Prager Clam-Gallas-Palais wieder geöffnet
Das Clam-Gallas-Palais in der Prager Altstadt gilt als ein Juwel der Barockarchitektur in der tschechischen Hauptstadt. Nach einer gründlichen Restaurierung ist ein Teil des Gebäudes seit Freitag wieder zugänglich. Zudem ist die Geschichte der früheren Residenz der Adelsfamilie Clam-Gallas das Thema einer Open-Air-Ausstellung. Sie wurde Anfang der Woche vor dem Palais auf dem Platz Mariánské náměstí eröffnet. Martin Krummholz von der Palacký-Universität in Olomouc / Olmütz hat die Schau zusammengestellt. Martina Schneibergová hat nach der Vernissage mit dem Kunsthistoriker gesprochen sowie mit Agathe Szechenyi, die aus der Familie Clam-Gallas stammt.
Herr Krummholz, das Clam-Gallas-Palais steht nicht gerade im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Prag-Besucher, obwohl es ein einzigartiges Baudenkmal ist. Wo sehen Sie die Gründe dafür?
„Ich denke, einer der Gründe ist die Tatsache, dass es sich um das Werk eines Wiener Architekten handelt und nicht etwa von Santini oder von Dientzenhofer stammt. Man hat es möglicherweise für einen Import aus Wien gehalten, und für die patriotisch gesinnten tschechischen Kunsthistoriker stand der Palast am Rande ihres Interesses.“
Diese Haltung hat sich jedoch in den letzten Jahren bestimmt geändert. Hat dazu auch die jüngste Sanierung des Palais beigetragen?
„Nach einer vierjährigen Sanierung des Palastes, die fast beendet ist, hat er das Interesse der Fachleute geweckt. Ein großer Teil der Räumlichkeiten gehört von nun an dem Prager Stadtmuseum. In diesen sind Dauerausstellungen geplant, die an namhafte Architekten und an die Besitzer der Residenz erinnern sollen. In weiteren Räumlichkeiten soll eine Dauer-Ausstellung zu sehen sein, die sich mit dem Barock als Epoche und mit der Kultur des Adels beschäftigt.“
Wie kam es dazu, dass gerade der österreichische Barockarchitekt Fischer von Erlach mit dem Bau beauftragt wurde?
„Es handelt sich um eines der interessantesten Werke von Fischer von Erlach. Denn in Prag konnte er freier planen und musste nicht so kanonisch bauen wie in Wien. Der Palast ist einzigartig in der reichen Verzierung seiner Fassade. Auch die künstlerische Gestaltung der Innenräume ist sehr interessant. Fischer von Erlach wurde vom Bauherrn und damaligen Besitzer des Palais, dem wichtigen habsburgischen Diplomaten Johann Wenzel Graf von Gallas, nach Prag eingeladen. Dieser war als kaiserlicher Gesandter in England und dann in Rom tätig. Graf Gallas war der Schwiegersohn von Graf Philipp Sigismund von Dietrichstein, der eine wichtige Persönlichkeit am Wiener Hof war. Da sein Schwiegersohn einen Entwurf für sein neues Palais in Prag brauchte und er Fischer von Erlach aus Wien kannte, sprach er 1714 den Architekten an. Zur selben Zeit entwarf Fischer von Erlach auch das Grabmal für Graf Wenzel Wratislaw von Mitrowitz für die Prager Jakobskirche. Die beiden Projekte sind also zur selben Zeit entstanden.“
Wie sah es auf dem Grundstück vor dem Bau des Palastes aus?
„Den Kern besteht aus dem ehemaligen mittelalterlichen Palais des jüngeren Bruders von Karl IV., der im 16. und 17. Jahrhundert umgebaut wurde. Dieser Teil wurde Samuelsches Haus genannt und lag in der heutigen Husova-Straße. Zudem standen hier sechs bis sieben weitere einzelne Häuser, die anschließend gekauft wurden – allerdings nicht offiziell, denn Adlige durften offiziell keine Häuser in der Stadt kaufen. Fischer von Erlach erstellte einen ersten Entwurf. Nachdem die weiteren Häuser aber aufgekauft worden waren, änderte er den Entwurf noch mindestens zweimal ab. Interessant ist, dass das Grundstück zwar sehr unregelmäßig war, doch die Fassade sowie der Innenhof sehr prunkvoll, symmetrisch und regelmäßig wirken. Das war eine tolle Leistung des Architekten.“
Von außen, von der Husova-Straße, kann man sich gar nicht vorstellen, wie groß das Palais eigentlich ist. Zu welchen Zwecken wurde es genutzt?
