Tschechische Frauen und der Kampf ums Wahlrecht
Genau 100 Jahre ist es her, dass die Frauen in der Tschechoslowakei das uneingeschränkte Wahlrecht erhielten. Aus diesem Grund startet Radio Prag International eine fünfteilige Serie über die Gleichstellung der Geschlechter damals und im heutigen Tschechien. Unter anderem wird es dabei um die MeToo-Debatte gehen oder Frauen in der tschechischen Politik. Doch beginnen wollen wir mit einem Blick zurück – und zwar auf die Vorkämpferinnen für Frauenrechte vor und nach dem Ersten Weltkrieg.
„Alle Staatsbürger der Tschechoslowakischen Republik, die das 21. Lebensjahr vollendet haben und auch den anderen Bedingungen für die Wahlen entsprechen, haben ohne Unterscheidung des Geschlechts das Recht, zum Abgeordnetenhaus zu wählen.“
Damit ist ein jahrzehntelanger Kampf um dieses Recht zu einem guten Ende geführt. Die Tschechoslowakei ist in diesem Sinn damals einer der fortschrittlicheren Staaten in Europa. Überhaupt die ersten Frauen mit Wahlrecht sind die Neuseeländerinnen. Sie dürfen bereits 1893 an die Urnen. Viele europäische Länder folgen eben gerade nach dem Ersten Weltkrieg. Laut der Politologin Jitka Gelnerová von der Prager Karlsuniversität ergab sich dies in der Tschechoslowakei schon aus der politischen Zielsetzung in den Kreisen rund um den ersten Präsidenten Tomáš Garrigue Masaryk:
„Die Entstehung der Tschechoslowakei war ein Schlüsselereignis dafür, dass die Frauen das Wahlrecht erhielten. Das lag daran, wie sich der neue Staat definierte – nämlich als fortschrittlich und demokratisch, also als Gegenentwurf zur Habsburger Monarchie, die als rückständig empfunden wurde. Zur Selbstdefinition des neuen Staates gehörte auch die Gleichstellung von Frauen und Männern. Und das Wahlrecht galt in diesem Zusammenhang als etwas Selbstverständliches. Bis auf wenige Ausnahmen gab es da auch keinen Widerspruch.“
Landtagswahlen 1861
Der Kampf für das Wahlrecht beginnt aber schon zu Zeiten der Habsburger Monarchie. Tatsächlich können bereits 1861 auch einige Frauen über den ersten gewählten Böhmischen Landtag bestimmen, wie die Historikerin Jana Malinská von der tschechischen Akademie der Wissenschaften erläutert:„Das lag an der Formulierung des damaligen Wahlgesetzes. Dort stand, dass jeder im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft wählen gehen dürfe, falls er den Zensus erfülle. Das bezog sich ebenso auf die Frauen, die entsprechende Steuern abführten.“
Zugleich muss man das Mindestalter von 30 Jahren erreicht haben. Allerdings haben ausgerechnet Prag und Liberec / Reichenberg ein anderes Wahlrecht, und das schließt Frauen aus.
Im Kampf um die Gleichberechtigung geht es für die Tschechinnen zunächst aber vor allem um den Zugang zu Bildung. Erst zu Ende des 19. Jahrhunderts tritt die Forderung nach dem Wahlrecht immer stärker in den Vordergrund. Ausgangspunkt ist die sozialdemokratische Zeitschrift „Ženský list“ (Frauenblatt), die in Brno / Brünn herausgegeben wird.
„Die Sozialdemokraten griffen das Thema als Erste auf und hatten das Frauenwahlrecht recht schnell in ihrem Programm. Die wichtigste Persönlichkeit bei den Sozialdemokraten war Karla Máchová. Sie war wirklich das Sprachrohr der arbeitenden Frauen“, so die Politologin Gelnerová.
Aber auch die bürgerlichen Schichten setzen sich zunehmend für das Recht ein. Und 1897, beim ersten tschechoslowakischen Frauentag, wird bereits heiß darüber diskutiert. Der Kampf nimmt also an Intensität zu. Das geschieht jedoch etwas anders als beispielsweise in den USA und in Großbritannien.„Im Gegensatz zu diesen beiden Ländern ging die Bewegung zum Frauenwahlrecht in den Böhmischen Ländern nicht so sehr auf die Straße, sondern man traf sich eher in geschlossenen Räumen. Man schrieb Petitionen oder schickte Delegationen zu den Abgeordneten. Das hing mit dem relativ komplizierten Wahlrecht in Österreich-Ungarn zusammen, das manchen Frauen bereits das Stimmrecht einräumte, anderen wiederum nicht. Zudem gab es gewisse Gesetzeslücken. Deswegen wählte man eine andere Strategie als zum Beispiel Demonstrationen“, erläutert Jitka Gelnerová.
Umso größer ist die Enttäuschung über die Regelungen zur ersten Reichsratswahl in Cisleithanien, die 1907 abgehalten wird. Sie bedeuten einen gewissen Rückschritt gegenüber 1861, weil Frauen nicht zugelassen sind, während für Männer das allgemeine und gleiche Wahlrecht eingeführt wird.
