Künstler rufen Europäische Republik aus
Das Europa der Nationalstaaten ist gescheitert. So heißt es in einem Manifest, verfasst von der Politologin Ulrike Guérot und dem Autor Robert Menasse. Stattdessen soll symbolisch ein Europa der Bürgerinnen und Bürger ausgerufen werden, eine Europäische Republik. Und zwar am Samstag um 16 Uhr in einer Kunstaktion an vielen Orten des Kontinents. European Balcony Project heißt die Aktion, also Europäisches Balkon-Projekt. Auch in Tschechien haben sich einige Künstler der Initiative angeschlossen.
„Wir haben de facto Rechtsgleichheit für Güter, das ist der Binnenmarkt. Wir haben Rechtsgleichheit für Kapital, das ist der Euro. Wir haben auch Rechtsgleichheit für den Faktor Arbeit, das ist die Dienstleistungsrichtlinie. Aber wir haben keine Rechtsgleichheit für Bürger. Wir sind als Bürger immer noch in nationalen Rechtscontainern, das ist ein Begriff des deutschen Soziologen Ulrich Beck. Das heißt, wir als eigentlicher Souverän des politischen Systems sind genau diejenigen, die keine Rechtsgleichheit genießen.“
Guérot und der österreichische Schriftsteller Robert Menasse wollen daher die Europäische Republik ausrufen. Geschehen soll das am Samstag in Weimar, wobei Ort und Datum kein Zufall sind. Der Tag liegt eingebettet in die aktuellen 100-Jahresfeiern. So wurden im Herbst 1918 zahlreiche Republiken ausgerufen und am 11. November endete der Erste Weltkrieg.
Mittlerweile haben sich weitere Menschen an 150 Orten in Europa gemeldet. Sie werden parallel dasselbe tun wie Guérot und Menasse. Dazu gehört auch der tschechisch-finnische Dramaturg und Übersetzer Otto Kauppinen. Er macht gerade seinen Doktor an der Janáček-Akademie für Musik und Theater im südmährischen Brno / Brünn:
„Ich vertrete die Janáček-Akademie beim Zusammenschluss der europäischen Theaterschulen, Eutsa. Dieser veranstaltet immer am 11. November ein Projekt, bei dem jede Mitgliedschule eine Inszenierung zum selben Thema macht. Wir wollen dies mit dem European Balcony Project am Samstag verbinden.“
Konkret bedeutet dies, dass alle Theaterschulen der Eutsa am 10. November das provokative Manifest von Guérot und Menasse verlesen. Und am Tag darauf sollen die Studierenden darüber diskutieren.
„Bei uns an der Akademie nehmen wir das zum Anlass für eine kleine Konferenz der Studierenden. Bei dieser wollen wir nicht nur über den Zustand der europäischen Politik reden, sondern auch über den Zusammenhalt der Studierenden an der Schule. Meine Kollegen und ich haben den Eindruck, dass das gesellschaftspolitische Engagement und das Interesse an europäischer oder globaler Politik zurückgehen. Das finde ich unglaublich schade“, so Otto Kauppinen.Auch im südböhmischen Ort Malovice hat sich eine Schauspielschule dem Projekt angeschlossen. Mitmachen kann aber jeder. Das Manifest ist schließlich in 30 Sprachen übersetzt. Und anders als damals Philipp Scheidemann braucht man für die Ausrufung der Republik keinen offiziellen Balkon. Es reiche auch ein Stuhl irgendwo in der Öffentlichkeit oder die Schaukel auf dem Kinderspielplatz, heißt es. Auf der Plattform www.europeanbalconyproject.eu lässt sich der Text in der jeweiligen Sprache aufrufen. Dort steht unter anderem:
„Der Tag ist gekommen, dass sich die kulturelle Vielfalt Europas endlich in politischer Einheit entfaltet. Der Europäische Rat ist abgesetzt. Das Europäische Parlament hat gesetzgeberische Gewalt.“