Wurzeln in Böhmen? Ein Wegweiser für Ahnenforscher

Stammbaum der Adelsfamilie Sternberg (Foto: Zdeňka Kuchyňová)

Wer war mein Ur-Großvater? Woher kam meine Ur-Großmutter? Wie lebten meine Vorfahren?

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Unzählige Menschen sind fasziniert von der Suche nach den eigenen Vorfahren. Immer mehr Hobbyforscher wagen die schwierige Aufgabe, in Kirchenbüchern zu stöbern, unlesbare Schriften zu entziffern und Geheimnisse in der Geschichte der eigenen Familie zu enthüllen. Doch wie soll man dabei vorgehen? Einige Ratschläge hat Stefan Scholz parat. Er ist Historiker an der Karlsuniversität in Prag:

„Es gibt eine Methodik, die für alle Ahnenforscher weltweit verbindlich ist. Diese sollte man einhalten, um Leerläufe zu verhindern. Sehr viele nicht professionelle Ahnenforscher machen den großen Fehler, dass sie sofort in die Archive gehen, dort zahllose Stunden verbringen und nichts finden.“

Dachbodenforschung

Um das zu vermeiden, sollte man zuerst im eigenen Haus recherchieren, unterstreicht der Genealoge:

„Am Anfang steht die Oral History. Man sollte alte Familienmitglieder, die Großmutter oder den Großvater befragen, wenn sie noch leben. Das hat den Vorteil, dass man Dinge erfährt, die diese Leute sonst ins Grab mitnehmen würden. Es hat aber einen Nachteil: Diese Menschen können Dinge verwechseln, wenn sie schon an Gedächtnisschwund leiden. Man muss also sehr vorsichtig sein. Deshalb, im zweiten Schritt, bleibt man noch immer im eigenen Haus, schaut sich aber die schriftlichen Dokumente an, die sich in der Familie erhalten haben.“

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Das heißt, man sollte die Privatarchive und den Nachlass von schon verstorbenen Familienmitgliedern durchforsten.

„Es ist – kurz gesagt – eine Dachbodenforschung. Erst wenn man das alles abgeschossen hat, also die mündlichen und schriftlichen Quellen aus dem eigenen Haus, dann geht man in die Archive. Am besten besucht man die staatlichen sowie kirchlichen Archive und man schaut sich Matrikel, Tauf-, Heirats- und Sterbebücher an. So kann man versuchen, alles zu verifizieren.“

Die Ahnenforschung gleiche eigentlich der Archäologie, sagt der Historiker:

„Die Archäologen graben von oben nach unten, also von den jüngsten Schichten zu den ältesten. Das ist auch die Vorgangsweise des Genealogen: Von der ersten Erbordnung, also den Geschwistern der Eltern, geht man in die Generation der Großeltern, in die Generation der Ur-Großeltern, und dann immer weiter. Man versucht zunächst einmal einen Stammbaum er direkten Vorfahren zu machen. Nach dem Stamm versucht man die Äste zu rekonstruieren, also die Geschwister, die verschiedenen Linien und Nebenlinien.“

Die Genealogie ist eine Teildisziplin der Geschichtswissenschaft und eigentlich der Arbeitsbereich von professionellen Forschern. Heute versuchen aber immer mehr Laien, ihre Vorfahren aufzuspüren:

„Natürlich ist das möglich. Es gibt genealogische Gesellschaften, wo man das auch lernen kann. Aber es ist sehr viel Selbststudium notwendig.“

Drei Sprachen und alte Schriften

Stefan Scholz nennt einige Voraussetzungen, die man für eine erfolgreiche Forschung braucht:

„Die Grundvoraussetzung als Handwerkszeug ist – hier in den Verhältnissen der Tschechischen Republik – eine perfekte Kenntnis der drei Sprachen, die in den Quellen auftauchen. Das ist Deutsch, Tschechisch und Latein.“

Eine weitere Sache sind paläographische Kenntnisse:

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„Man muss die alten Schriften lesen können. Auch in der tschechischen Sprache hat man bis ins 18. Jahrhundert Kurrent verwendet, also die deutsche Schreibschrift. Diese ist im 16. Jahrhundert noch sehr gut zu entziffern, im 17. Jahrhundert wird sie aber immer weniger lesbar, sie verflacht sich. Die Leute hatten immer weniger Zeit zu schreiben, und die Handschriften wurden immer unleserlicher.“

Der Historiker nennt noch eine dritte Voraussetzung für eine erfolgreiche Suche nach den Vorfahren:

„Man muss wissen, wo man suchen soll. Und dafür muss man die Verwaltungsgeschichte kennen. Man muss wissen, wie sich die Region, in der die Vorfahren gelebt haben, entwickelt hat. Denn die Tauf-, Heirats- und Sterbebücher sind nur die Kernquellen, aber mit diesen alleine kommt man nicht weiter. Dazu braucht man dann sehr viele anderen Parallelquellen über die Einwohnerevidenz. Und um zu wissen, wo diese Dinge liegen, muss man einen Überblick haben, wie die Region organisiert war, wie sich die Bezirksteilung geändert hat und so weiter.“

Kernquellen online

Illustrationsfoto: Government & Heritage Library,  State Library,  Flickr,  CC BY 2.0
Beginnt ein Genealoge seine Ahnenforschung in Deutschland, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er bei der Recherche in tschechischen Archiven landet. Mehr als drei Millionen Deutsche haben nämlich einmal in den böhmischen Ländern beziehungsweise der Tschechoslowakei gelebt. In einem solchen Fall ist die Suche aber nicht gleich verloren. Denn ein großer Teil der Kirchenbücher wurde in den letzten Jahren digitalisiert und ins Netz gestellt. Wie kommt man aber da dran?

