Träume vom Fliegen… und der Freiheit

Foto: Ian Willoughby

Petr Sís gilt in Deutschland als amerikanischer Künstler, aber er stammt aus dem mährischen Brno / Brünn. Nun stellt er im Prager Zentrum DOX aus. Es geht ums „Fliegen und weitere Träume“, wie der Titel der Schau heißt, aber eigentlich ist die Freiheit das zentrale Thema.

Petr Sís  (Foto: Ian Willoughby)

Foto: ČTK / Kateřina Šulová
Petr Sís schreibt und illustriert Bilderbücher. Seit den 1980er Jahren ist der Wahl-Amerikaner zu einem Autor von Weltrang aufgestiegen. Im Prager Ausstellungszentrum DOX wird der Besucher mitgenommen auf eine Reise. Sie führt durch fünf Kinder-Geschichten von Sís. Den Anfang macht „Die Konferenz der Vögel“, sie beruht auf einem persischen Epos aus dem 12. Jahrhundert. Demnach sieht sich der Dichter Attar eines Morgens in einen Wiedehopf verwandelt. Gegenüber dem Tschechischen Fernsehen erläuterte Petr Sís im Vorfeld der Ausstellungseröffnung:

„Als die Vögel aus aller Welt zur Beratung zusammenkommen, sagt der Wiedehopf: ‚Wir sind in großer Gefahr, aber auf dem Berg Kaf in China lebt der Vogel Simurgh, der uns alle retten kann‘.“

Autobiographische Geschichten

Foto: ČTK / Kateřina Šulová
Petr Sís erzählt – wie auch in anderen Büchern – eigentlich seine eigene Geschichte. 1982 flog er über den Atlantik und fand erst dort die Freiheit, die er gesucht hatte. Vor anderthalb Jahren schilderte der Künstler in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks, wie er dem kommunistischen Regime entkam:

„Das war gar nicht geplant, es hat sich einfach so entwickelt. Ursprünglich flog ich in die USA, um einen Zeichentrickfilm über die Olympischen Spiele in Los Angeles zu machen. Dazu war ich eingeladen worden. Außerdem ergab es sich, dass ich für Bob Dylan einen Film für den neuen Fernsehsender MTV anfertigen sollte. Als ich voll in der Arbeit steckte, kam ein Telegramm aus der Tschechoslowakei, dass ich sofort zurückkehren müsste. Denn die Sowjetunion und der Ostblock hatten beschlossen, die Olympischen Spiel zu boykottieren.“

Petr Sís  (Foto: ČTK / Michal Kamaryt)
Doch Petr Sís kehrt nicht zurück in seine Heimat – zunächst weil er eigentlich die Filmprojekte beenden will. Dann fällt ihm aber einfach nicht ein, wie er seine verzögerte Rückkehr gegenüber den Genossen in Prag hätte erklären können. Als er dann den Auftrag zu seinem ersten Bilderbuch erhält, bleibt er einfach beim Klassenfeind in den USA.

„Das war gerade in der Zeit, als von mir so etwas wie Anmeldungen und Stempel verlangt wurden. Wie in meinen Büchern dachte ich, dass ich irgendwo hinfahren und frei sein kann. Natürlich habe ich dann festgestellt, dass es keinen solchen Ort gibt, sondern dass man diese Freiheit bei sich selbst finden muss“, so Petr Sís.

Mit dem ersten Auftrag beginnt er seine Karriere als Kinderbuchautor. Diese bringt ihm viele Auszeichnungen ein, so auch den prestigereichen Hans-Christian-Andersen-Preis.

Der Himmel als Symbol

Foto: Ian Willoughby
Bei der Arbeit in seinem Atelier in New York kehrt der Künstler immer wieder in die Zeit zurück, in der er selbst klein war. So etwa in den „Drei goldenen Schlüsseln“ oder in seinem Robinson-Crusoe-Buch. Anderswo taucht auch wieder das Motiv des Fliegens auf. Denn sein Vater produzierte früher Filme für die tschechoslowakische Armee unter anderem auch über Kampfpiloten. Und der kleine Sohn durfte sich damals dann zum Beispiel in eines der alten Flugzeuge setzen:

