Ungeklärter Tod eines afghanischen Attentäters
Nur einige wenige Menschen wissen wohl, was in der Nacht des 22. Oktober vergangenen Jahres auf dem Militärstützpunkt Shindand in Afghanistan wirklich passiert ist. Am Tag hatte ein 19-jähriger afghanischer Soldat auf eine Patrouille tschechischer Soldaten geschossen. Einer der Militärs wurde getötet, zwei weitere verletzt. Stunden später ist auch der Angreifer tot. War er bei Verhören gefoltert worden? Haben sich vielleicht sogar Tschechen eines Kriegsverbrechens schuldig gemacht? Diesen Fragen gehen amerikanische Ermittler nach – und seit Ende Juli auch die tschechische Militärpolizei.
Was danach mit dem Attentäter auf dem Stützpunkt Shindand passiert ist, dem ist Jaroslav Spurný nachgegangen. Der Journalist von der Wochenzeitung „Respekt“ hat versucht, das Puzzle an Informationen zusammenzusetzen. Allerdings ist vieles bisher unklar. Eines ist aber belegt, wie Spurný vergangene Woche in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks erläuterte:
„Wahidullah Khan ging nach den Schüssen zu seinem Vorgesetzten, übergab ihm seine Waffe und bekannte sich zu der Tat mit den Worten: ‚Ich habe gerade einen Amerikaner getötet‘. Seine afghanischen Kameraden nahmen ihn dann fest und kleideten ihn in Zivil. In der Folge kam heraus, dass der getötete Nato-Soldat nicht Amerikaner, sondern Tscheche gewesen ist. Die Afghanen meldeten dies der tschechischen Führung. Wenn ein Soldat unter solchen Umständen umkommt, haben die Soldaten der Nato-Kräfte das Recht, den mutmaßlichen Terroristen zu verhören.“Angriff aus den eigenen Reihen
Dieses Vorgehen nennt sich taktisches Verhör. Man will herausfinden, ob der Verdächtige an eine Terrororganisation angebunden war, ob er Hintermänner hatte und was ihn zur Tat bewegt hat. Da sich Wahidullah Khan zuvor gestellt hatte, kommt es bereits in den nachfolgenden zwei Stunden zum Verhör. Über den Verlauf solcher Befragungen wird normalerweise ein Protokoll geführt Doch Jaroslav Spurný sagt:
„Es gibt keinerlei Aufzeichnungen über das Verhör von Wahidullah Khan, das die tschechischen Soldaten geführt haben. Entweder sind sie verloren gegangen, oder es wurde gar kein Protokoll angefertigt. Aus unterschiedlichen Quellen weiß ich nur, dass sich die Aussagen der Soldaten zum Verlauf der Befragung relativ stark voneinander unterscheiden. Das ist das erste große Problem dieses Falls.“Viele dieser Informationen stammen aus den derzeitigen Ermittlungen der tschechischen Militärpolizei und aus jenen der amerikanischen Militärstrafverfolgungsbehörde CID. Demnach verhören auch die amerikanischen Truppen Wahidullah Khan noch einmal zwei bis drei Stunden. Dann übernehmen erneut die Tschechen den Todesschützen, aber nur um ihn zu bewachen. Nach ungefähr einer Stunde kommen afghanische Soldaten und wollen ihn in eine Zelle bringen. Zu dieser Situation gibt es unterschiedliche Aussagen.
„Die ursprünglichen Aussagen der tschechischen Soldaten lauten wie folgt: Als die afghanischen Militärs Wahidullah Khan übernahmen, sei dieser auf eigenen Beinen gegangen. Die afghanischen Zeugen sagen aber, dass Khan bereits da nicht mehr laufen und sitzen konnte. Deswegen seien sie mit einem Kastenwagen gekommen, hätten den Verdächtigen dort hineingeladen und ihn ins eigene Untersuchungsgefängnis gebracht“, erläutert Spurný.An den ursprünglichen Aussagen der tschechischen Soldaten hat der Journalist jedoch starke Zweifel, nachdem er den Ermittlungsstand der Amerikaner einsehen konnte:
„Es ist nahezu sicher, dass Wahidullah Khan nicht von seinen eigenen Leuten geschlagen worden sein kann. Denn ab da ist der Verlauf auf die Minute dokumentiert. Die afghanischen Militärs brachten ihn in die Zelle, dort wurde Khan bewusstlos. Sie riefen einen afghanischen Arzt, der hat dann versucht, ihn wieder zu Bewusstsein zu bringen.“
Als das nicht klappt, wird Wahidullah Khan zunächst in eine Praxis gebracht. Dort werden schwere Verletzungen festgestellt, und der junge Mann wird in ein amerikanisches Militärkrankenhaus verfrachtet. Nach einer weiteren Stunde, in der die Ärzte vergeblich versuchen, Khan wieder zu Bewusstsein zu bringen, stirbt dieser. Im Obduktionsbericht heißt es nachher, der Grund seien tödliche Verletzungen gewesen.Blut überall im Verhörraum
Umgehend nimmt die amerikanische CID ihre Ermittlungen auf. Am nächsten Tag untersuchen die Militärstrafverfolger den Raum, in dem die Verhöre durch die Amerikaner und die Tschechen stattgefunden haben.
„Sie fanden an vielen Stellen in dem Raum Blut von Wahidullah Khan: an den Möbeln, auch am Stuhl, auf dem er saß, aber zudem an der Wand und sogar an der Decke. Die tschechischen Soldaten haben in den Ermittlungen gesagt, dass sie Khan nicht geschlagen hätten. Doch es gibt Aussagen der amerikanischen Soldaten und des afghanischen Übersetzers gegenüber der CID, dass Wahidullah Khan bereits bei ihrer Übernahme von den Tschechen in einem schlechten Zustand gewesen und wohl geschlagen worden sei“, so Spurný.Es steht also Aussage gegen Aussage. Doch auch die tschechische Seite nimmt Ermittlungen auf zum Tod des mutmaßlichen Attentäters und zu den Schüssen auf die eigenen Soldaten. Dazu schickt Prag eine militärische Untersuchungskommission nach Shindand. Laut den Informationen von Spurný geht diese aber äußerst schlampig vor. Der Verhörraum wird nicht unter die Lupe genommen, nach dem Verhörprotokoll wird nicht gesucht, und die Befragung der tschechischen Soldaten bleibt oberflächlich.
Am 27. November veröffentlicht die New York Times einen Artikel zum ungeklärten Tod von Wahidullah Khan. Die Journalisten haben dazu auch seine Eltern befragt. Demnach war ihr Sohn kein Terrorist, sondern er wollte den Tod eines Verwandten rächen. Zudem bestätigt ein Pathologe der Times, dass der junge afghanische Soldat an den Folgen von Folter gestorben sei.Aus Prag reagiert Verteidigungsminister Lubomír Metnar auf den Artikel. Er sagt, seine Informationen schlössen aus, dass tschechische Soldaten an dem Tod des afghanischen Attentäters beteiligt gewesen seien. Dem Fall gehen dann die Behörden hierzulande auch nicht weiter nach. Außerdem wird die Staatsanwaltschaft nicht informiert, wie dies eigentlich vorgeschrieben ist. Laut Spurný drängt man sogar wohl die tschechische Militärpolizei dazu, selbst nicht aktiv zu werden und die Schlüsse der Untersuchungskommission zu übernehmen. Doch die amerikanische CID ermittelt weiter. Und in den USA wundert man sich über die mangelnde Kooperation von tschechischer Seite. Dazu Spurný:
„Anfang Mai diese Jahres schloss die CID ihre Ermittlungen ab. Für sie war danach sehr wahrscheinlich, dass die tschechischen Soldaten Wahidullah Khan erschlagen haben. Deswegen kontaktierten sie die tschechische Militärpolizei. Dieser übergaben sie einen Bericht über ihre Ermittlungen. Dies geschah aber nicht auf offiziellem Weg, sondern eher konspirativ in Afghanistan. Die Militärpolizei leitete dann eigene Ermittlungen ein und übergab den Fall der tschechischen Staatsanwaltschaft. Erst ab da, mehr als ein halbes Jahr nach dem Tod von Tomáš Procházka und Wahidullah Khan, liefen also die Nachforschungen an.“Ermittlungen erst sieben Monate später
Diese richten sich zunächst gegen vier Mitglieder der tschechischen Militärkommission, die im Oktober vergangenen Jahres nach Afghanistan geschickt worden ist. Der Vorwurf lautet: ein schweres Verbrechen nicht gemeldet zu haben. Über mögliche nachfolgende Ermittlungen zum Tod von Wahidullah Khan ist bis heute nichts bekannt. Dennoch wagt Jaroslav Spurný auch eine Einschätzung dieses Falles:
„Die tschechische Staatsanwaltschaft scheint wie ihre amerikanischen Kollegen und die US-Militärpolizei davon überzeugt zu sein, dass es hier zu einer schweren Straftat gekommen ist. Denn der zugehörige Paragraf lässt sich nur in ernsten Fällen wie einem Mord oder schwerer Korruption anwenden. Und die ermittelnden Behörden scheinen auch zu dem Schluss gekommen zu sein, dass die tschechische Armee versucht hat, alles unter den Teppich zu kehren.“Die tschechische Öffentlichkeit erfährt davon aber erst vor knapp zwei Monaten, als eine eigentlich geheime diplomatische Note aus Kabul nach Prag bekannt wird. Außenminister Tomáš Petříček bestätigt gegenüber dem Tschechischen Rundfunk den Erhalt der Note, ohne aber den Inhalt zu nennen. Spurný sagt, seinen Informationen nach stehe dort, dass die afghanische Seite den Tod von Wahidullah Khan als Kriegsverbrechen bewerte. Das würde bedeuten, so der Journalist, dass der Fall sogar vor ein internationales Strafgericht kommen könnte. Mittlerweile ist auch Verteidigungsminister Metnar vorsichtiger geworden in seinen Aussagen. Anfang August sagt er:
„Sollten die Ergebnisse der Ermittlungen zeigen, dass tschechische Soldaten internationales Recht gebrochen haben, dann werden selbstverständlich daraus Konsequenzen gezogen.“