Vor zwanzig Jahren wurde einer der schönsten Bahnhöfe Europas abgerissen

Prager Bahnhof Tesnov

"Verschwindet die Seele von Prag?" Mit diesem Thema haben wir uns in der vergangenen Ausgabe der Sendereihe "Spaziergang durch Prag" beschäftigt. Wir konzentrierten uns dabei auf den historischen Stadtkern der tschechischen Metropole. Wie wir vor zwei Wochen versprachen, werden wir uns auch im heutigen Spaziergang mit dem Umgang mit historischen Denkmälern befassen. Im Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit wird jedoch eine Sehenswürdigkeit stehen, die seit zwanzig Jahren nicht mehr existiert, obwohl sie im europäischen Maßstab bedeutend war. Mehr erfahren Sie Martina Schneibergova und Thomas Kirschner.

Prager Bahnhof Tesnov
Zum erwähnten Thema des Umgangs mit historischen Denkmälern wurden wir durch eine öffentliche Debatte inspiriert, die vor kurzem in der tschechischen Metropole organisiert wurde. Zur Podiumsdiskussion wurden da Experten aus dem Bereich Denkmalschutz, Kunstgeschichte, Architektur sowie Vertreter der Stadt eingeladen. Die Denkmalschutzexperten warnten davor, dass einiges von der Seele der Hauptstadt durch wenig geeignete Bauvorhaben und den starken Investitionsdruck für immer verloren geht.

Vor zwanzig Jahren - also noch unter dem kommunistischen Regime - wurde in Prag ein historisches Gebäude abgerissen, dessen Beseitigung mit der Zeit zum Symbol und zu einem abschreckenden Beispiel dafür geworden ist, wie ein Land mit seinem Kulturerbe nicht umgehen soll. Am 16. März 1985 wurde einer der schönsten Bahnhöfe Mitteleuropas, der Prager Bahnhof Tesnov, in die Luft gesprengt. Über die Stelle, wo das Neorenaissancegebäude stand, führt heute die Stadtautobahn - die so genannte "Magistrale". Der Historiker Jan Jungmann vom Museum der Hauptstadt Prag geht bis zur Errichtung des Bahnhofs zurück:

Historiker Jan Jungmann  (Foto: Autorin)
"Der Bahnhof Tesnov wurde vom österreichischen Architekten Karl Schlimp (1834-1901) im Jahre 1875 erbaut. Es war ein Bahnhof der Österreichischen Nordwestbahn. Es kamen hier Züge aus der Richtung von Lysá nad Labem an. Die Eisenbahngesellschaft suchte sich damals ein sehr gutes Grundstück aus. Neben dem Personenbahnhof war es auch ein Frachtbahnhof, und in der Nähe befand sich der Hafen von Karlín, der der Österreichischen Nordwest-Dampfschifffahrtgesellschaft gehörte, sodass die Waren von den Schiffen direkt auf Züge geladen werden konnten. Die beiden erwähnten Gesellschaften waren durch Kapital verbunden, sodass es sich um ein durchdachtes Verkehrssystem handelte."

Das Bahnhofsgebäude wurde im Neorenaissancestil erbaut. Man kann sich heute ganz gut vorstellen, dass es, nachdem es nicht mehr als Bahnhof benutzt werden konnte, beispielsweise als ein Ausstellungsraum hätten dienen können, meint Dr. Jungmann und fügt hinzu:

"Das Gebäude bestand aus zwei Flügeln, in der Mitte befand sich eine Dominante in der Form eines Triumphbogens. Die Bahnhofshalle war mit Wandgemälden reichlich geschmückt, die Fassade mit Skulpturen verziert. Es gab außerdem eine Reihe wertvoller ziselierter Gitter, geschnitzter Türen und ähnliches. Im Allgemeinen galt der Bahnhof als einer der schönsten Bahnhöfe Europas."