Nicht unwichtig für den weiteren Kampf ist Tomáš Garrigue Masaryk. Der spätere Staatsgründer habe bei der Gleichstellung der Geschlechter ziemlich fortschrittlich gedacht, sagt Historikerin Malinská:
„Ob seine Frau ihn nun darin beeinflusst hat oder nicht – er war sicherlich die Persönlichkeit, die sich eine Beteiligung der Frauen am öffentlichen Leben vorstellen konnte. Dazu gehörte auch, dass die Frauen mitbestimmen über die Zusammensetzung der Abgeordneten und der Regierung, sei es auf Regional- oder auf Landesebene. Masaryk hat sicher nicht nur die Bildung von Frauen in allen Bereichen unterstützt, sondern auch ihr Wahlrecht.“Zutritt nicht erlaubt
Doch zunächst steht 1912 die Abstimmung zum Böhmischen Landtag an. Dort gilt weiter, dass Frauen bei Erfüllung derselben Voraussetzungen wie die Männer zugelassen sind. Politologin Gelnerová:
„Damals kam es zu einer internationalen Sensation. Denn Frauen konnten nicht nur wählen, sondern sich auch wählen lassen. Und tatsächlich erhielt mit Božena Viková-Kunětická erstmals eine Frau die notwendige Stimmenzahl zum Einzug in dieses Regionalparlament. Sie war also die erste tschechische Abgeordnete. Doch ihren Platz im Landtag konnte sie nicht einnehmen, weil den Frauen den damaligen Regeln nach der Zutritt zum Gebäude verwehrt wurde.“Für die Frauenbewegung im In- und Ausland wird dies zum Beweis dafür, wie rückständig die Doppelmonarchie ist.
Mit dem Ersten Weltkrieg entsteht aber ein neuer Impuls, und das auch in den Böhmischen Ländern:
„Der Erste Weltkrieg zeigte, dass die Argumente der Gegner falsch waren. Nachdem die Männer an die Front berufen waren, übernahmen die Frauen zu großen Teilen ihre Tätigkeiten. Damit bewiesen sie, dass sie auch jene Berufe ausüben können, die als Männerdomäne galten“, so Gelnerová.
Die Staatsgründung 1918 bedeutet dann den Umbruch. Zunächst werden auch Frauen in die verfassungsgebende Versammlung kooptiert. Und die Bürgerinnen nehmen sogar schon im Juni des darauffolgenden Jahres an den Kommunalwahlen teil – also noch bevor ihnen das Stimmrecht verfassungsmäßig zugesichert wird. Und bei den folgenden Urnengängen zeigt sich, dass Frauen genauso interessiert sind am politischen Geschehen und ebenso häufig wählen gehen wie die Männer.
Und die ersten Frauen finden auch den Weg in die höchsten politischen Vertretungen. Eine von ihnen ist Františka Plamínková. Die Politikerin der Volkssozialisten zieht 1925 als Senatorin in den Nationalrat ein. Zweimal kann sie ihr Mandat danach verteidigen. Sie stammt aus der kleinbürgerlichen Familie eines Schusters, in die sie 1875 als jüngste von drei Schwestern geboren wird. Dazu die Politikwissenschaftlerin Gelnerová:„Ihr Lebensthema war der Kampf für die Rechte der Frauen. Zunächst tat sie das als Aktivistin und nach der Gründung der eigenständigen Tschechoslowakei als Politikerin. Sie setzte sich vehement dafür ein, dass die Rechte auch in die Praxis umgesetzt werden. Ihr war klar, dass mit der Erzielung des Wahlrechts der Kampf für eine Gleichstellung noch längst nicht zu Ende war. Und dass es weiter viele Vorurteile gab, deren Abbau ein langer Weg sein werde.“
Frauenrechtlerinnen im Parlament
Plamínková hat aber Mitstreiterinnen bei den Volkssozialisten und in weiteren Parteien…„Die weiblichen Abgeordneten beschäftigten sich im tschechoslowakischen Parlament meist mit Themen, von denen sie überzeugt waren, dass diese gerade Frauen unter den Nägeln brennen. Selbst sagten sie, dass sie für die Frauen sprechen wollten. Eines der Themen war eine Reform des Bürgerlichen Gesetzbuches von 1811, das während der gesamten Zeit der Ersten Republik in Kraft blieb. Dieses Gesetzbuch war diskriminierend, die Frauen wurden darin den Männern unterstellt. Ein weiteres Thema war die Frage, wie Familie und Beruf in Einklang gebracht werden können. Damals gingen viele Frauen bereits einer Arbeit außer Haus nach, zugleich war die Gesellschaft immer noch patriarchalisch geprägt. Und Frauen galten als diejenigen, die sich hauptsächlich um den Haushalt und die Kinder kümmern sollten“, so Jitka Gelnerová.
Ebenfalls diskutiert wird über das Recht von Frauen, über ihren eigenen Körper bestimmen zu können. Das bedeutet etwa, dass Abtreibungen legalisiert werden sollen. Dazu kommt es aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg.
Die erwähnte Politikerin Františka Plamínková wiederum reagiert auch auf den aufkommenden Faschismus und Nationalsozialismus, wie die Politologin sagt:„Für sie war der Kampf für die Rechte der Frauen gleichbedeutend mit dem Kampf für die Demokratie. Ab den 1930er Jahren wandte sie sich gegen den Nationalsozialismus, später ging sie sogar in den Widerstand. Unter anderem schrieb sie einen offenen Brief an Hitler. Und sie zögerte auch nicht, ihr Leben aufs Spiel zu setzen in ihrem Einsatz für die Demokratie.“
Den Brief an Hitler schreibt Plamínková im September 1938 während der sogenannten Sudetenkrise. Als die Deutschen am 15. März 1939 dann Böhmen und Mähren besetzen, ist sie zwar bereits nach Skandinavien geflüchtet. Doch sie kehrt zurück und sagt, „in der schweren Lage“ wolle sie „ihr Volk nicht im Stich lassen“. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wird die Ex-Politikerin erstmals von der Gestapo verhaftet, dann jedoch wieder freigelassen. Nach der Ermordung des stellvertretenden Reichsprotektors Reinhard Heydrich verschleppt man sie aber ins Gestapo-Gefängnis in Terezín / Theresienstadt. Františka Plamínková wird am 30. Juni 1942 hingerichtet.