„Es gibt eine sehr schöne Webseite der Česká archivní společnost (Tschechische Archivgesellschaft, Anm. d. Red.), und da gibt es eine Unterrubrik der genealogischen Quellen. Da findet man eine Karte der Tschechischen Republik mit ihren vierzehn Verwaltungskreisen und sieht einen Überblick der Internet-Archive. Es sind keine Datenbanken, sondern Online-Archive. Das heißt, dass die Matrikeln dort einfach digitalisiert sind. Man kann dort nicht einen Familiennamen eingeben und eine Trefferliste bekommen, man erspart sich nur den Weg ins Archiv. Das, was man normalerweise im Archiv machen würde, direkt über dem Buch sitzen und darin blättern und lesen, das macht man digital. Es erspart einem aber nicht das Transkribieren von unleserlichen Schriften.“

Matrikelbücher  (Foto: David Hertl,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Unter anderem dank des österreichisch-tschechischen Digitalisierungsprojekts Acta publica und ähnlicher Vorhaben ist heute die Einsicht in viele Kirchenbücher möglich. Dabei muss man aber wissen, in welcher Gemeinde die Vorfahren lebten, und welcher Pfarrei diese Gemeinde zugeordnet war. Im Online-Verzeichnis der staatlichen Regionalarchive (Státní oblastní archiv) findet man dann die entsprechenden Bücher mit Aufzeichnungen über Taufen, Trauungen und Todesfälle. In einem Eintrag etwa über die Geburt eines Kindes findet man auch die Namen der Eltern und Angaben über deren Abstammung sowie die Nummer des Hauses, in dem das Kind zur Welt kam. Mit Hilfe dieser Angaben und Anhaltspunkte kann man dann tiefer in der Vergangenheit weiterforschen. Die Matrikelbücher sind aber nicht die einzigen Quellen:

„Es gibt auch Heimatrechtsbücher, Meldezettel oder Erhebungsbücher von Volkszählungen. Man kann auch in Archiven von Betrieben suchen, bei denen die Vorfahren gearbeitet haben. Auch die Pensionsversicherungsanstalten gab es schon im 19. Jahrhundert, ebenso die Steuer- und Gerichtsakten. Von den Grundbüchern und Katastralbüchern ganz zu schweigen, mit ihnen kommt man sehr weit. Die Flurregister, auf Tschechisch lánový rejstřík, Stadtbücher, Hausparzellenbücher, Parzellenprotokolle und so weiter.“

Stammbaum der Adelsfamilie Sternberg  (Foto: Zdeňka Kuchyňová)
Bei diesen ergänzenden Quellen sei man bisher aber nicht sehr weit mit der Digitalisierung, warnt der Experte. Da muss man in der Regel wirklich vor Ort sein und sich die Dokumente im Original ansehen.

Stammbaum bis 1650

Doch wie weit zurück in der Vergangenheit kommt man in der Regel bei der Suche nach seinen Ahnen?

„Das hängt ganz vom sozialen Status ab. Es gibt bestimmte Adelsfamilien hier in Böhmen, die Sternbergs ganz sicher, wo man sogar bis ins zwölfte Jahrhundert kommt. Also wenn man aus den sehr privilegierten Schichten stammt, kann man möglicherweise einen Stammbaum vom 13. oder 12. Jahrhundert beginnend machen. Das sind aber Ausnahmeerscheinungen und betrifft ein oder ein halbes Prozent der Bevölkerung. Für die Durchschnittsbürger, also bäuerliches und bürgerliches Milieu, ist die Mitte des 17. Jahrhunderts eine Grenze.“

Konzil von Trient  (Quelle: Wikimedia Commons,  Public Domain)
Das hänge mit den Dekreten zur Reform der katholischen Kirche zusammen, die auf dem Konzil von Trient beschlossen wurden, sagt der Historiker:

„Das Tridentinum kam bereits im 16. Jahrhundert mit der Forderung, dass in allen Pfarreien Tauf-, Heirats- und Sterbebücher angelegt werden sollen. Man hat es aber leider nicht konsequent gemacht. Das kam erst mit Maria Theresia. Da hat der Staat wirklich den Pfarrern befohlen, sie müssen diese Matrikel anlegen und Pfarrchroniken schreiben. Vorher ist das nur vereinzelt passiert.“


In der nächsten Ausgabe der Sendreihe Forum Gesellschaft zum Thema Genealogie beschreibt der Historiker Stefan Scholz seine eigene Arbeit. Am Beispiel der „Causa Hübner“ zeigen wir, dass die Recherchen nicht immer reibungslos verlaufen und welche Probleme auftreten können.