Wie die Tschechen ihre Feiertage begehen

Dusan Trestik

Zum 60. Jahrestag des Kriegsendes sprach Robert Schuster mit dem Historiker Dusan Trestik über die Art, wie man in Tschechien Feiertage begeht.

Die Tschechen gehören zu jenen Völkern in Europa, die sich nicht gerade leicht tun mit ihrer eigenen Geschichte. Vieles aus der jüngeren Vergangenheit scheint noch nicht aufgearbeitet zu sein. Ähnliche Unsicherheiten gibt es auch bei den offiziellen Staatsfeiertagen, wo eigentlich bis auf wenige Ausnahmen, wie zum Beispiel dem 28. Oktober, also dem Jahrestag der Republikgründung im Jahr 1918, viele Tschechen nicht wissen, warum es sie gibt.

Werden diese Feiertage also in erster Linie als Tage gesehen, an denen man nicht zur Arbeit gehen muss? Welche Rolle wird von den Tschechen dem 8. Mai, also dem Jahrestag des Kriegsendes, beigemessen? Darüber unterhielten wir uns im Folgenden mit dem Historiker Dusan Trestik von der Tschechischen Akademie der Wissenschaften.

"Die Tschechen sind ganz normale Menschen, selbstverständlich freut es sie, wenn sie einen freien Tag haben, an dem sie nicht zur Arbeit müssen. Die Feiertage sind vom Staat angeordnet worden. Manchmal treffen sie das Geschichtsbewusstsein des Volkes, manchmal auch nicht. Das Kriegsende am 8. Mai war von Anfang an ein wirklicher Feiertag, jeder wusste, was man feiern soll, weil dieser Tag eine tief greifende Veränderung im Leben ganzer Generationen mit sich brachte. Aber eine andere Frage ist, ob man wusste, wie man diesen Tag feiern soll."

Im Zusammenhang mit den landesweiten Feiern des Kriegsendes vor 60 Jahren, sind an vielen Orten - unter anderem auch vor dem Prager Rundfunkgebäude - die entscheidenden Kämpfe der letzten Kriegstage nachgestellt worden. Über den Sinn solcher Veranstaltungen scheiden sich die Geister - die Einen meinen, dass wäre Kriegsverherrlichung, die Anderen sehen darin wiederum einen Weg, um Geschichte "greifbar" zu machen. Das scheint nicht nur im heutigen Medienzeitalter ganz besonders wichtig zu sein, sondern wird auch als ein Weg angesehen, wie man vor allem bei der jüngeren Generation ein größeres Interesse an Geschichte wecken kann. Dazu meint der Historiker Dusan Trestik:

"Na ja, diese Art des Feierns hat das Volk selbst erfunden, selbstverständlich nach mehreren Vorbildern. Trotzdem ist es aber authentisch. Was soll man an einem solchen Tag machen - vielleicht unter den Fahnen nach der Art unserer Großväter marschieren? Die Leute wissen ganz genau, wozu dieses Feiern im Gleichschritt und unter Fahnen führte. So macht man eben Theater, das die einfachen Leute selbst spielen. Mir gefällt das. Wir brauchen Rituale und Theater ist das beste Ritual, weil es authentisch ist. Um die so genannte wirkliche Geschichte geht es dabei kaum und es gibt auch keinen Grund das zu erwarten. Man statuiert dabei ganz einfach ein Verhältnis zu einer gespielten Geschichte. Diese Art sich Geschichte anzueignen finde ich gar nicht schlecht. Die typisch europäische Angst vor einer Verherrlichung des Krieges ist in diesem Fall wirklich übertreiben."

Vergleicht man die Art und Weise, wie in diesem Jahr in Tschechien das Kriegsende gefeiert wird, muss man zwangsläufig zum Schluss kommen, dass diesmal ganz anders und in einem weitaus größeren Ausmaß gefeiert wird, als etwa vor zehn Jahren, das heißt beim 50. Jahrestag im Jahr 1995. Teilt auch der Historiker Dusan Trestik diese Ansicht? Wo liegen seiner Meinung nach die Gründe dafür?

"Sie haben völlig Recht. Man muss nur wissen, dass vor zehn Jahren die Tschechen ganz andere Sorgen hatten, als irgendwie etwas groß zu feiern. Sie steckten inmitten einer Transformation, von deren Ausmaß sich nur jemand eine Vorstellung machen kann, der sie wirklich erlebt hat. Dabei ging es nicht nur um Veränderungen im wirtschaftlichen und politischen System. Es ging um die grundlegende Veränderung der angewöhnten Lebensweisen. Das ist heute abgeschlossen. Die Tschechen sind heute eine normale europäische Nation - das ist das eine. Das andere, was vielleicht noch viel wichtiger ist, ist der Eindruck, dass es im gesamten Mitteleuropa zwischen Rhein und Bug zum Ende der Geschichte kam, als ob der Druck der Geschichte leichter geworden ist. Geschichte brachte hier immer einen Haufen von Alpträumen mit sich, der sich nach dem Ende des lange friedlichen 19. Jahrhunderts hier ansammelte. Jedes Land hatte seine Alpträume und war deshalb von Unsicherheit und Furcht vor der Zukunft geprägt. Jetzt fürchten wir uns nicht mehr. Das ist das, war für uns das Ende der Geschichte bedeutet. Die Alpträume sind Geschichte geworden. Das ist etwas, womit man getrost spielen kann. Der Beitritt zur Europäischen Union war hier der letzte Schritt, der uns vom Druck der Geschichte befreit hat."

Dusan Trestik hat bereits die tief greifenden Veränderungen angesprochen, zu denen es in der tschechischen Gesellschaft im Verlauf der vergangenen fünfzehn Jahre gekommen ist. Lässt sich auch sagen, dass die tschechische Nation in diesem Zeitraum selbstbewusster geworden ist und vielleicht auch deshalb heute weitaus stärker und intensiver Feiertage wie den 8. Mai begeht? Das war unsere abschließende Frage an den Historiker Dusan Trestik von der Tschechischen Akademie der Wissenschaften:

"Ich glaube nicht, dass man das so sagen kann. Jedenfalls hat man die alten Ängste nicht mehr. Man ist sicherer im Umgang mit sich selbst geworden. Das ist also bestimmt etwas Neues. Ob das automatisch zu einem größeren Selbstbewusstsein geführt hat, weiß ich nicht. Aber es hat sich da zweifellos etwas getan."