„Ein besonderer Schatz der Nationalgalerie“ – Marius Winzeler ist neuer Sammlungsleiter für alte Kunst
Marius Winzeler heißt der neue Sammlungsleiter für alte Kunst in der Prager Nationalgalerie. Mit dem Sternberg-Palais, dem Schwarzenberg-Palais und dem Agnes-Kloster ist er seit dem ersten Januar verantwortlich für drei herausragende Ausstellungshäuser in der tschechischen Hauptstadt. Der Schweizer Kunsthistoriker kommt mitten in einer Phase des Umbruchs für die gesamte Nationalgalerie: Historisch gewachsene Trennlinien zwischen böhmischer Kunst und dem übrigen Europa sollen bald der Vergangenheit angehören. Was dabei auf ihn zukommt und wie er seine Erfahrungen miteinbringen will, dazu ein Gespräch mit Marius Winzeler.
„Zittau ist eine alte böhmische Königsstadt mit sehr engen Beziehungen nach Prag! (lacht) Nun, tatsächlich ist es so, dass ich nicht nur in Zittau tätig war, sondern zuvor auch in Görlitz und Dresden. In verschiedenen Ausstellungsprojekten war ich immer wieder ganz intensiv mit böhmischer Kunst beschäftigt. So ergaben sich über die Jahre immer wieder Kontakte zur Nationalgalerie und vor allem auch zum Generaldirektor Jiří Fajt. Insofern war es sehr interessant, als eine neue Leitung für die Sammlung alter Kunst gesucht wurde. Ich freue mich sehr, dass ich mich dieser Herausforderung stellen darf. Als Kunsthistoriker habe ich mich intensiv mit dem böhmischen Mittelalter beschäftigt, aber auch mit dem mitteleuropäischen Barock bin ich stark verbunden. Nun werde ich mich in erster Linie auf die barocken Sammlungsbereiche konzentrieren.“
Ihr neuer Arbeitsort ist der Sternberg-Palais direkt neben der Burg. Was haben Sie als erstes gemacht, als Sie in diesen Tagen Ihre Stelle angetreten haben? Geschaut, wo der Rembrandt steht?„Wo der Rembrandt hängt, das wusste ich natürlich bereits. Natürlich kannte ich die Dauerausstellungen – bisher als Besucher. Wenn damit täglich arbeiten darf, ist es natürlich eine andere Situation. Als erstes habe ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen gesprochen, insbesondere mit den Kuratorinnen und Kuratoren der Sammlung, aber auch mit den technischen Betreuern der Häuser. In diesem intensiven Prozess bin ich immer noch, um die Situation kennenzulernen – die Sammlungen, die Depots, die Häuser. Parallel dazu finden bereits seit dem ersten Tag viele Beratungen mit der Generaldirektion und den übrigen Abteilungsleitern statt, weil die verschiedenen Schnittstellen der Nationalgalerie ein wichtiges Thema sind.“
“Die Sammlung alter Kunst zählt zu den besonderen Schätzen der Nationalgalerie.“
Vor zwei Jahren hat Jiří Fajt als neuer Generaldirektor übernommen, mit dem Anspruch sehr viel zu ändern. Was kommt dabei auf Sie zu?
“Die Sammlung alter Kunst zählt sicherlich zu den besonderen Schätzen der Nationalgalerie. Natürlich gibt es hier viele solcher besonderen Schätze, doch mit der alten böhmischen und mitteleuropäischen Kunst ist es ein Grundstock der Sammlungsgeschichte. Dazu kommt, dass der Sternberg-Palais als Ort der Europäischen Kunst zwar nicht der Gründungsbau der Nationalgalerie ist, aber der Bereich, der am längsten Galeriezwecken dient. Im letzten Frühling wurde ein Generalentwicklungsplan von Jiri Fajt erarbeitet, der wesentliche Eckpfeiler für die weitere Entwicklung der Sammlungen und Dauerausstellungen der Nationalgalerie festlegt. Er sieht vor, dass in Zukunft die Sammlungen ein wenig anders auf die Häuser verteilt werden. Das bringt grundsätzliche Konzeptionsveränderungen mit sich, viele Werke kann man zukünftig in anderen Kontexten erleben. Das Ziel ist, historische Verbindungen noch deutlicher zu machen und dem Besucher noch attraktivere Präsentationen zu bieten. Oder auch Überraschungen in der Begegnung mit Meisterwerken, die miteinander kommunizieren und die Besucher mit einschließen. Vor allem geht es auch darum, die historisch gewachsene Trennung zwischen der Kunst der böhmischen Länder und dem übrigen Europa intensiver zusammenzuführen. So wie es auch Prag als zeitweiligem, immer wieder kehrendem kulturellen Zentrum Europas entspricht. Die Kunstsammlungen sind ein Spiegel der europäischen Zusammengehörigkeit, das soll zukünftig noch stärker zum Tragen kommen. Als erstes soll deshalb auch das Schwarzenberg-Palais in besonderer Weise ein Ort der europäischen Barockkunst werden – vom Manierismus über den Klassizismus bis zum ausgehenden Barock. Wobei natürlich die Kunst der tschechischen Länder ganz besonders eingebettet wird, gewissermaßen schon als ein Höhepunkt, denn wo kann man sonst auf der Welt in diese einzigartige Blüte europäischer Kunst in dieser Dichte sehen? Da sollen keine Abstriche gemacht werden. Und zugleich gibt es viele Möglichkeiten, Beziehungen zur flämischen, zur niederländischen, zur italienischen, zur französischen, selbst zur spanischen Kunst herzustellen.“
„Die Kunstsammlungen sind ein Spiegel der europäischen Zusammengehörigkeit. Das soll zukünftig noch stärker zum Tragen kommen.“
Bedeutet dies, dass die Trennung der Häuser – Schwarzenberg-Palais mit tschechischem Barock, Sternberg-Palais mit europäischer Kunst und Agnes-Kloster mit sakraler Kunst – aufgehoben wird?
