Ohne Zwang gegen Hass im Netz

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Was will die Europäische Union gegen sogenannte Hate speech tun? Justizkommissarin Jourová stellt die Pläne vor.

Věra Jourová  (Foto: Jana Přinosilová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Dass Hate speech tatsächlich ein großes Problem ist in Europa, davon konnte sich EU-Justizkommissarin Věra Jourová im irischen Dublin überzeugen. Und zwar in der Europa-Zentrale des Social-Media-Giganten Facebook, wie die Politikerin in einem Gespräch für den Tschechischen Rundfunkt berichtete:

„Ich hatte die Gelegenheit selbst zu sehen, was die betreffenden Unternehmen alles löschen. Ich habe dazu den zuständigen Leuten in Dublin über die Schulter geschaut, denjenigen also, die die Drecksarbeit machen. Ich muss ehrlich sagen, so viel Ekelhaftes und so viel Schmutz habe ich schon lange nicht an einem Ort gesehen. Die Angestellten dort müssen alle zwei Monate ausgewechselt werden. Sie sind nach der Zeit vollkommen ausgebrannt, denn sie sind konfrontiert mit dem Allerschlimmsten, was Menschen geistig nur so produzieren können.“

Nicht den deutschen Weg gehen

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Derzeit zerbrechen sich die Regierungen in Europa den Kopf, wie sie gegen den Hass im Netz vorgehen könnten. Deutschland ist vorgeprescht und am 1. Januar ist in der Bundesrepublik das sogenannte NetzDG in Kraft getreten, also das umstrittene Netzdurchsetzungsgesetz. Soziale Medien und Internet-Diskussionsplattformen müssen problematische Kommentare und Beiträge eigenständig löschen, ansonsten droht eine saftige Strafe von mehreren Millionen Euro. Věra Jourová ist sich nicht sicher, ob das wirklich der richtige Weg ist:

„Ich sage ganz klar, dass ich ein solches Gesetz für Europa nicht vorschlagen will. Mich interessiert aber sehr, welche Erfahrungen Deutschland mit diesem Gesetz macht, weshalb ich den Bundesjustizminister zu einem Treffen mit den europäischen Ressortkollegen eingeladen habe. Ich kenne aber bereits die Erfahrungen von beispielsweise Facebook, Google und anderen. Die Unternehmen haben mir mitgeteilt, dass sie auch Inhalte löschen, die sie nicht klar als Hass-Posting erkennen können. Die angedrohten Sanktionen schrecken sie klar ab. Und gerade das will ich in der EU nicht so haben.“

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Dennoch versteht Jourová die deutsche Bundesregierung in ihrem scharfen Vorgehen, auch wenn sie Alternativen klar bevorzugt:

„Es ist schon so, dass Deutschland sich gezwungen sah, eine härtere Gangart einzulegen. Dort gab es Warnsignale, dass sich das Problem nicht mehr über eine Vereinbarung mit dem Verweis auf die gesellschaftliche Verantwortung der Internetkonzerne lösen lässt. Deshalb will ich Deutschland in dem Punkt auch nicht kritisieren. Für Europa will ich aber auch weiterhin auf eine Zusammenarbeit mit den Unternehmen setzen. Sie sollen nur das löschen, was als Hate speech erkennbar ist und wo deutlich ersichtlich ist, dass es zu Gewalt kommen könnte.“

Die Kommissarin setzt also weiterhin auf einen Verhaltenskodex, den sie 2016 gemeinsam mit Facebook, Twitter und weiteren Anbietern ausgearbeitet hat. Dort ist festgelegt, dass die Unternehmen fragwürdige Inhalte in einer Art freiwilliger Selbstverpflichtung eigenständig löschen.

