„In Prag kann ich frei forschen“
Die tschechische Akademie der Wissenschaften hat am Mittwoch die Otto-Wichterle-Preise verliehen. Die Auszeichnungen gehen an junge Wissenschaftler bis 35 Jahre für hervorragende Forschungsleistungen. Sie sind jeweils mit 330.000 Kronen (12.700 Euro) dotiert. Unter den 23 Geehrten war auch der aus Deutschland stammende Geowissenschaftler Michael Warsitzka, der aber in Tschechien beschäftigt ist.
„Sedimentbecken ist sehr weitgefasster Begriff für meine Forschung. Im Speziellen geht es um Salzsedimente, die sich durch Eindampfung von Meerwasser ablagern. Diese Sedimente haben die besondere Eigenschaft, dass sie über geologische Zeiträume fließfähig sind und dadurch besondere Strukturen in Sedimentbecken bilden, sogenannte Diapiren. Das sind kilometergroße Aufwölbungen in einem Sedimentbecken. Ich beschäftige mich speziell damit, wie diese Initiierung von diesen großen Salzgesteinaufwölbungen stattfinden kann.“
Wie sieht konkret Ihre Arbeit aus? Erfolgt sie im Labor, am Computer oder im Freien?
„Ich beschäftige mich damit, wie die Initiierung von großen Salzgesteinaufwölbungen stattfinden kann.“
„Sie besteht im Prinzip aus zwei Zweigen. Das eine ist Laborarbeit. Ich versuche in einem sogenannten Analoglabor, also einer Art Sandkastenlabor, die großen geologischen Strukturen im Kleinen nachzubilden, um dadurch die Deformationsvorgänge beobachtbar zu machen. Der andere Zweig findet am Computer statt. Dabei geht es um geologische Daten, das heißt geologische Profile, seismische Daten oder Bohrdaten. Ich fasse sie zu einem geologischen Modell zusammen, und auf Basis dieses Modells werden die realen geologischen Strukturen, die sich gebildet haben, rekonstruiert. Das heißt, die Deformation wird nach und nach zurückentwickelt, bis man das Anfangsstadium wieder erreicht hat.“
Worauf zielt diese Forschung? Finden Ihre Erkenntnisse eine praktische Anwendung?„Meine Forschung ist an sich eher grundlagenbasiert. Aber die Ergebnisse daraus werden natürlich publiziert und können für angewandte Forschungsfelder nützlich sein. Das kann zum Beispiel die Erdölindustrie sein, denn neben diesen großen Salzstrukturen befinden sich häufig Erdölreservoire. Man will in der Erdölindustrie immer wissen, wann und wo sich bestimmte Erdölfallen gebildet haben. Wenn man weiß, wann sich die Struktur gebildet hat, kann man rückschließen, wann sich die Erdölquelle gebildet hat. Ein anderer wichtiger Zweig ist die Endlagerung von radioaktiven oder chemischen Abfällen. Salzstrukturen bieten wahrscheinlich eine gute Möglichkeit, diese abgeschlossen von der Biosphäre oder Hydrosphäre über lange Zeiträume zu lagern. Da Salzgestein für Flüssigkeiten undurchlässig ist, können diese Abfälle zum Beispiel in alten Salzbergwerken verklappt und vielleicht – die Forschung ist natürlich noch in der Arbeit – über mehrere Millionen Jahre von der Umwelt geschützt aufbewahrt werden.“
„Die Ergebnisse können in der Erdölindustrie und bei Endlagerung von problematischen Abfällen nützlich sein.“
Sie arbeiten seit sechs Monaten am Institut für Geophysik der tschechischen Akademie der Wissenschaften. Wieso sind Sie nach Prag gegangen?
„Die Stelle war ausgeschrieben, und ich habe mich sofort beworben. Dann wurde ich zum Gespräch eingeladen. Vonseiten der Akademie wurde mir die Möglichkeit angeboten, frei und unabhängig zu forschen, und das an meinem eigenen Thema, das ich bereits in meiner Doktorarbeit begonnen habe. Das Gute war auch, dass hier ein Labor gerade im Aufbau ist. Ich kann also dazu beitragen, das Labor mitaufzubauen und weiterzuführen. Solche Stellen, an denen man wirklich frei die Möglichkeit hat zu forschen, gibt es relativ selten.“
Also hat Sie vor allem diese Forschungsfreiheit nach Prag gelockt…„Genau. Ich meine, in der Wissenschaft frei zu sein, ist immer etwas Gutes. Man ist nicht gezwungen, auf Industriegelder angewiesen zu sein oder die Forschungsarbeiten von einem Supervisor verfolgen zu lassen. Sondern man kann in Richtungen gehen, Denkweisen und neue Methoden ausprobieren, die man für besser hält.“
Sie haben zuvor in Deutschland gearbeitet. Unterscheidet sich die Welt der Wissenschaft dort und hier?
