Mit Motorsäge und Eisschrank zu Afrikas Gletschern

Ruwenzori-Gebirge (Foto: El.Sarmiento, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0)

Eigentlich klingt es wie ein Widerspruch: Eine Polarforscherin reist für ein Projekt nach Afrika. Konkret sogar in die Tropen. Genau dort will Marie Šabacká zu den letzten verbliebenen Gletscherresten auf dem Kontinent. Was die junge tschechische Wissenschaftlerin dort herausfinden möchte, dazu im Folgenden mehr.

Bei dem Projekt geht es um tropische Gletscher. In den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks erläuterte die studierte Biologin Marie Šabacká, was man sich darunter vorstellen muss:

„Tropische Gletscher sind schon deswegen ein Unikat, weil sie sich in sehr warmen Gegenden der Welt befinden und deswegen nur in sehr großen Höhen vorkommen. Es sind all jene Gletscher zwischen dem Wendekreis des Krebses und dem Wendekreis des Steinbocks. Sie unterscheiden sich von jenen in unseren Breiten dadurch, dass sie sich in Gegenden gleichbleibender Temperaturen befinden. Es gibt also keine Jahreszeiten.“

Forschung in 5000 Meter Höhe

Tropische Gletscher befinden sich in den Hochgebirgen rund um den Äquator, vor allem in den Anden, aber auch in Indonesien. Ziel für die 38-jährige Polarforscherin ist aber Afrika. Konkret soll es Anfang kommenden Jahres in das Grenzgebiet zwischen Uganda und der Demokratischen Republik Kongo gehen. Dort befindet sich das Ruwenzori-Gebirge. Bis auf 5109 Meter geht es dort hoch, die höchste Spitze nennt sich Margherita Peak.

„Das Ruwenzori-Gebirge befindet sich zum Großteil auf ugandischem Gebiet und zum kleineren Teil an der Grenze zur Demokratischen Republik Kongo. Es ist das dritthöchste Gebirge in Afrika und neben dem Kilimandscharo-Massiv und dem Mount Kenia das einzige mit Gletschern. Wir wollen im Januar und Februar dort hin. Unser Ziel ist es, Proben des Eises zu entnehmen und die Gletscher dort zu vermessen“, so die Wissenschaftlerin.

Genau dazu werden Marie Šabacká und ihre Team auch ausgerüstet sein mit einer Motorsäge – sowie einem Kühlschrank. Schließlich müssen die Gletscherproben heil den Weg finden in die tschechischen Laboratorien. Für das Projekt hat die Wissenschaftlerin eine Förderung erhalten vom Stiftungsfonds Neuron. Dieser wurde vom Mathematiker und Unternehmer Karel Janeček gegründet und unterstützt meist tschechische Forschungsprojekte. Monika Vondráková leitet den Verwaltungsrat des Fonds:

Monika Vondráková  (Foto: Archiv des Stiftungsfonds Neuron)
„Die geplante Expedition von Marie Šabacká halten wir für einzigartig, weil Gletscher noch viele Informationen über die Geschichte der Erde gespeichert haben. Zugleich stehen wir vor dem Problem, dass sie schmelzen. Das hat uns alarmiert. Denn wann, wenn nicht jetzt, können wir aus ihnen noch wichtige Daten herauslesen. Außerdem erkennen wir an, dass es sich um eine Frau handelt, die sich nicht vor großen Herausforderungen scheut.“

In einem Teil des Projektes geht es tatsächlich um Informationen über den Treibhauseffekt. Da die Tropengletscher ausschließlich durch Niederschlag entstanden sind, dürften sie Auskunft geben über die klimatischen Entwicklungen in diesem Teil der Welt.

Reiches Leben im Eis

Marie Šabacká selbst beschäftigt sich jedoch mit Mikroorganismen – und das ist der andere Teil des Projekts…

Mikrobielles Leben  (Foto: Archiv des Stiftungsfonds Neuron)
„Mittlerweile gibt es rund eintausend Studien über das Leben auf und in den Polargletschern, obwohl unser Wissen weiterhin sehr beschränkt ist. Über tropische Gletscher liegen hingegen nur vier Studien vor. Dabei ist dort das Leben nicht nur auf die Zeit des Sommers beschränkt, sondern ganzjährig vorhanden. Daher nehmen wir an, und dies haben die ersten Analysen auch bestätigt, dass es dort mehr zu entdecken gibt. Einige Organismen scheint es nur in diesen Gletscherregionen zu geben. So lassen sich auch Flechten nachweisen und mikroskopisch kleine Tiere, wohingegen in den Polargegenden und in den Alpen fast nur mikrobielles Leben herrscht.“

Die bisherigen Forschungen über tropische Gletscher konzentrieren sich auf physikalische Aspekte und auf ihr Abschmelzen, also den Rückgang der Vereisung. Ohnehin sind die Hürden hoch für die Wissenschaftler, gesteht Šabacká:

Die größte Goldmine der Welt  (Foto: Alfindra Primaldhi,  Wikimedia Commons,  CC BY 2.0)
„Weil sich die Tropengletscher in Höhen von 5000 bis 6000 Metern befinden, sind Forschungsprojekte nicht gerade leicht. Außerdem liegen einige in politisch relativ instabilen Regionen. Dazu gehört auch das Ruwenzori-Gebirge an der Grenze zum Kongo. In der Nähe der indonesischen Gletscher wiederum wird mittlerweile die größte Goldmine der Welt betrieben. Deswegen erhält man dort keine Zugangsberechtigung.“

Wie bereits Monika Vondráková vom Stiftungsfonds Neuron erwähnt hat, ist die Forschung in diesen Gegenden zugleich ein Wettlauf mit der Zeit.

„Wir studieren eigentlich nur noch die Reste dieser Gletscher. Jene in Afrika sind in den vergangenen einhundert Jahren um 80 bis 90 Prozent geschrumpft. Damit sind uns auch die Informationen verloren gegangen, die wir aus dem jüngeren Eis hätten gewinnen können. Es sind nur noch die ältesten Eisschichten vorhanden“, so Šabacká.

Wettlauf mit der Zeit

Marie Šabacká  (Foto: Archiv des Stiftungsfonds Neuron)
Aus denen will die Biologin von der Südböhmischen Universität in České Budějovice / Budweis aber auch beispielsweise erfahren, wie das dortige Leben entstanden ist. Gab es früher eine größere Vereisung in der Gegend? Oder hat sich in irgendeiner Weise das Leben aus der Umgebung auch ins Eis verlagert? Die Proben sollen mit jenen aus den arktischen Regionen und aus den gemäßigten Breiten verglichen werden. Dabei sind biologische Funde aus dem ewigen Eis immer noch eine relativ neue Angelegenheit:

„Das Leben auf dem Gletscher ist erst vor kurzem entdeckt worden. Dabei ist es schon früher aufgefallen. Im tschechischen Riesengebirge liegt manchmal rot gefärbter Schnee. Und in den Alpen tritt dasselbe Phänomen auf, und zwar auf den Gletschern. Es handelt sich um farbige Streifen, und diese sind von Algen verursacht. Früher hatte man gedacht, dass nicht-organische Elemente den Schnee verfärben würden, wie zum Beispiel Eisen. Aber schon das mikrobielle Leben auf den Gletschern ist ziemlich reichhaltig. Dort lassen sich Kulturen von Viren, Bakterien, Algen und Cyanobakterien finden, aber auch Bär- und Rädertierchen sowie Fadenwürmer. Diese sind der oberste Teil der Nahrungskette in diesem Ökosystem.“

Marie Šabacká  (Foto: Archiv von Marie Šabacká)
Marie Šabacká möchte allerdings nicht nur die Welt auf dem Gletscher erforschen, sondern auch darunter. Dazu muss sie das Eis anbohren, das etwa 25 Meter dick ist. In jedem Fall ist das in den Bergen Afrikas komfortabler als in der Antarktis:

„Das ist ein relativ neue Forschungsrichtung, weil sie sehr schwierig zu bewältigen ist. Im Osten der Antarktis ist der Eispanzer beispielsweise bis zu 4000 Meter dick. Bisher ist es noch nicht gelungen, sich so tief durch das Eis zu bohren. Aber wir wissen, dass sich darunter mehrere Hundert Seen befinden, die durch Wassertropfen entstanden sind. Und es wurde herausgefunden, dass es selbst dort Leben gibt, das vielleicht mehrere Millionen Jahre von der restlichen Erdentwicklung abgeschnitten war. 2012/13 haben sich erstmals amerikanische Wissenschaftler zu einem solch abgeschlossenen Ökosystem durchgebohrt, und zwar zum See Whillans. Dort haben sie zahlreiche Arten von Mikroorganismen gefunden, obwohl weder Licht noch Sauerstoff dort hingelangt.“

Ruwenzori-Gebirge  (Foto: Albert Backer,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0)
Auf Ähnliches hofft Marie Šabacká auch in Afrika zu stoßen. Denn zwischen dem Fels des Berges und der Eisschicht könnten auch im Ruwenzori-Gebirge an einigen Stellen Hohlräume entstanden oder Wasser durchgesickert sein. Solche Forschungen sind im Übrigen ebenso von Bedeutung für Projekte im Weltraum. Gibt oder gab es Leben im Innern des Mars? Oder bewegt sich etwas in den Ozeanen unter dem Eis der Jupitermonde Europa und Enceladus? Ob die Menschheit darüber mehr erfahren kann, wird auch im ewigen Eis der Erde geprobt.