Strenger hinsehen bei Terrorgefahren

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Dennoch gibt Jourová auch zu, dass in einem Bereich schärfere Regeln unumgänglich sind:

„Ich will aber nicht ausschließen, dass wir bestimmte legislative Vorschläge in Bezug auf den Terrorismus einbringen. Denn wir müssen Hasskommentare klar von Aussagen im Internet unterscheiden, die zu Terror anstacheln, Anleitungen zum Bombenbau geben und in welcher Weise auch immer in Zusammenhang mit terroristischen Straftaten stehen. Das ist ein ernsthaftes Problem in der Gesellschaft, und es gibt da einfach Bedarf, härtere Regeln in dieser Frage einzuführen.“

Doch auch so bleibt ein Problem bestehen: die Anbieter von Social-Media-Diensten werden in die Rolle eines Richters gedrängt. Die Unternehmen müssen also genau wissen, was in dem jeweiligen EU-Land legal ist und was nicht. Wird dadurch das Recht nicht privatisiert und der Rechtsstaat ad absurdum geführt?

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„Bei jedem Post und jedem Diskussionsbeitrag ist die Meinungsfreiheit vorausgesetzt. Das heißt, der Beitrag ist unantastbar, sofern er nicht strafrechtlich relevant ist. Und zwar in welchem EU-Staat auch immer. Gerade deshalb ist es eben nicht so, dass das betreffende Unternehmen den Gesetzgeber ersetzt.“

Das verlangt aber von den Internetkonzernen, dass sie sich in der Legislative der jeweiligen Länder auskennen:

„Das muss selbstverständlich so sein, denn Facebook und weitere sind ja auf den Märkten der jeweiligen Ländern vertreten, einschließlich dem der Tschechischen Republik. Wozu ich die Unternehmen also mit Nachdruck aufrufe ist, dass sie sich eingehend damit beschäftigen sollen, was genau in den jeweiligen Staaten verboten ist. Zudem müssen sie alle möglichen zuvor gefällten Gerichtsentscheidungen kennen, die die strafrechtliche Relevanz einer Aussage definieren. Ich will also nicht wenig von den Konzernen. Sie müssen ihre Kapazitäten für die Löschung von problematischem Inhalt erhöhen und die Legislative in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten respektieren.“

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In Deutschland war in Zusammenhang mit dem NetzDG der Vorwurf der Zensur groß. Vor allem wurde befürchtet, dass soziale Netzwerke politisch relevante Beiträge in vorauseilendem Gehorsam löschen. Der von ihr ausgehandelte Verhaltenskodex mit den Internetkonzernen funktioniere da anders, so Jourová:

„Der Abmachung nach lassen die Unternehmen den Inhalt im Zweifelsfall erstmal online. Das ist der entscheidende Unterschied zum deutschen Modell. Wie mir die Vertreter der Firmen bestätigt haben, löschen sie da sofort, wenn sie sich in einem bestimmten Fall nicht sicher sind.“

Klare juristische Rahmen schaffen

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Man könne jedoch im Nachhinein gerichtlich eine Veröffentlichung erwirken, sollte ein Beitrag unrechtmäßig gelöscht worden sein, versichert Jourová. Dafür zuständig sind mittlerweile auch europäische Gerichte, Nutzer müssen sich also nicht an die Justiz in den USA wenden. Konkret für Facebook wäre die irische Justiz zuständig, das Unternehmen hat seine Europa-Zentrale in Dublin. Věra Jourová ist aber zuversichtlich, dass sich beispielsweise die tschechischen Verbraucher auch an heimische Gerichte wenden können:

„Bisher wurde so etwas noch nicht vor einem tschechischen Gericht angefochten, meiner Meinung nach würde das aber problemlos gehen. Wir können den jeweiligen Fall aber auch in die Medien bringen, was einen Einfluss haben könnte auf künftige Entscheidungen von Gerichten. Außerdem gibt es in Tschechien noch die Ombudsfrau und weitere Möglichkeiten.“

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Doch ein Problem ist auch mit strengeren Regeln gegen Hass im Netz nicht zu lösen. Der Hass an sich verschwindet nicht so einfach aus der Gesellschaft:

„Kein Mensch kann ernsthaft glauben, dass wir den Rassismus ausrotten können. Ein Rassist bleibt auch weiterhin ein Rassist. Was wir aber in gewissem Maße erreichen können ist, dass wir Menschen vor dem Rassismus schützen. Wir müssen die Durchsetzung von geltendem Recht auch im Internet ermöglichen.“