„Ich war zunächst an der Universität Jena angestellt. Die universitäre Forschung ist ein bisschen anders, denn man muss mehr Lehre machen und die Studenten betreuen. Ansonsten sind die Aufgabenfelder aber eigentlich ähnlich. Später war ich am Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam, und dort laufen die Arbeiten genau gleich, wenn man für ein Projekt das Geld angeworben hat. Man hat also sein Projekt, entwickelt eine gewisse Zielvorstellung und beginnt mit seiner Forschung. Das ist hier nicht anders. Das GFZ an sich ist ein viel größeres Institut mit mehr Angestellten, mehr Gerätschaften und finanzieller Ausstattung, was einfach daran liegt, dass es schon über lange Zeit existiert und auch viel mehr Forschungszweige ansässig sind als hier am Institut. Aber die Arbeit ist im Prinzip sehr ähnlich.“
In Tschechien wird sehr viel über die Abwanderung von jungen Experten ins Ausland gesprochen. Sie sind eine umgekehrte Richtung gegangen. Hat Sie etwas überrascht hier in Prag?„Ich habe in den letzten Monaten mitbekommen, dass viele Strukturen am Institut vielleicht etwas festgefahren sind. Mich hat ein bisschen überrascht, dass diese noch nicht so aufgebrochen wurden. Positiv überrascht hat mich hingegen, dass sehr viele Anstrengungen unternommen werden, um neue, junge Wissenschaftler anzuwerben und diese auch nach Möglichkeit ausreichend finanziell sowie mit Instrumenten und dem entsprechenden Arbeitsmilieu zu unterstützen. Neben meiner Stelle waren noch weitere Stellen ausgeschrieben, die auch teilweise besetzt sind. Man merkt wirklich der ganzen Gruppe an, dass es gut tut, wenn junge Leute aus mehreren Ländern und erfahrene Wissenschaftler zusammen in einer Gruppe arbeiten können.“
„Die Forschungsarbeit in Deutschland und in Tschechien ist im Prinzip sehr ähnlich.“
Arbeitet ein internationales Team in Ihrem Institut, oder sind Sie der einzige Ausländer dort?
„Im April hat noch ein Deutscher angefangen, den ich auch schon vorher vom Geoforschungszentrum kannte, sowie jemand aus Kanada. Dazu gab es mehrere Gespräche mit weiteren Kandidaten, die teilweise noch in der Entwicklung sind. Die Gruppe könnte sich also noch vergrößern.“
Haben Sie sich in Prag bereits eingelebt?
„Dazu muss man sagen: Ich pendle immer noch oft nach Berlin, weil meine Freundin dort wohnt. Wir haben dort eine gemeinsame Wohnung, so dass ich zum Wochenende, mindestens alle zwei Wochen, nach Berlin fahre. Ansonsten habe ich eine Wohnung vom Institut hier bekommen, das macht das Ganze einfacher. Ich musste eine Weile suchen, aber was mir immer wichtig war, ist Sport zu treiben. Ich spiele Basketball und habe jetzt zwei Teams gefunden, bei denen ich mittrainieren kann. Das hilft natürlich sehr bei neuen Kontakten und um abends etwas zu unternehmen. Es ist wichtiger Schritt, um mich hier wohlzufühlen. Außerdem gehe ich auch mit meinen Kollegen nach den Vorträgen abends in die Bar und so, um die Stadt ein bisschen kennenzulernen. Wobei ich sagen muss, dass ich schon etwa fünfmal in Prag war, bevor ich hier angefangen hatte. Ansonsten mag ich – wie gesagt – gerne Sport, dazu gehört ebenso das Fahrradfahren. Das ist immer eine sehr gute Möglichkeit, um die Gegend rund um Prag zu erkunden.“
Planen Sie also, länger hier zu bleiben?
„Auf jeden Fall. Ich kann jetzt nicht genau sagen, wie lange. Meine Freundin und ich haben es jetzt so eingerichtet, dass es mit dem Pendeln erstmal funktioniert. Von privater Seite ist das ein wichtiger Punkt. Und von wissenschaftlicher Seite habe ich natürlich auch geplant, hier länger zu bleiben. Meine Kollegen und ich haben jetzt Anträge für zwei Forschungsprojekte gestellt, diese werden im November hoffentlich positiv entschieden. Ein weiteres Projekt besteht mit Kollegen von der polnischen Akademie der Wissenschaften aus Warschau, und das ist auf zwei Jahre veranschlagt. Für die nähere Zukunft sind das wichtige Projekte, die sicher viel Spaß machen werden.“