Cembalistin Růžičková: Musik von Bach enthält immer etwas Höheres
Zuzana Růžičková ist hierzulande als Pionierin des Cembalospiels in die Musikgeschichte eingegangen. Sie stand schon auf vielen Konzertbühnen der Welt, war an unzähligen Aufnahmen beteiligt und hat als Lehrerin zahlreiche Cembalisten großgezogen. In den 60er und 70er Jahren hat sie das Gesamtwerk von Johann Sebastian Bach für das Label Erato eingespielt. Im Herbst letzten Jahres, kurz vor dem 90. Geburtstag der Künstlerin, wurden diese remastert bei Warner Classics herausgegeben.
„Ich habe schon als Kind alles geliebt, was ich gehört habe: Schlager, Country-Music, Opern, einfach alles. Und auch das, was ich selbst gespielt habe, hat mir keine Ruhe gelassen. Aber bei Bach hatte ich immer das Gefühl, da bin ich zu Hause. Seine Musik ist mir irgendwie vertraut, sie ist so selbstverständlich für mich. Fast so wie ein Déjà-vu.“
„Die Musik von Bach ist mir irgendwie vertraut, sie ist so selbstverständlich für mich. Fast so wie ein Déjà-vu.“
Eine besondere Erinnerung gilt einem Urlaub mit den Eltern im Riesengebirge:
„Ich war damals elf oder zwölf Jahre alt. Später konnte es nicht sein, weil dann schon Hitler kam. Ich habe dort ein Klavier gefunden und Bach gespielt. Einmal kam ein Mann zu meinen Eltern: Er sei neugierig gewesen, wer dort Bach spiele. Es sei eine große Überraschung für ihn, dass ein Kind am Klavier sitze. Er sagte zu meinen Eltern, sie hätten eine sehr begabte Tochter. Die Art, wie sie Bach gespielt habe, sei sehr reif. Wie sich herausstellte, war der Mann Günther Ramin Kantor, der Kantor der Thomaskirche in Leipzig. Ich habe ihn später wiederholt getroffen. Und Bach blieb selbstverständlich immer bei mir.“
Die Musik hatte ihr geholfen, als sie als Jüdin in die KZs Theresienstadt, Auschwitz und Bergen-Belsen verschleppt wurde. Und Johann Sebastian Bach war dabei, als sie nach dem Krieg in ihr normales Leben zurückkehrte. Sie studierte damals Klavier und Cembalo an der Musikakademie in Prag:„Als ich aus den KZs zurückgekehrt bin, war das ein großer Schock für mich. Ein großer Umbruch nach dem, was ich erlebt hatte. Als Pianistin war ich damals ziemlich bekannt durch meine Beethoven-Interpretationen. Die Musik von Beethoven hat meine damaligen Gefühle ausgedrückt: es war eine Revolte, es war die Frage ‚Warum?‘. Beethoven soll ja einmal auch mal dem Himmel gedroht haben. Solche Gefühle teilte damals auch ich. Nur musste ich diese Gefühle nicht ausdrücken, sondern loswerden.“
Und bei diesem Loskommen habe die Musik von Johann Sebastian Bach ihr geholfen, erzählt Růžičková:„Bach bedeutete für mich etwas, was den Menschen übertrifft, was die Bosheit der Menschen, die menschlichen Leiden überragt. Seine Musik hat immer etwas Höheres. Nehmen wir etwa seine Chromatische Fantasie und Fuge: Der Schluss der Fantasie ist wohl die stärkste Wehklage in der Musik überhaupt. Wenn man ihn hört, fühlt man Verzweiflung. Und auf einmal kommt die Fuge – eine Ordnung, etwas, was unser verzweifeltes Elend überragt.“
„In der ganzen Breite hat niemand anderer das Opus von Bach eingespielt.“
Von 1965 bis 1975 hat Zuzana Růžičková das Gesamtwerk für Cembalo von Johann Sebastian Bach eingespielt. Sie war die erste Cembalistin überhaupt, die sich daran gewagt hat:
„Ja, ich war die erste und wohl auch die letzte. Denn in der ganzen Breite hat niemand anderer das Opus von Bach eingespielt.“
Insgesamt 21 Schalplatten sind damals entstanden. Es war sehr anspruchsvoll, bestätigt die Musikerin:„Aber es waren die schönsten Jahre meines Lebens. Mit Bach zu leben und die Möglichkeit zu haben, meine Auseinandersetzung mit Bach in Aufnahmen beziehungsweise in Konzerten zu realisieren, das war schön.“
40 Jahre danach wurden die Aufnahmen nun erneut herausgegeben. Ein Remastering soll die Qualität deutlich verbessert haben. Man soll auch Details hören, die auf früheren Editionen nicht zu hören waren.
„Absolut. Ich verdanke es (dem jungen Cembalisten, Anm. d. Red.) Mahan Esfahani, der mit den alten Editionen stets unzufrieden war. Dies betraf die französische Ausgabe und noch mehr die japanische Gesamtausgabe. Nun hat man die ursprünglichen Tonbänder irgendwo gefunden und sie remastert. Aber schon die Originalaufnahmen sind ganz anders als die herausgegebenen Platten. Die damalige Technik machte eine solche Qualität nicht möglich. Ich bin begeistert. Sie klingen völlig anders.“
„Ich habe meine eigene Interpretation durchgesetzt, wobei ich wusste, dass ich gegen den Strom schwimme.“
Die Cembalistin hat dabei gar nicht damit gerechnet, dass ihre Bach-Gesamtaufnahme noch einmal erscheinen könnte:
„Überhaupt nicht. Mein Spiel ging lange Zeit gegen die Trends. Eine Musikkritikerin hatte einmal geschrieben, dass die heutigen Cembalisten mich und die polnische Cembalistin Wanda Landowska in eine Schachtel geschlossen hätten, wo draufstünde: ‚Aufmachen verboten‘. Ich habe mich damit abgefunden: Ich habe meine eigene Interpretation durchgesetzt, wobei ich wusste, dass ich gegen den Strom schwimme. Schon damals wusste ich das.“
Aber der Interpret müsse seine Wahrheit verteidigen und muss sich dafür einsetzen, unterstreicht die Musikerin:„Ich habe auf meiner Wahrheit und Interpretation beharrt, mit dem Risiko, nicht im Kurs zu sein. Viele Freunde haben mich deswegen verlassen. Die ganze Bewegung early music, Alte Musik, war zunächst sehr inspirierend. Dies galt auch für mich. Sie brachte eine Reihe von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Interpretation. Aber wie üblich, verwandelte sich die Idee in eine Ideologie. Und eine Ideologie schließt alles aus, was ihr nicht genau folgt. Ich passte nicht rein. Daher ist es für mich eine große Überraschung, dass man jetzt die Qualität in meinem Spiel wiedererkannt hat.“
Die Cembalistin Zuzana Růžičková feiert am 14. Januar ihren 90. Geburtstag. Ihre Kunst und Interpretation der Musik von Johann Sebastian Bach und Viktor Kalabis können Sie in unserer Musiksendung am Sonntag hören.