die Tschechen zunehmend an anderen Werten als dem Einkaufen orientieren. Einer der auffälligsten Trends in diese Richtung ist der, dass den Menschen ihre eigene Zeit immer wichtiger wird. Daher bevorzugt ein Teil der Käufer zunehmend kleinere Läden, wo man für den Einkauf nicht soviel Zeit aufwenden muss wie in Hypermärkten."
Vielleicht bieten die Weihnachtstage ja Gelegenheit und Raum dafür, um sich wieder einmal auf jene anderen Werte zu besinnen, von denen Zdenek Skala spricht. Und womöglich wird der ein oder andere von uns dabei merken, wie wohltuend ein solches Innehalten hin und wieder ist.