Der Bahnhof hieß nicht immer Tesnov wie am Ende seiner Existenz. Ursprünglich wurde er Nordwestbahnhof genannt, dieser Name sollte aber bald geändert werden:

"Nach dem Ersten Weltkrieg hieß er Denis-Bahnhof - er wurde nach dem französischen Historiker Ernest Denis benannt, der sich mit der Geschichte Böhmens beschäftigte. Während des Zweiten Weltkriegs hieß er Moldau-Bahnhof und erst nach dem Krieg Bahnhof Prag-Tesnov."

Nachdem der Bahnhof nicht mehr in Betrieb war, ließ man ihn mehrere Jahre lang leer stehen und verkommen. Der Historiker dazu:

"Der letzte Zug kam in Tesnov im Jahre 1972 an. Bereits in den sechziger Jahren dachte man daran, den Bahnhof zu beseitigen. Dieser Vorschlag wurde im Zusammenhang mit der Errichtung der Autobahn vorgelegt. Heute weiß man, dass die Führung einer Autobahn durch das Prager Stadtzentrum ein großer urbanistischer Fehler war. Es gab seiner Zeit auch Vorschläge, auf dem Bahnhofsgelände einen Landeplatz für Hubschrauber zu errichten, die das Stadtzentrum mit dem Flughafen Prag-Ruzyne verbinden sollten."

Das Bahnhofsgebäude verkam allmählich. Es wurde auch vorgeschlagen, seine Räumlichkeiten dem Museum der Hauptstadt Prag zur Verfügung zu stellen, dessen Gebäude sich unweit des ehemaligen Bahnhofs Tesnov befindet. Ein anderes Mal sollte im ehemaligen Bahnhof eine Markthalle eingerichtet werden. Jan Jungmann dazu:

"Zu dieser Zeit stand von dem Bahnhof bereits nur noch ein Teil. Ein Flügel war inzwischen abgerissen worden. Das endgültige Ende kam 1985, als das Gebäude auf Befehl des Stadtkomitees der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei schnell abgerissen wurde. Es gelang, einige der künstlerischen Details zu retten - wie einige der Skulpturen und Gitter. Einige befinden sich im Museum der Hauptstadt Prag und einige im Nationalmuseum."

Proteste gegen das barbarische Vorhaben zur Liquidierung der Sehenswürdigkeit gab es damals schon, auch wenn die Kritiker offensichtlich wussten, dass sie so gut wie keine Macht gegen den Beschluss der allmächtigen Partei hatten. Jan Jungmann erinnert sich:

"Es stimmt schon, dass damals Stimmen laut geworden sind, die gegen den Abriss des Bahnhofs waren. Es gab auch Bemühungen, neue Nutzungsmöglichkeiten für das Gebäude zu finden. Aber unter dem kommunistischen Regime war es nicht möglich, sehr laut zu protestieren."

Historiker Jan Jungmann erinnert sich noch an eine Kuriosität, die mit dem traurigen Ende des Bahnhofs Tesnov verbunden ist.

"Als es schon sicher war, dass der Bahnhof abgerissen werden soll, kam eine Gruppe von Eisenbahnfans dorthin - unter ihnen war auch der Maler Jirí Bouda - und sie machten dort viele Aufnahmen. Kurios ist, dass die Sprengung des Gebäudes misslang. Ein Teil der Mauer blieb damals stehen, und auf der Mauer war ein Wandgemälde mit der Überschrift "Prag" zu sehen. Dies war so etwas wie ein Symbol."

Hoffentlich kann sich der Fall des Bahnhofs Tesnov heutzutage nicht wiederholen. Jan Jungmann ist davon aber nicht überzeugt.

"Ich befürchte, dass sich etwas Ähnliches durchaus wiederholen könnte. Davon zeugen Fälle, auf die die Denkmalschutzexperten in der letzten Zeit in Prag aufmerksam machten."

Zu den gefährdeten Objekten gehört beispielsweise die Brücke in Liben, über die wir in einer der nächsten Sendungen berichten möchten.