Kirchliche Schulen: Beliebt im glaubensfernen Tschechien
Es wirkt durchaus paradox: Kirchen und Glaubensgemeinschaften sind hierzulande nicht sonderlich beliebt, 60 Prozent der Tschechen halten sie laut Umfragen für nutzlos. Die kirchlichen Schulen erfreuen sich jedoch eines sehr guten Rufes, und auch Nichtgläubige schicken ihre Kinder dort hin. Was steckt aber dahinter?
Einer der Jungen sagt, er habe kein positives Verhältnis zur Kirche, daher wollte er eigentlich nicht an diese Schule gehen. Ursprünglich hatte er sich an einem Gymnasium angemeldet, dort wurde er aber nicht aufgenommen. Jetzt sei er froh, an der Evangelischen Mittelschule zu sein, so der Junge. Die Atmosphäre sei gut und die Lehrer perfekt, sagt er lobend.
Der Junge ist mit seiner Erfahrung nicht alleine. Eine seine Mitschülerin zum Beispiel besuchte ein Jahr lang eine staatliche Schule sozialer Richtung, bevor sie zur evangelischen wechselte. Sie kann also beide vergleichen:„Hier ist es besser, weil der Unterricht lebensnaher ist. Wir haben mehr Praxisanteil, was ich besonders wichtig finde. Ich bin nicht gläubig, wie fast alle hier; ich sehe aber, dass es im Christentum um das menschliche Wohl geht. Zum Glauben werden wir nicht gezwungen, Katechismus wird nicht unterrichtet. Doch neben dem Fachunterricht lernen wir mehr über die Bibel, über die christliche Ethik und über die Geschichte des Christentums. Das ist interessant, man erfährt dabei vieles, was anderswo eigentlich nicht angesprochen wird. Ich finde das gut.“
skolstvi Solche Aussagen bekäme man an den meisten kirchlichen Schulen in Tschechien. Nur in den katholischen Regionen Mährens bilden Kinder aus gläubigen Familien die Mehrheit. Ansonsten sind die Kirchen aus historischen Gründen sehr unbeliebt. Die Tschechen werfen vor allem der katholischen Kirche Dogmatismus vor, die Gier nach Eigentum und wenig Nähe zum alltäglichen Leben.Paradoxerweise haben jedoch die Menschen hierzulande hohe Ansprüche an die Kirchen, wie aus mehreren Meinungsumfragen hervorgeht: Bescheidenheit, Einsatz für Arme und Behinderte, Toleranz, Kulturpflege und die Einhaltung ethischer Werte. Besonders das Schulwesen und die Sozialarbeit seien jene Bereiche, um die sich die Kirchen kümmern sollten, heißt es. Und wenn sie das gut machen würden, dann seien sie auch für die Ungläubigen attraktiv, sagt Richard Mašek, Direktor des Erzbischöflichen Gymnasiums in Prag.
