Solidarität mit Expertise: Tschechien will mehr Engagement bei Zivilmissionen
Kosovo, Irak, Afghanistan – überall auf der Welt helfen Experten aus Tschechien in Krisenregionen. Rund 250 Fachleute aus Prag, Brno / Brünn oder Plzeň / Pilsen sind derzeit an zivilen Auslandsmissionen der OSZE oder EU beteiligt. Was genau machen sie aber, und wie sieht die Zukunft der Einsätze aus?
Věra Ivanovicova war für die OSZE Wahlbeobachterin in der Ukraine nach dem Sturz von Präsident Janukowitsch. Die Lage hat sich dort aber noch lange nicht beruhigt, in der Ukraine herrscht bis heute Krieg. Věra Ivanovičová beschreibt ihre Erfahrungen vor Ort:
„Es war damals eine Zeit der Psychosen. Ich kam in Charkow an, und es ging überall das Gerücht um, dass die russische Armee die Stadt in Kürze besetzen würde. Ich sah die Berichte darüber im Fernsehen sah, wie dort alles brannte und wie dort geschossen wurde, (Dann) da schwenkte die Kamera auf einmal auf ein Straßenschild: Charkow 147 Kilometer. Da lief es mir kalt den Rücken runter.“
Věra Ivanovičová war mit klarem Auftrag in der Ukraine und setzte sich den Gefahren dort aus. Derzeit sind es rund 250 Tschechen, die an sogenannten zivilen Einsätzen / Missionen von OSZE und EU beteiligt sind. Petr Gajdušek ist Staatsekretär am Außenministerium in Prag und erklärt, worum es geht:„Die zivilen Missionen sind eines der bedeutendsten Instrumente der tschechischen und europäischen Außen- sowie Sicherheitspolitik. Wir schicken Experten in die Gebiete, die auch für unsere eigene Sicherheit relevant sind. Und zwar über die Kontinente hinweg von Asien über Europa bis nach Afrika, vom Kosovo über die Ukraine bis nach Georgien.“
Tschechische Top-Experten in Krisenregionen
Bis heute sind Tschechen in der Ukraine, im Kosovo, in Afghanistan, Somalia und Palästina. Die Aufgabenbereiche sind unterschiedlich, je nach Mandat der OSZE oder der EU. Es handelt sich zum Beispiel um die Beobachtung von Wahlen, den Aufbau der Justiz, aber auch um humanitäre Projekte wie zum Beispiel einer Mission gegen häusliche Gewalt im palästinensischen Ramallah. Mit der Arbeit der tschechischen Entwicklungsagentur würde sich das jedoch nicht überschneiden, so Gajdušek. Die zivilen Missionen fänden immer in einem festgelegten internationalen Rahmen statt und seien personell und organisatorisch nur begrenzt.Tschechien verlässt sich bei den Missionen unter anderem auf eigene historische Erfahrungen, beispielsweise bei politischen, wirtschaftlichen oder rechtsstaatlichen Transformationsprozessen. Auch Petr Gajdušek sieht darin einen Teil der tschechischen Expertise:
„Ehrlich gesagt spielt diese Erfahrung bei akuten Einsätzen keine direkte Rolle. Nichtsdestotrotz wurden im vergangenen Jahr 69 Projekte zur Unterstützung von Transformationsprozessen gefördert. Ich nenne da den Aufbau einer unabhängigen Berichterstattung in Weißrussland als Beispiel oder ein Projekt zur Förderung der zivilgesellschaftlichen Beteiligung an der Politik in Burma. Im Jahr 2016 wurden insgesamt 60 Millionen Kronen von tschechischer Seite in Projekte zur Förderung von Demokratie und Menschenrechten investiert. Das ist eines unserer Profilierungsfelder.“Engagement verstärken
Diese umgerechnet 2,3 Millionen Euro sind aber nur ein Bruchteil der aufgewendeten Mittel in dem Segment. Tschechien ist in über 500 internationalen Organisationen vertreten und engagiert. Petr Gajdušek wünscht sich dennoch, dass Prag sich dahingehend noch aktiver wird. Denn seiner Meinung nach ist Tschechien in diesem Sinne international immer noch unterrepräsentiert:
„Das ist ein langfristiges Problem. Wir leisten jetzt schon Beiträge im Bereich von mehreren Milliarden Kronen. Und wir sind fest davon überzeugt, dass wir in Tschechien genug Experten haben, um unseren Anteil in den internationalen Organisationen deutlich aufzustocken. Das hätte eine Reihe von positiven Effekten, nicht nur für das Ansehen der Tschechischen Republik in der Welt. Auch für die Fachleute selbst würde das die Möglichkeit eines angemesseneren professionellen Engagements bedeuten. Daran müssen wir verstärkt arbeiten.“
Es ist nicht lange her, dass in der Ostukraine ein Fahrzeug mit Beobachtern der OSZE auf eine Mine aufgefahren ist. Der Fahrer kam dabei ums Leben, ein tschechischer Mitarbeiter wurde verletzt. Auf der anderen Seite ist die Lage in Afghanistan alles andere als stabil, und auch im Kosovo gärt es wieder, wie der jüngste Wahlsieg von Radikalen aus den Reihen der ehemaligen UCK zeigt. Ist es dadurch nicht schwer, geeignetes Personal für die Missionen zu bekommen?„Die Rekrutierung für die Missionen verläuft auf verschiedene Arten. Und das Interesse ist in vielen Bereichen ausreichend. Für uns ist es kein Problem, entsprechende Experten für einen bestimmten Einsatz zu finden. Unser Potenzial ist abgedeckt, vor allem was Kriminalisten, Fachleute für internationale Beziehungen oder Wahlbeobachter angeht. Für die Auswahl haben wir einige Methoden, anstrengend ist das aber nicht für uns.“
Mit der Zeit hätten sich zahlreiche Mitarbeiter in den verschiedensten Bereichen unter Beweis gestellt bei den zivilen Auslandseinsätzen, bestätigt Gajdušek. Man habe dadurch eine Datenbank, auf die man im Notfall zurückgreifen könnte.15 Jahre Erfahrung konnten Tschechien bereits sammeln im Bereich der zivilen Auslandseinsätze. Kann man da bereits von Erfolgen sprechen? Eine Bilanz traut sich Petr Gajdušek auf jeden Fall schon zu, zumindest was die Wirkung Tschechiens im Ausland betrifft:
„Die Einsätze haben einen doppelten Effekt. Wichtig ist hierbei der politische Blickpunkt. Das Engagement bei den zivilen Auslandseinsätzen wird von den anderen Teilnehmerstaaten, Partnerländern und den Menschen im Einsatzgebiet als Zeichen der Solidarität Tschechiens verstanden und als Bereitschaft zum Beistand in Krisensituationen. Das gibt der Stimme Tschechiens bei den internationalen Organisationen natürlich ein größeres Gewicht. Was zudem zählt ist aber eine andere Sache, und zwar die Sicherheit. Der Aufbau einer stabilen Ordnung in einem ehemaligen Konfliktgebiet beugt natürlich einem erneuten Aufflammen der Spannungen vor.“
Schnell auf Krisen reagieren
An welchen Missionen werden tschechische Experten aber in Zukunft teilnehmen? Und wird sich etwas an der Ausrichtung der Politik in diesem Zusammenhang ändern? Das alles weiß Ondřej Wágner, er arbeitet in der Abteilung für Sicherheitspolitik im Außenministerium:„Die Tschechische Republik beteiligt sich natürlich nicht an der Vorbereitung der Einsätze, das machen die EU und die OSZE in Absprache mit den Mitgliedsstaaten. Die Länder schicken dann jeweils die nötigen Experten. Die neueste Mission läuft im Irak, dort haben wir derzeit fünf Polizisten. Es ist eine kleine Ausbildungseinheit, die den irakischen Kollegen beim Training hilft. In Zukunft wollen wir aber im Großen und Ganzen eher reaktiv bleiben. Zum Beispiel werden wir uns wahrscheinlich in Syrien engagieren, wenn sich die Lage dort in absehbarer Zeit bessern sollte. Das sind aber nur Spekulationen, im Grunde wollen wir ad hoc auf die weltpolitischen Ereignisse reagieren.“