Porträt einer Unbeugsamen: Sängerinnenlegende Marta Kubišová
Marta Kubišová gilt als Ikone der tschechischen Popmusik. 1968 wurde ihr Song „Gebet für Marta“ zum Symbol des Protestes gegen den sowjetischen Einmarsch in die Tschechoslowakei. Die Kommunisten verbaten ihr danach öffentlich aufzutreten, ihre Lieder waren im Radio oder Fernsehen tabu. Nach der Wende von 1989 erlebte sie ein großes Comeback. Nun hat sie jedoch angekündigt, ihre Karriere zu beenden. Jakub Šiška mit einem Porträt der Sängerin.
Die „Golden Kids“ dürfen nicht mehr auftreten
Die Atmosphäre in der Tschechoslowakei wurde jedoch gedrückter. Die Zensur kam wieder, und den Protagonisten des „Prager Frühlings“ wurde die Arbeit gekündigt. Im Januar 1969 verbrannte sich der Student Jan Palach aus Protest gegen die beginnende Unfreiheit auf dem Prager Wenzelsplatz. Das Regime reagierte schnell. Die Golden Kids konnten den Film „Revue für den Thronfolger“ in Kooperation mit dem Südwestrundfunk noch vollenden, in die tschechoslowakischen Kinos durfte er aber nicht mehr kommen. Es war nämlich eine Parodie auf die Okkupation. Die Band gab noch zwei letzte Konzerte – und im Februar löste sie sich offiziell auf. Während Helena Vondráčková und Václav Neckář auch weiterhin singen durften, gab es für Marta Kubišová im politisch kontrollierten Vergnügungsbereich keinen Platz mehr.„Ich habe mir lange gedacht, dass sie sich mir gegenüber nichts erlauben würden, sie hätten doch keinen Grund dazu. Dann kamen die Gerüchte, dass ich etwas mit Pornografie zu tun hätte. Das können die Menschen doch nicht glauben, dachte ich mir. Anfangs schien mir die Pause sogar angenehm, denn meine Karriere hatte mich ziemlich müde gemacht. Neue Aufträge gab es aber nicht mehr, die Veranstalter lehnten meine Auftritte ab. Das Geld wurde auch langsam knapp. Der Ernst meiner Lage ist mir erst dann bewusst geworden, als Günter Grass mit mir ein Interview für die Zeitschrift ‚Stern‘ machte. Er fragte mich, was ich weiter plane und ob ich nicht eine Familie haben möchte. Ich war damals nämlich kurz verheiratet und habe spontan geantwortet: Ja, wir werden ein Kind haben“, so Kubišová.
Auch im Jahr 1969 gewann Kubišová noch einmal den Wettbewerb „Die goldene Nachtigall“. Den Preis konnte sie aber nur noch in privatem Rahmen in der Redaktion der veranstaltenden Zeitschrift übernehmen. Warum ihr öffentliche Auftritte verboten wurden, erfuhr sie nie. Ihre kritischen politischen Stellungnahmen waren jedoch bekannt – und das Regime fürchtete, dass die populäre Sängerin die Öffentlichkeit beeinflussen könnte.Emigration? Nein danke!
Auch das Familienleben war für den einstigen Popstar nicht einfach. Marta Kubišovás erstes Kind kam tot zur Welt – und sie selbst überlebte die Geburt nur wie durch ein Wunder. Ihre Ehe scheiterte, weil ihr Ehemann emigrierte. Marta arbeitete dann in verschiedenen unbedeutenden Berufen und war auch lange arbeitslos. Besonders ab 1977, nachdem sie die sogenannte „Charta 77“ unterschrieb, hatte die Staatssicherheit sie ständig im Auge. Mit der „Charta“ machten Václav Havel und andere Dissidenten auf die undemokratischen Verhältnisse in der Tschechoslowakei aufmerksam. Kubišová war sogar eine gewisse Zeit lang Sprecherin der Charta, was für sie mehrfache Verhöre bei der Staatssicherheit bedeutete:„Bei den Verhören wurde mir mehrmals vorgeworfen, dass ich im Ausland noch populärer als Karel Gott wäre. Deswegen sei es gut für mich, meine Heimat zu verlassen. Ich antwortete den Beamten immer: ‚Nein, danke. Erstens macht man nirgendwo bessere belegte Brötchen als hier, und zweitens will ich den Berg Kleť nicht von der anderen Seite der Grenze betrachten müssen‘. Als ich noch ein Kind war, haben mein Opa, mein Bruder und ich diesen Berg von unserem Dachboden aus gesehen. Damals lebten wir noch in Budweis. Den Polizisten habe ich immer erklärt, dass ich einfach nicht emigrieren werde.“In den schweren Zeiten durfte Marta Kubišová aber auch etwas Glück genießen: 1974 heiratete sie zum zweiten Mal, und 1979 brachte sie ihre Tochter Kateřina zur Welt. „Sie ist der beste Song meines Lebens“, antwortete Kubišová damals auf die Frage, ob sie das Singen nicht vermisse. Auch sonst bereue sie das Ende ihrer Karriere nicht.