„Wir fragen nicht nach dem Glauben“
„Bei uns sind die Schüler halb und halb gläubig und nichtgläubig. Genau kann ich das nicht sagen, wir fragen nämlich nicht danach. Wir können dies nur indirekt abschätzen, beispielsweise anhand der Teilnahme an den Gottesdiensten oder der Diskussionen in den humanistischen Fächern. Wir legen Wert darauf, mit den Schülern über die Grundfragen des Lebens, ethische Werte, Weltanschauung und Religion zu sprechen. Da liegt wahrscheinlich auch der größte Unterschied zwischen kirchlichen und anderen Schulen. Ich muss sagen, die Schüler lieben diese Diskussionen, sie wollen erkunden, was gut, was böse ist und worauf es im Leben eigentlich ankommt. Obwohl wir uns nicht bemühen, die richtigen Antworten zu präsentieren, zeigt sich während dieser Diskussionen oft, wer gläubig ist und wer nicht.“
Das Prager Erzbischöfliche Gymnasium hat guten Grund, auf sich stolz zu sein. Seit der Einführung des einheitlichen Staatsabiturs 2011 rangiert es jedes Jahr unter den zehn erfolgreichsten Schulen. Außer diesem Gymnasium ist fast immer auch noch eine weitere kirchliche Schule in den Top Ten. Dabei machen die kirchlichen Schulen auf jeder Bildungsstufe nicht einmal ein Prozent aller Schulen in Tschechien aus. Der Erfolg hat laut Experten mehrere Gründe, der Akzent auf die ganzheitliche Entwicklung des Menschen spielt aber dabei die wichtigste Rolle. Ein Spezifikum der kirchlichen Schulen ist zum Beispiel die Person des Kaplans. Dabei geht es nicht vorrangig um den Religionsunterricht. Viel mehr sieht der Kaplan seine Funktion irgendwo zwischen einem Psychologen und einem Ombudsmann der Schüler. Radim Žárský ist Kaplan an der Evangelischen Mittelschule in Náchod.„Meine Aufgabe ist es, einfach den Schülern und den Lehrern behilflich zu sein. Ich beteilige mich an den Besprechungen, organisiere Ausflüge und sportliche Aktivitäten mit, helfe beim Sportunterricht, bereite Begegnungen mit interessanten Persönlichkeiten vor und stelle sie den Schulklassen vor, manchmal übernehme ich auch Stundenvertretungen. Daneben organisiere ich Kontakte mit den Partnerschulen in Deutschland und in Norwegen. Wir haben auch einen Musikkreis für einige Schüler. Es gibt also relativ viel Arbeit außerhalb des Unterrichts.“Komplizierte Zulassung
Die kirchlichen Schulen waren in der kommunistischen Tschechoslowakei verboten, sie wurden erst nach der politischen Wende wiedereröffnet. In den 1990er Jahren entstanden sie dann meist aus Enthusiasmus, aber auch weil der Staat der Entstehung von nicht-staatlichen Schulen keine Hindernisse mehr in den Weg legte. Ihre Träger sind neben der katholischen Kirche und mehreren protestantischen Kirchen auch unterschiedliche Orden, diese wollten an ihre frühere erzieherische Tradition anknüpfen. Heute sind solche Gründungen nicht mehr so einfach: Jeder neuen Schule muss die zuständige Kreisverwaltung zustimmen, wobei sie vor allem auf die Zahl und die Auslastung der Bildungseinrichtungen in der jeweiligen Region schaut. Darüber hinaus bremst der Lehrermangel die Entstehung neuer Schulen, die Löhne im Bildungswesen sind allgemein nicht sonderlich attraktiv.
Doch fast alle nach der Wende gegründeten kirchlichen Erziehungsanstalten bestehen noch bis heute. Sie decken fast alle Bildungsstufen ab: von den Kindergärten bis zu den sogenannten Oberen Fachmittelschulen. Eine kirchliche Universität gibt es in Tschechien zwar nicht, doch mehrere Hochschulen verfügen über theologische Fakultäten. An der Prager Karlsuniversität bestehen sogar drei: eine katholische, eine evangelische und eine hussitische Fakultät.Eine Domäne der kirchlichen Schulen ist jedoch die soziale Förderung. Besonders ragt dabei die Mittlere katholische Mädchenschule in Prag heraus. Luboš Hošek ist dort Direktor:
„Eine gute, wenn auch manchmal laute Familie“
„Unsere Mädchen kommen aus Kinderheimen, Erziehungsanstalten oder aus problematischen Familien. Einige von ihnen haben auch bereits eine kriminelle Karriere hinter sich. Eine weitere Gruppe sind körperbehinderte, Rollstuhl fahrende Mädchen, oder sie sind sehbehindert. Deswegen haben wir auch einen Hundezwinger, in dem sind die Blindenhunde während des Unterrichts untergebracht. Schließlich betreuen wir auch Mädchen mit geistigen Behinderungen. Bereits 18 Jahre lang bilden wir eine solch bunte Gemeinschaft aus und versuchen, wie eine gute, wenn auch manchmal etwas laute Familie zu leben.“
In dieser Schule müssen die Mädchen nicht nur im Unterricht, sondern auch in zahlreichen Lebenslagen betreut werden. Denn allgemein gilt, dass die Lernerfolge unter anderem von der sozialen und familiären Lage abhängen. So bemüht sich die Schule, wenn nötig, auch zum Beispiel, für die Eltern eine Arbeit zu finden. Oder sie hilft jenen Schülerinnen, die schon erwachsen sind, beim Sozial- oder Arbeitsamt. Für die von Obdachlosigkeit bedrohten Mädchen hält die Schule wiederum eine Sozialwohnung bereit. Das ist dank der Mithilfe eines Klosters im Zentrum von Prag möglich, dort befindet sich auch die Schule.„Es ist eine Wohnung mit Stockbetten. Die Erzieherin holt dort jeden Morgen die Mädchen ab, nach dem Unterricht geht sie mit ihnen einkaufen und bringt sie wieder nach Hause. Die Mädchen lernen dort gemeinsam kochen, waschen und aufräumen. Auf diese Weise haben wir schon mehreren von ihnen einen Neustart ermöglicht. Und damit erhöhen wir für die Mädchen die Chance, unsere Schule erfolgreich abzuschließen. Dann bekommen sie ein Zertifikat, das sie zur Arbeit mit Behinderten berechtigt. Trotzdem gibt es Fälle, bei denen es nicht klappt. Solchen Mädchen bieten wir die Möglichkeit, einen Pflegekurs zu absolvieren und ein entsprechendes Zeugnis zu erhalten. Damit haben sie dann wenigstens eine Art der Arbeitsqualifikation. Denn Pflegedienste sind ein Bereich unbegrenzter Möglichkeiten“, so Luboš Hošek. Es gibt jedoch ein Problem, das die kirchlichen Schulen langfristig belastet: die Finanzen. Der Staat kommt bei allen öffentlichen Schulen etwa zu 80 Prozent für die Betriebskosten auf. Staatliche Schulen erhalten die übrigen 20 Prozent vom Kreis oder von der Kommune, je nachdem, wer der Schulträger ist. Bei den kirchlichen Schulen muss aber die Kirche den Rest ausgleichen. Daniel Kuchyňka ist bei der Tschechischen Bischofskonferenz für die kirchlichen Schulen zuständig. Er hält die Regelung für ungerecht:„Die Ungerechtigkeit liegt darin, dass die Kreise und die Kommunen Empfänger von Steuergeldern sind. Das ist aber bei den Glaubensgemeinschaften nicht der Fall, hierzulande besteht keine Kirchensteuer. Dazu kommt, dass auch Ordensbrüder und Ordensschwestern in unseren Schulen arbeiten, und das oft für einen sehr kleinen oder gar keinen Lohn. Die erste Begründung lautet, dass Privatschulen auch nur einen Teil der Kosten vom Staat bekommen. Sie können aber den Rest oft durch die Schulgebühren decken, was bei uns nicht in Frage kommt. Zweitens wird argumentiert, dass der Staat auf diese Weise spart. Das finde ich auch unkorrekt: Eine Million Kronen ist doch für eine Schule eine hohe Summe, 100 Millionen Kronen sind wiederum für den Staatshaushalt praktisch nichts.“
Die Finanzierung von kirchlichen Schulen wird sicher in Zukunft noch ein heißes Thema werden. Denn der Staat verweist auf die Rückgabe kirchlichen Eigentums, die derzeit vonstatten geht. Diese sogenannte Kirchenrestitution soll künftig die Glaubensgemeinschaften finanziell unabhängig machen vom Staatshaushalt. Die Kirchen warnen aber, dass auf diese Weise ihre Schulen quasi liquidiert würden.