„Ganz so ist es ja nicht. Das Agnes-Kloster ist nicht nur der sakralen Kunst gewidmet, sondern der Kunst des Mittelalters und der frühen Renaissance. Dort ist das Konzept, das auch auf Jiří Fajt und Štěpánka Chlumská zurückgeht, schon sehr stark in diese Richtung entwickelt. Da geht es nicht nur um das Böhmische im engeren Sinn, sondern gewissermaßen um das Böhmische im mitteleuropäischen Konzert. Aber auch dort sollen zukünftig übrige Bereiche der mittelalterlichen Sammlungen integriert werden. Das muss dann auch zu Erweiterungen räumlicher Art führen. Bei den Palais auf dem Hradschin soll das Sternberg-Palais die größte und grundsätzlichste Änderung erfahren. Dieses Haus soll zukünftig der Sitz werden für außereuropäische Kunst, für die einzigartige Sammlung der asiatischen und auch der afrikanischen Kunst. Das ist natürlich ein sehr großer Umbruch, und darüber muss auch in Zukunft noch intensiv weiter diskutiert werden. Das Schwarzenberg-Palais wird ein Museum für den europäischen Barock in einem weiteren Sinne. Auch dort soll sich die Ausstellung stark verändern und grundsätzlich neu konzipiert werden.“
Ist es dabei für die alltägliche Arbeit ein Problem, dass die Sammlungen auf so viele Häuser in Prag verteilt sind?„Das ist eine große Frage. Die Nationalgalerie hat kein Zentrum, im Unterschied zu den großen europäischen Kunstmuseen, die überwiegend auf ein Haus oder einen Ort konzentriert sind, wie beispielsweise der Louvre in Paris, das kunsthistorische Museum in Wien oder die National Gallery in London. Das macht die Sache sicherlich ein wenig schwierig, auch für die Besucher oder die äußere Wahrnehmung. Andererseits halte ich das auch für ganz reizvoll und eine besondere Qualität, die es weiterzuentwickeln gilt. Man hat ganz einzigartige räumliche Gehäuse: Wenn man das Agnes-Kloster für die mittelalterliche Kunst sieht: Das ist eines der wichtigsten architektonischen Denkmäler des 13. Jahrhunderts, der Schlüsselbau für die Gotik in Mitteleuropa und darüber hinaus. Und wenn man dort eben auch die Kunst, die sich daraus entwickelt hat, zeigen kann – in der Tafelmalerei, in der Bildhauerkunst, – das ist etwas ganz anderes als in einem sozusagen funktionalen Museumsbau. Genauso ist es mit den Palais auf der Burg. Das ist eigentlich eine traumhafte Situation: Man hat die Burg, man hat diese Palais auf dem Hradschin-Platz, die schon von außen und von der Architektur her das Stadtbild prägen. Es sind architektonische Hauptwerke. Sie mit adäquater Kunst zu füllen, das ist eine große Chance. Es wird in Zukunft aber sicherlich – und das ist schon immer so gewesen in der Nationalgalerie – eine Herausforderung bleiben, wie man den Zusammenhang zwischen den Häusern noch stärkt, wie man den Besuchern deutlich macht, dass es sich um Teile der Nationalgalerie handelt, wie man sie auch neugierig macht auf andere Bereiche und so diesen Zusammenhang vielleicht noch intensiver erkennen lässt.“
„Die Ausstellungsgebäude sind architektonische Hauptwerke. Sie mit adäquater Kunst zu füllen, ist eine große Chance.“
Sie haben als Kunsthistoriker in den letzten Jahren ein Stadtmuseum geleitet. Beeinflusst das Ihre Arbeit, gehen Sie anders an Ihre neue Tätigkeit heran?
„Die städtischen Museen in Zittau sind natürlich eine ganz andere Liga. Es ist ein kommunales Haus, mit einem regionalen Anspruch. Sie haben aber auch eine sehr bedeutende Kunstsammlung. Die wichtigsten Werke sind zwei mittelalterliche Fastentücher von monumentalen Dimensionen, darüber hinaus verfügen sie über eine wichtige Sammlung sakraler Kunst. Da gibt es inhaltliche Berührungspunkte. Natürlich ist es so, dass in Tschechien anders als in Deutschland, Österreich oder in der Schweiz stärker zwischen den Kunstgalerien und Museen unterschieden wird. Ich sehe diesen Unterschied aber nicht als große Hürde, das zeigen auch die aktuellen, sehr erfolgreichen Ausstellungen der Nationalgalerie. Es ist immer wieder fruchtbar, wenn auch in Kunstausstellungen ein kulturgeschichtlicher Kontext hergestellt wird. Zum Beispiel zeigt die aktuelle Ausstellung ‚Ohne Grenzen‘ über Kunst im Erzgebirge sehr schön, wie es mit Kunst gelingt, einen historischen und geographischen Rahmen in einer sehr großen Dichte aufzuzeigen – mit kurzen, aber sehr präzisen Texten, die einen Kontext herstellen. Daher sehe ich meine Herkunft aus einem musealen Zusammenhang als etwas, das ich hier miteinbringen kann.“