„Drinnen gibt es insgesamt 290 Räume. Im Erdgeschoss befanden sich Betriebe wie die Stallungen, die Räume für das Personal, die Küche, die Bäckerei und so weiter. Im ersten Stock waren die Wohnappartements der gräflichen Familie. Im zweiten Stock befanden sich die offiziellen Repräsentationsräume, die am reichsten ausgeschmückt waren.“
Gab es nicht auf dem Dachboden auch ein Theater?
„Nein. Dort oben ist jedoch ein sehr großer Raum erhalten. Eigentlich ist es die Hälfte des ursprünglich geplanten großen Saals. Dieser wurde nachträglich entworfen, weil Graf Clam-Gallas ein großer Liebhaber italienischer Opern war – und dieser Saal sollte, wie ich meine, für Aufführungen dieser Opern dienen. Der Saal wurde jedoch nicht fertiggebaut. Und im 19. Jahrhundert wurde der Raum geteilt. Das adelige Theater, das an der Wende des 18. und 19. Jahrhunderts ziemlich berühmt war, befand sich über dem Eingang im zweiten Stock. Es ist der erste Saal links vom Haupttreppenhaus.“
Wer hat sich alles an der künstlerischen Gestaltung des Palais beteiligt?
„Neben Fischer von Erlach handelte es sich wirklich um berühmte Namen. Dazu gehörte Santino Bussi, der beste und teuerste Stuckateur aus Wien. Als Bildhauer war hier Matthias Bernhard Braun mit seiner Werkstatt tätig. Die wunderbaren Fresken stammen von Carlo Innocenzo Carlone, einem namhaften Maler der damaligen Zeit.“
Wurde während der jüngsten Restaurierung etwas Neues entdeckt?
„Ja, durchaus. Dank moderner Technologien haben wir unter den Tapeten und auch den Decken, die aus dem 18. und 19. Jahrhundert stammen, viele Schichten entdeckt. So wurden eine Wandmalerei aus dem 18. Jahrhundert und einige Graffiti gefunden. Zudem haben wir herausgefunden, dass die ungewöhnlich reiche plastische Ausschmückung, die direkt von Fischer von Erlach kreiert wurde, statisch nicht gerade toll ist. Damals wurde sehr schnell gebaut, das ganze Palais entstand in nur vier Jahren, und einige Teile der Ausschmückung sind baulich nicht besonders fest mit der Fassade verbunden. Das war das schwierigste Problem bei der jetzigen Sanierung.“
Wie war das weitere Schicksal des Palais?
„Das Schicksal war sozusagen typisch, denn das Palais konnte nie so genutzt werden, wie man es eigentlich wollte. Bauherr Graf Johann Wenzel von Gallas starb im Sommer 1719. Damals war der Palast noch nicht fertiggebaut, und die Arbeiten gerieten in Gefahr. Denn aufgrund der diplomatischen Dienste des Grafen war die Familie stark verschuldet. Erst Anfang der 1730er Jahre wurden die Bauarbeiten abgeschlossen. 1744 wurde das Palais jedoch bereits von den preußischen Soldaten völlig geplündert. Die vermutlich interessantesten Zeiten erlebte der Adelssitz an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Graf Christian Philipp von Clam-Gallas und sein Sohn Christian Christoph hatten eine starke kulturelle Ader. Sie betrieben im Palais ein Theater, und auch das musikalische Leben dort war sehr intensiv. Sowohl der junge Mozart als auch später Ludwig van Beethoven gaben dort Konzerte.“
An der Eröffnung der Open-Air-Ausstellung über das Clam-Gallas-Palais nahm auch Agathe Szechenyi aus Österreich teil. Vor einer Fotografie, auf der ihre Vorfahren zu sehen sind, entstand das folgende Gespräch:
Frau Szechenyi, Sie stammen aus der Familie Clam-Gallas. Wer ist auf diesem Bild?
„Das ist mein Urgroßvater mit seinen Töchtern. Und meine Großmutter war die Tochter Nummer vier, die Gabriele. Sie hat meinen Großvater Auersberg geheiratet.“
Hatten Sie die Möglichkeit, sich den Palast anzuschauen?