Die Wende von 1989 erlebte Marta Kubišová als Referentin in einem Baubetrieb. Ihr Arbeitsplatz befand sich im Stadtzentrum von Prag, nur ein paar Schritte vom Wenzelsplatz entfernt. Dort fand am 21. November die erste von vielen Massendemonstrationen statt, die dem Sturz der kommunistischen Regierung vorangingen. Marta Kubišová erinnert sich, wie sie erst ein paar Stunden vor Beginn der Demonstration vom späteren Präsidenten Václav Havel aufgefordert wurde, ebenfalls dort aufzutreten.„Jiří Černý, einer der Teilnehmer an der Demonstration, stieß mich auf den Balkon und sagte: Das Gebet würde sich jetzt lohnen. Er meinte natürlich mein Lied „Gebet für Marta“, das bereits 1968 sehr beliebt war. Da bekam ich weiche Knie. Unter mir war der volle Wenzelsplatz mit bestimmt 100.000 Menschen. Es gab dort keine Band, ich musste ganz alleine singen. Als ich begann, wusste ich nicht, wonach ich mich richten sollte: nach meiner Stimme, die mir im Kopf klang, oder nach dem Echo, das zu mir zurückkam? Es war ein fröhlicher, aber zugleich schrecklicher Moment. Dabei habe ich gedacht: So ein Comeback hat kaum eine Sängerin gehabt.“
Allein vor 100.000 Demonstrierenden
Für Marta Kubišová begann erneut das Karussell von Konzerten und Tonaufnahmen. So auch in ihrem „Heimtheater“ Ungelt im Zentrum von Prag. Dort gab sie unter anderem die Hauptrolle im Musical „Die Sehnsucht namens Einodis“. In dem Stück ging es um die böhmische Adelige Sidonie Nádherná, eine Mäzenin, die sowohl von den Nazis als auch von den Kommunisten verfolgt wurde. Kubišová musste sich für ihre Rolle nicht verbiegen, da sie im Schicksal dieser Frau eine Parallele zu sich sah. Daneben ist sie Moderatorin einer Fernsehsendung, wo ein Zuhause für verlassene oder gequälte Tiere gesucht wird.Vor Kurzem hat die Sängerin jedoch ihre Fans überrascht: Sie gibt eine neues Album mit ihren besten Songs heraus – und beendet ihre Karriere. Die Entscheidung sei schon früher gefallen, und ein Herzinfarkt im vergangenen Jahr habe sie darin nur bestätigt, so Kubišová.
„Im kommenden Jahr werde ich 75 Jahre, und ich spüre, dass vor allem die Konzerte für mich viel anstrengender sind als früher. Am Tag nach jedem Auftritt bin ich so erledigt, dass ich nichts mehr machen kann. Jetzt nach dem Infarkt muss ich sogar noch vorsichtiger sein. Man muss seine Grenzen kennen, und ich will auch kein Mitleid auf der Bühne erwecken. Man sollte immer dann aufhören, wenn es am schönsten ist.“Inwieweit sich Marta Kubišová von den Augen der Öffentlichkeit zurückzieht, wird sich erst noch zeigen. Sie ist jedoch schon jetzt eine Legende – und auch ein Stück tschechischer Geschichte.