Friseursalon: bezahlt wird mit Familiengeschichten

„Friseursalon auf dem Weg zu euch“ (Foto: Markéta Kachlíková)

„Ostblock“, „Eiserner Vorhang“, „Bärenbart aus Bärenstein“ oder aber die „Gottesgaber Böe“. Kaum jemand würde erraten, dass gerade über die Haarschnitte die Rede ist. In den folgenden Minuten wollen wir nämlich einen eher ungewöhnlichen Friseursalon besuchen. Man lässt sich dort kämen und bezahlt dafür nicht mit Geld, sondern mit einer Geschichte.

„Friseursalon auf dem Weg zu euch“  (Foto: Markéta Kachlíková)
Ein mobiler Friseursalon macht ab und zu dort auf, wo gerade Tschechen und Deutsche zusammenkommen. Gegründet wurde er von Petr Mikšíček. Dieser nennt sein Projekt „Friseursalon auf dem Weg zu euch“.

„Wir hatten eine Installation an einem See im Erzgebirge, direkt an der Grenze. Weiter haben wir diesen Salon in Königsmühle betrieben bei einem Land-Art-Festival. Und jetzt sind wir im Zentrum Prags.“

„Friseursalon an der Grenze“, „Friseursalon auf der Brücke“ sind weitere Namen des Salons. Anfang Juni haben die Friseurin Klára Jindrová aus Klášterec nad Ohří / Klösterle und ihr Team beim Nachbarschaftsfest zum 20. Geburtstag des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds auf der Mánes-Brücke in Prag Haare geschnitten. Eigentlich geht es im Salon nicht um die Frisuren, sondern um Erinnerungen. Petr Mikšíček erläutert den Hintergrund:

„Friseursalon auf dem Weg zu euch“  (Foto: Markéta Kachlíková)
„Die Idee ist einfach. Wir interessieren uns für Geschichten aus der Grenzlandregion und mit tschechisch-deutschem Hintergrund. Wir möchten aber die Methoden ändern, wie damit gearbeitet wird. Wir wollen es mehr abenteuerlich, mehr visuell machen.“

Man setzt sich in die Drehsessel, beschreibt seinen gewünschten Haarschnitt und dann beobachtet im Spiegel, wie dieser allmählich unter den Händen des Friseurs oder der Friseurin entsteht. Und dabei wird oft geplaudert. Diese Situation, die fast jeder aus seinem Alltagsleben kennt, hat Petr Mikšíček und seine Kollegen inspiriert:

„Wir nehmen die Gespräche auf. Wir stellen viele Fragen. Uns interessiert, warum die Leute beim Festival sind, was sie zu den deutsch-tschechischen Beziehungen sagen, was sie in der deutsch-tschechischen Grenzregion erlebt haben.“

Petr Mikšíček engagiert sich seit Jahren für das tschechisch-deutsche Zusammenleben und hat schon mehrere Projekte aus dem Ärmel geschüttelt. Der Fotograf und Filmdokumentarist ist Mitglied der Bürgervereine DoKrajin und Antikomplex sowie ein passionierter Erzgebirge-Liebhaber. Er organisierte zudem die Ausstellung Verschwundenes Sudetenland. Später wanderte er durch die Tschechische Republik und kam so durch die Grenzgebiete Tschechiens, wo er die tschechisch-deutsche Geschichte ganz nah erleben konnte und sich ganz persönlich mit der Landschaft auseinandersetzte. Er hat mit einem Land-Art-Festival neues Leben in das verschwundene Dorf Königsmühle im Erzgebirge gebracht. Der fahrende Salon ist sein jüngstes Kind.

Petr Mikšíček  (Foto: Stanislava Brádlová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Wir suchen vor allem Familiengeschichten, die mit Tschechen und Deutschen, mit dem ehemaligen Sudetenland, die mit Emigration und Rückkehr verknüpft sind. Das sind die besten Storys für uns. Oder Sachen, die man noch nie jemandem erzählt hat. Und wir haben auch solche Geschichten.“

Es entsteht ein Video mit dem Gespräch. Mit diesem wird dann weiter gearbeitet:

„Für uns ist das eine Art Umfrage. In den nächsten Tagen werden wir das schneiden und machen viele Videos daraus. Diese werden auf dem Youtube-Kanal des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds abgespeichert. Dort kann man sich diese Interviews anhören und anschauen. Und man sieht darauf auch verschiedene tschechisch-deutsche Haarschnitte.“

Was kann man sich aber unter einem tschechisch-deutschen Haarschnitt vorstellen?

Foto: Markéta Kachlíková
„Das ist meist die Arbeit meiner Kollegin Klara Syrůčková. Sie malt und sorgt für das Design unseres Salons. Wir haben sogenannte alte Themen, wie Krieg, Vertreibung und solche Sachen. Aber auch Themen wie Freundschaft Schönheit. Wir haben einen Punkhaarschnitt, er heißt ‚War is dead‘. Wir sind sehr froh, hier war ein junger Mann aus Deutschland, der nächste Woche heiratet und mit seinen Freunden für ein Wochenende nach Prag gekommen ist. Dann haben wir schöne Haarschnitte für Frauen, für Kinder, für Männer mit großem Bart und wenig Haar.“

Und der Salonchef nennt auch einige Beispiele der Haarschnitte, die im tschechisch-deutschen Friseursalon kreiert werden:

„Zum Beispiel haben wir den Haarschnitt ‚Brücke‘, einen faszinierenden Haarschnitt ‚Ostblock‘, ein ‚Zuckerfräulein‘, eine Frisur namens ‚Eiserner Vorhang‘ mit einem Zick-Zack-Motiv im Hinterkopf, eine ‚Waldfrau aus dem Sudetenland‘ und viele andere. Zudem haben wir ein Haarstyling-Menü aus dem Erzgebirge, zum Beispiel einen Haarschnitt a la Jens Weissflog. Es macht uns Spaß. Wir wollen daraus keine ernste, sondern eine lustige Sache machen. Ich hoffe, dass die Leute es verstehen und schließlich mitspielen.“

Nicht nur auf der Mánes-Brücke in Prag hat sich gezeigt, dass die Leute gerne etwas wagen:

„Wir sind überrascht, wie groß das Interesse an unserer Arbeit ist. Wir müssen die Geschichten streng auswählen. Alle wollen eine neue Frisur haben, ein tschechisch-deutsches Friseurstyling. Aber es ist nicht möglich, alle dranzunehmen. Es ist schwierig, Ich muss ein bisschen böse sein, aber wir brauchen gute Geschichten.“

Petr Mikšíček veröffentlicht seine Videogespräche aus dem Friseursalon und Kurzfilme über weitere Projekte unter https://vimeo.com/miksicek.