„Vor der jetzigen Renovierung hatte ich noch mit einigen Familienmitgliedern eine kleine Führung mitgemacht. Wir waren auch auf dem Dachboden, auf einer Art Dachterrasse, von der wir einen herrlichen Blick auf die Altstadt hatten. Schon damals hat mich stark beeindruckt, wie schön das Gebäude ist.“
Der Palast, vor dem wir stehen, ist sehr groß. Doch diese monumentale Größe sieht man von der anderen Seite, von der Husova-Straße, eigentlich kaum…
„Wenn man durch diese relativ enge Straße geht, sieht man zwar die zwei beiden Atlanten – aber wenn das große Tor geschlossen ist, hat man keine Vorstellung davon, wie groß das Gebäude ist. Wenn man aber in den Hof tritt, dann kommt die ganze Größe heraus.“
Hat Ihnen Ihre Großmutter von dem Palast erzählt?
„Ja. Großmama hat nach dem Krieg in Österreich gelebt und ein bisschen vom Urgroßvater erzählt. Meine Mutter kannte Prag noch aus der Zeit vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Sie war öfters hier. Aber zu der Zeit damals war der Palast, denke ich, schon in staatlicher Hand. Das Finanzministerium hatte hier seinen Sitz – seit der Entstehung der Tschechoslowakischen Republik im Jahr 1918. Aber Großmama kannte das Palais noch als Residenz. Wenn sie in Prag waren, haben sie da wohnen können. Es fanden hier fantastische Bälle statt – genauso wie in Wien.“
Gibt es vielleicht Erinnerungen an die Prager Residenz, die jemand aufgeschrieben hat?
„Ja, schon. Eine Schwester meiner Großmutter – Clothilde –hat ihre Schwestern gebeten, etwas über ihre Kindheit aufzuschreiben. Und Clothilde hat eine Abhandlung verfasst: über die Familie Gallas, später Clam-Gallas, und viel schrieb sie über ihren Vater, also meinen Urgroßvater Franz. Er muss eine fantastische Persönlichkeit gewesen sein. Zudem hat jede einzelne Schwester ihre Erinnerungen aufgeschrieben, und diese wurden in der Familie veröffentlicht. Es ist sehr interessant, ich lese dort immer gerne nach.“
Könnte man die Erinnerungen nicht herausgeben?
„Das wäre eine Idee. Man müsste sie auch ins Tschechische übersetzen.“
Werden Sie sich jetzt die renovierten Räumlichkeiten ansehen?
„Ja, es wurde mir gesagt, wir hätten die Möglichkeit, ein paar Räume zu besichtigen. Darauf freue ich mich schon und bin gespannt, wie schön das geworden ist.“
Während der Vernissage wurde nach den Gründen für die graue Farbe der Fassade gefragt. Wie finden Sie diese?
„Ich war und bin immer noch geschockt, hatte aber dann ein sehr interessantes Gespräch mit dem Architekten, der einen herrlichen Sinn für Humor hat. Wir haben viel gelacht, obwohl ich geschockt war. Für mich ist die graue Farbe wie eine Erinnerung an die kommunistische Zeit. Es ist so trist. Aber der Architekt hat mir erklärte, dass sie im Zuge der Restaurierung Farbproben genommen haben. Sie haben die alten Farbschichten abgetragen und zuletzt, ganz unten die graue Farbe gefunden. Ich kann mir nur nicht vorstellen, dass in der Barockzeit solch ein Grau für eine Fassade verwendet wurde.“
Haben Sie eine Beziehung zu Prag oder vermutlich viel mehr zu Nordböhmen?
„Zu Nordböhmen sehr, eigentlich seitdem wir 2013 ein Familientreffen in Hejnice (Haindorf, Anm. d. Red.) hatten. Die Mater Formosa (die Anmutsvolle – eine gotische Statue, Anm. d. Red.) zieht mich jedes Jahr dort hin. Ich bin, so oft es geht, in Hejnice. Das ist meine ,Tankstelle‘. Dort kann ich Kraft tanken und dann eine Zeit lang mein Leben fröhlich gestalten und mich durcharbeiten. Es ist ein Ort, der mich fasziniert.“
Im Clam-Gallas-Palais ist seit Freitag die Ausstellung mit dem Titel „Mysliveček, detto Il Boemo“ zu sehen. Sie wurde anlässlich der Premiere des neuen Films über den namhaften tschechischen Komponisten zusammengestellt. Das Palais ist täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet.