Das Kriegsende in Usti nad Labem - Aussig an der Elbe
Das Kriegsende sah vor 60 Jahren in jedem Dorf, in jeder Stadt ein bisschen anders aus. Im nun folgenden Kapitel aus der tschechischen Geschichte wirft Katrin Bock einen Blick auf die Nachkriegswochen im nordböhmischen Usti nad Labem - Aussig an der Elbe.
"Es war eine rein deutsche Stadt, wollen wir mal sagen, mit einer kleinen Minderheit von Tschechen, aber eine deutsche Stadt, die in Schulen und Ämtern deutsch gesprochen hat."
Lore Schretzenmayr verbrachte ihre Kindheit und Jugend in der Stadt, die bis 1945 Aussig an der Elbe hieß und damals gut 50.000 zumeist deutsche Einwohner hatte. Der Großteil von diesen - rund 60 Prozent - hatte in den Parlamentswahlen von 1935 die Sudetendeutsche Partei gewählt. Nach dem Münchner Abkommen begrüßte man den Anschluss an das Deutsche Reich und die Entstehung des Sudetengaus, zu dem Aussig nun gehörte. Sechseinhalb Jahre später, im Frühjahr 1945, erwartete man mit Angst und etwas Hoffnung das Kriegsende. Das Gefühl der Angst überwiegte bei den meisten Deutschen, wie sich eine von ihnen heute erinnert:
"Angst, nur der Angst, Angst - vor den Russen, Erleichterung natürlich, dass der Krieg zu Ende war, aber die Angst vor der Besatzung war groß."
Das Kriegsende war in Aussig- Usti am 8. Mai 1945 friedlich. Es kam damals zu keinen Kampfhandlungen. Bereits am 7. Mai 1945 hatten hiesige Tschechen und einige Deutsche einen Nationalausschuss gegründet. Diesem unterstellte sich noch in der Nacht die deutsche Polizei. Am folgenden Tag, dem 8. Mai 1945, übergab der bisherige Oberbürgermeister Franz Czermak dem Nationalausschuss nach kurzen Verhandlungen die Leitung der Stadt. Um 14 Uhr informierte bereits eine zweisprachige Meldung im örtlichen Rundfunk die Bevölkerung, dass der Nationalausschuss die Macht übernommen hat. Die Deutschen wurden aufgefordert, weiße Bettlaken als Zeichen der Kapitulation in die Fenster zu hängen. Der Krieg war in Usti -Aussig somit zu Ende. In den folgenden Stunden und Tagen herrschte jedoch einiges Chaos - letzte Opfer waren zu beklagen, als SS-Männer am 9. Mai auf ihrer panischen Flucht vor der Roten Armee wahllos um sich schossen. Diese zog am Nachmittag des 9. Mai in die bereits befreite Stadt ein und blieb bis Oktober 1945 hier. In jenen Monaten kam es immer wieder zu Übergriffen gegen die deutsche, aber auch tschechische Zivilbevölkerung von Seiten sowjetischer Soldaten, die nach Essbarem und Wertvollem suchten. In den ersten Wochen nach Kriegsende begangen viele Deutsche Selbstmord, vom 9. Mai bis zum 31. Juli soll es laut Matrikelangaben in Usti zu 63 Selbstmorden gekommen sein.
Bereits im Mai 1945 wurden die ersten Deutschen aus der Region willkürlich über die nahe Grenze nach Sachsen getrieben. Im Juni begannen dann registrierte Sammeltransporte mit der Bahn, bei denen Gepäck mitgenommen werden durfte:
"Ja und dann hieß es ja, die Evakuierung kommt und an einem Morgen klopfte es um 6 an die Tür: und dann standen da sechs tschechische Soldaten: 2 für meinen Vater, 2 für meine Mutter, 2 für mich, dann mussten wir innerhalb von einer Stunde - wir wohnten in einer großen Villa, wir lebten in sehr guten Verhältnissen, mussten wir binnen einer Stunde einen Koffer packen jeder und diesen dann auf einem Leiterwagen, dann wurde das Haus versperrt. Natürlich Schmuck, Sparbücher und was immer an Wertsachen da war aufgeben. Dann sind wir zum Bahnhof mit Leiterwagen und sind auf offene Kohlenluren gekommen und mussten mit dem Zug nach Dresden fahren."
Das Thema Vertreibung ist im heutigen Usti kein Tabu. Seit 1990 befassen sich hiesige Historiker damit, wurden einige Magisterarbeiten an der Universität zu diesem Thema verfasst. 1995 erschien eine Zusammenfassung der Forschungen als eigenes Kapitel in einem Buch über die Stadtgeschichte von Usti-Aussig. Bis Ende 1945 wurden schätzungsweise 30.000 Deutsche aus Aussig mit registrierten Bahntransporten ausgesiedelt.
"Ich hab auch das verfolgt, die Vertreibung habe ich gesehen- ich hab die Menschen gesehen, wie sie mit Leiterwagen zum Bahnhof gegangen sind, mit ihrer letzten Hab und Gut, das wurde ihnen eventuell auch noch weg genommen oder haben sie verloren- das war eine schwierige Zeit."
Nicht alle Deutschen mussten damals ihre Heimat verlassen. Hans Adamec und seine Familie konnten bleiben:
"Und zwar gab es verschiedene Fälle, wo es nicht zur Ausweisung kam, gleich am Anfang im Jahr 1945. Das waren die Antifaschisten, das waren die Unabkömmlichen, und das waren die tschechisch-deutschen Familien. Ich gehörte zu diesem dritten Fall, diese tschechisch-deutschen Familien. Meine Mutter war eine gebürtige Deutsche. Mein Vater war Tscheche. Bei dieser ersten Vertreibung kam es nicht dazu und dann hat es sich schon wieder sozusagen, irgendwie erledigt."
Für die Deutschen, die bleiben konnten, war die erste Zeit nicht immer einfach, wie sich Hans Adamec erinnert:
"Das war das Kriegsende - das Kriegsende war eben so, wie es war. Wer deutsch gesprochen hat, der wurde irgendwie angesprochen. Ich kann mich erinnern, ich war damals Gärtner, da sind wir in die Stadt gefahren und der tschechische Gärtner hat gesagt, jetzt werden wir nicht deutsch sprechen, jetzt werden wir nur tschechisch sprechen, obwohl ich die tschechische Sprache damals nicht beherrschte, aber so war das damals."
Ende Juli 1945 kam es in Usti-Aussig nach Explosionen in einer Munitionsfabrik zu einem Massaker an der deutschen Zivilbevölkerung. Bei Ausschreitungen in der Innenstadt und auf einer Elbbrücke, von der deutsche Zivilisten in die Elbe geworfen wurden, starben schätzungsweise 40 bis 100 Menschen. Für die meisten Deutschen in Usti-Aussig war die Wut der Tschechen überraschend:
"Und dann war es ja unglaublich für uns, dass diese wahnsinnige Wut der Tschechen auf die Deutschen kam, die meines Erachtens nicht berechtigt war, denn wir lebten wirklich in guten Verhältnisse miteinander, und das war, das war ein Mob, der hier aufkam, das waren ja nicht Leute, die hier lebten. Aber das war ein Mob der kam, der sich wie eine "Armada" aufgeführt hat und dann sind ja auch die Dinge auf der Brücke passiert."
Seit sich Ende 1989 die Archive öffneten, befasst man sich in Usti-Aussig mit jenem Massaker an der deutschen Bevölkerung. Heute ist sicher, dass die an den Ausschreitungen beteiligten Tschechen nicht aus der Stadt selbst stammten, sondern von anders her mit einem bestimmten Auftrag hierher gebracht wurden. Dazu der Historiker Martin Vesely aus Usti:
"Meiner Meinung nach war das keine spontane Aktion, das Massaker, das nach der Explosion in der Munitionsfabrik stattfand. Die letzten historischen Forschungen kamen auch zu dem Ergebnis, dass das kein Zufall war, sondern eine gezielte Aktion, wobei noch nicht klar ist, wer genau sie initiiert hat. Gewisse Indizien weisen darauf hin, dass wohl das Innenministerium und auch das Verteidigungsministerium dahinter standen."
Heute vermuten Historiker, dass das Massaker in Usti-Aussig als Propaganda für die geplante Aussiedlung der Deutschen dienen sollte. Den zu jener Zeit in Potsdam tagenden Alliierten sollte gezeigt werden, dass Deutsche und Tschechen einfach nicht gemeinsam in einem Staat leben können.
Über 50.000 Deutsche wurden bis April 1946 aus Usti - Aussig und Umgebung ausgesiedelt. Dank der Arbeit des Stadtarchivs unter der Leitung von Vladimir Kaiser, der Universität und des Stadtmuseums ist dieser Teil der deutsch-tschechischen Geschichte von Usti-Aussig nicht vergessen und heute gut erforscht. Aus dem Archiv von Usti stammt übrigens auch die musikalische Aufnahme, die Sie heute gehört haben. Dabei handelt es sich um ein Werk des aus Jablonec stammenden Komponisten Fidelio Finke, gespielt von der Sudetendeutschen Philharmonie unter der Leitung von Fritz Rieger, der 1939 bis 1941 Leiter der Aussiger Oper war.
Einen Artikel von Vladimir Kaiser über die Ereignisse des Jahres 1945 finden Sie unter: http://www.hilfsverein-aussig.de/historik.htm