„Für mich war das so, als ob ich auf einmal abheben würde und wo auch immer hinfliegen könnte. Man war einfach über der Erde. In der Pubertät wurde mir dann aber klar, dass ich nicht einfach so weggehen konnte, maximal nach Ostdeutschland. Der Himmel wurde dann für mich das Symbol dafür, dass man beim Fliegen jede Mauer und jede Grenze überwinden kann, ohne gestoppt zu werden.“

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Um das Fliegen geht es etwa auch in „Der Pilot und der kleine Prinz“, in diesem Buch wird die Lebensgeschichte des Autors Antoine de Saint-Exupéry erzählt. Im DOX gibt es dazu auch einen abgedunkelten Raum mit funkelndem Sternenhimmel. Doch das Fliegen ist – wie der Titel verrät – nur einer von vielen Träumen, die die Ausstellung zeigt. Was hat es aber für Petr Sís mit diesem Thema auf sich?

„Träume können das Schönste sein, das man als Kind hat. Sie können auch Erwachsenen als Stütze dienen. Obwohl es scheint, dass sie mit zunehmendem Alter häufiger schlecht sind als zart und unschuldig. Träume sind faszinierend und können auch inspirieren. Ich habe aber oft auch solche, aus denen ich verzweifelt versuche aufzuwachen, weil sie so schrecklich sind. Viele von ihnen sind kafkaesk, in ihnen versucht mich ein Beamter zu fassen und einzusperren oder festzuhalten. Aber vielleicht geht das heute allen Menschen auf der Welt so“, glaubt der Künstler.

Petr Sís  (Foto: ČTK / Michal Kamaryt)
Schöne Träume als Kind? Der kleine Petr Sís war eigentlich in der Welt des Kommunismus eingeschlossen – nur dass er dies zunächst nicht so empfunden hat. Der Autor hat dies für die Kinder aus den USA und aus anderen Ländern einmal beschrieben. Ein Bild aus dem entsprechenden Buch ist für die Ausstellung im DOX stark vergrößert worden. Dazu Sís selbst:

„Das ist eine Seite aus dem Buch, in dem ich zeige, wie alles auf mich als kleinen Pionier gewirkt hat. Dass Lenin und Stalin für mich irgendwelche komischen Götter waren. Dazu kamen die Aurora und die Militärparaden. Aber es gab auch die Kindergeschichten, mit denen ich aufgewachsen bin, wie Čuk a Gek oder Maresjev, der ohne Beine kriecht. Timur und seine Bande hatte ich besonders gerne.“

Wandteppiche für Amnesty

Foto: Ian Willoughby
Seit einiger Zeit stellt Petr Sís auch Tapisserien her. Das heißt, er entwirft die Bilder für die großen Wandteppiche. Das alles geschieht auf Initiative der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Unter anderem hängt in einem Museum in New York ein solcher Teppich, der John Lennon zeigt, wie er auf einem gelben U-Boot die Insel Manhattan überfliegt – angelehnt an den Beatles-Song „Yellow Submarine“.

Doch die erste entsprechende Arbeit entstand bereits 2012, und sie ist am Ende der Ausstellung zu sehen. Es ist ein Vogelschwarm in Form eines fliegenden Menschen, auf dem Weg ins Unbekannte. Die weißen Vögel sind gerade über der Prager Burg. Das Motiv gehört zu einer Tapisserie, die an den damals verstorbenen ehemaligen tschechischen und tschechoslowakischen Staatspräsidenten Václav Havel erinnert. Eigentlich hängt das Werk im Prager Flughafen, der ja Havels Namen trägt, und zwar im Verbindungsgang zwischen Terminal 1 und 2. Mit diesem Wandteppich schließt sich im DOX der Kreis, der mit der „Konferenz der Vögel“ begonnen wurde.


Die Ausstellung „Über das Fliegen und andere Träume“ im Prager Kulturzentrum DOX läuft noch bis 20. Januar kommenden Jahres. Neben den fünf Büchern werden unter anderem auch eine Serie von Kollagen gezeigt und drei Zeichentrickfilme von Sís, darunter auch jener, mit dem der Autor 1980 den Goldenen Bären auf der Berlinale gewann. Das DOX ist täglich außer dienstags geöffnet, und das zu unterschiedlichen Zeiten. Mehr dazu auf der Website www.dox.cz.

Foto: Ian Willoughby
Autor: Till Janzer
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