„Aquarell zwischen Prag und Wien“: Veduten, Porträts und Zimmerbilder in der Nationalgalerie Prag
In welchem Verhältnis stand das Aquarell zur Druckgrafik, Malerei, Architektur und Photographie? Auch darauf will die wichtigste Herbstausstellung der Nationalgalerie Prag Antworten geben. Die Präsentation „Aquarell zwischen Prag und Wien“ stützt sich auf die Werke tschechischer und österreichischer Meister aus dem 19. Jahrhundert.
Das Aquarell ist eine künstlerische Technik, die auf der Arbeit mit Wasserfarben auf Papier basiert. Sie hat in der Kunstgeschichte eine lange Tradition, die bis ins Altertum zurückgeht, und erreichte ihre größte Blüte im 19. Jahrhundert. Petr Šámal ist Kunsthistoriker an der Prager Karlsuniversität:
„Die Aquarelle waren allgegenwärtig. Fast alle Künstler haben sich damit beschäftigt. Einerseits bot die Aquarelltechnik eine Hilfestellung, sie diente vor allem für Skizzen. Andererseits etablierte sie sich schon im 19. Jahrhundert als Medium für fertige Kunstwerke. Das sind zwei Pole. Anhand dessen, wie Aquarelle damals in Ausstellungen in Prag und Wien präsentiert wurden, sieht man, dass ihr Ruf nach und nach stieg. Zunächst wurden die Aquarellzeichnungen in Sektionen neben Lithographien und Stahlstichen präsentiert, und mit der Zeit wurden sie selbständig gezeigt.“
Soweit Petr Šámal. Er hat die aktuelle Ausstellung in der Nationalgalerie Prag gestaltet. Ziel von ihm und seinen Kollegen war herauszustreichen, dass das Aquarell ein wichtiges künstlerisches Mittel des 19. Jahrhunderts war – und Architektur, Fotografie und weitere Kunstbereiche beeinflusst hat.
Blütezeit im 19. Jahrhundert
„Wir wollten die Ausstellung so konzipieren, dass sie das Aquarell als ein gewisses Phänomen seiner Zeit zeigt. Deswegen präsentieren wir es in seinen klassischen Fächern wie Vedute, Landschaftsmalerei, kleines Porträt oder Zimmerbild. Gleichzeitig zeigen wir aber, wie das Aquarell in alle Kunst- und Lebensbereiche vordrang. Die Ausstellung erörtert auch weitere Themen wie etwa ‚Aquarell und Künstlerinnen‘, ‚Aquarell und Fotografie‘ oder ‚Aquarellskizze‘.“
Die Aquarell-Maler des 19. Jahrhunderts hätten nicht nur das Detail beherrscht, sondern seien in ihren Skizzen auch zu einem sehr lockeren Ausdruck fähig gewesen, der viel mit der modernen Kunst gemein habe, hebt der Kurator hervor. Die Ausstellung beschränkt sich nicht auf das Biedermeier, das am häufigsten mit dem Aquarell in Verbindung gebracht wird, sondern zeichnet die Bedeutung und Verwendung der Technik bis zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert nach.
Die Nationalgalerie präsentiert die Aquarell-Bilder im Kontext des damals regen künstlerischen Dialogs zwischen Prag und Wien. Ein Anstoß für die Veranstaltung seien die umfangreichen Sammlungen in der Nationalgalerie gewesen, insbesondere die Bestände von Zeichnungen und Graphiken mit mehreren Tausend Werken, sagt Šámal:
„Die Sammlungen umfassen eine bemerkenswerte Menge von Aquarellen aus dem 19. Jahrhundert. Diese stammen im Wesentlichen aus zwei Regionen: aus dem Königreich Böhmen und den österreichischen Ländern beziehungsweise Wien. Dies ist logisch, denn Prag und Wien waren damals Teil einer Monarchie, und zwischen den beiden Städten gab es einen künstlerischen Austausch. Dieser Austausch zwischen Prag und Wien im 19. Jahrhundert wurde bisher nicht richtig dokumentiert und in einer Ausstellung präsentiert. Mehr wurde über den Austausch in der jüngeren Zeit, rund um die Wiener Sezession gesprochen, aber für das 19. Jahrhundert wurde er kaum behandelt. Das war eine weitere Motivation, um die Ausstellung jetzt zu gestalten.“
Dialog zwischen Wien und Prag
Der künstlerische Austausch zwischen Wien und Prag sei auf mehreren Ebenen verlaufen, sagt der Kunsthistoriker:
„Er war mannigfaltig, aber man muss objektiv einräumen, dass er nicht ausgewogen war. Dies lag daran, dass Wien doch ein Kunstzentrum von größerer Bedeutung war. Dementsprechend erhielten tschechische Künstler ihre Ausbildung in Wien, vor allem an der dortigen Akademie, und zwar schon seit Ende des 18. Jahrhundert. Es war aber nur eine Seite des Austausches. Hinzu kam, dass sich einige tschechische Maler dauerhaft in den österreichischen Ländern niederließen, wie zum Beispiel Jan Novopacký. Andererseits fuhren österreichische Künstler, wie etwa Rudolf Alt, oft in die böhmischen Länder. Sie haben hierzulande Interieure und Exterieure von neu entstehenden Adelssitzen gemalt. Und nicht zuletzt wurden sie schon damals vom Zauber des alten Prag erfasst, das sie dann oft dargestellt haben.“
Alt, Morstadt, Havránek
Eben Rudolf Alt hat in der aktuellen Ausstellung großen Raum bekommen:
„Hier sind mehrere seiner Aquarelle ausgestellt. Es handelt sich um seine Stadtansichten von Wien aus verschiedenen Zeiten, aber auch zahlreiche Stadtansichten von Prag. Diese sind sehr schön, weil sie seine Fähigkeit aufzeigen, einen detaillierten Blick auf die Realität mit künstlerischer Virtuosität zu verbinden. Das äußert sich im freien Umgang mit dem Dargestellten. Rudolf Alt war in der Lage, sowohl detailliert als auch dynamisch zu sein. Neben ihm muss Vincenc Morstadt als ein Phänomen im Bereich der Veduten erwähnt werden. In der Ausstellung sind seine sehr ausladenden Werke zu sehen. Morstadt hatte als Künstler einen von völlig anderen Charakter als Alt. Wir wollen an den Beispielen dieser Beiden die Vielfalt der künstlerischen Ansätze zeigen.“
Vincenc Morstadt ist einer der bekanntesten Vertreter der böhmischen Aquarell-Kunst, der sich auf Landschaftsbilder und Veduten spezialisierte. Er hielt in seinen Arbeiten vor allem wichtige Gebäude, Straßen und öffentliche Plätze tschechischer Städte fest und füllte sie gerne mit Genrefiguren von Bürgern, Handwerkern und Kaufleuten.
„Morstadt war einer jener Künstler, denen wir ein genaues Zeugnis vom Aussehen vieler Städte in der Zeit vor 150 bis 200 Jahren verdanken. In erster Linie betrifft das Prag, aber auch andere Städte. Ihm ging es sehr darum, die Realität genau widerzugeben. Es wäre aber zu einfach, sein Schaffen nur auf diese Weise zu charakterisieren. Denn seine Veduten zeichnen sich durch eine große künstlerische Fertigkeit aus. Er konnte sehr gut mit der Bildkomposition und der Beleuchtung umgehen und war in der Lage, die Szenen so dynamisch darzustellen, dass sie an spätere Photographien erinnern.“
Ein weiterer tschechischer Vertreter ist Bedřich Havránek. Petr Šámal bezeichnet ihn sogar als „Star der Ausstellung“:
„Bedřich Havránek ist ein stilbildender Maler, dessen Werke sich auf den ersten Blick erkennen lassen. Ihn zeichnet ein sehr starkes Interesse für das Detail aus. In dieser Hinsicht war er genial, obwohl er in seiner Zeit manchmal auch dafür kritisiert wurde. Als Aquarell-Maler schuf er nicht nur kleine Formate, sondern sogar Bilder in dieser Technik, die so groß waren wie die Ölgemälde seiner Zeit. Das war ziemlich ungewöhnlich, aber in unserer Ausstellung sind einige Beispiele dafür zu sehen.“
Die Ausstellung „Aquarell zwischen Prag und Wien“ präsentiert unter anderem Werke der österreichischen Aquarellisten Franz und Rudolf Alt, Thomas Ender und Josef Kriehuber sowie Arbeiten der tschechischen Maler Vincenc Morstadt, Bedřich Havránek, Jan Novopacký und Antonín Mánes. Ein weiterer Bereich der Ausstellung widmet sich den Künstlerinnen, dazu gehören unter anderem Louisa Berková und Amálie Mánesová, für die eben das Aquarell das wichtigste Ausdrucksmittel war. Die ausgewählten Bilder stammen hauptsächlich aus den Sammlungen der Nationalgalerie, sind aber ergänzt von Leihgaben, unter anderem aus der Albertina in Wien.
Die Ausstellung „Aquarell zwischen Prag und Wien“ ist im Messe-Palast im Prager Stadtteil Holešovice untergebracht. Sie ist täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Die Aquarelle aus Prag und Wien vergleichen kann man noch bis 7. Januar kommenden Jahres.