Ein Bild und seine Geschichte: ChemiS‘ Graffiti für Paris

Foto: Offizielle Facebook-Seite von ChemiS

Das Bild ging um die Welt: Nach den Terroranschlägen in Frankreich malte der Streetart-Künstler ChemiS sein Zeichen der Trauer an eine Wand in Prag. Drei Menschen in den Farben der Trikolore beten darauf für Paris. Der 29-jährige Kasache wollte mit seinem Bild nicht nur der Opfer gedenken, sondern auch vor einer Verurteilung von Flüchtlingen in Tschechien warnen. Der Boulevard hat das jedoch anders interpretiert. Im Interview gibt ChemiS Auskunft darüber, was sein Bild ausgelöst hat.

Bild von ChemiS für die Opfer der Terroranschläge  (Foto: Offizielle Facebook-Seite von ChemiS)
Wir stehen hier in Těšnov in Prag. Hier befand sich dein Bild für die Opfer der Terroranschläge. Warum und wann hast du dich entschieden, es zu malen?

„Ich habe mich dazu entschlossen, kurz nach dem es passiert. Zwei oder drei Tage habe ich mich vorbereitet, und dann bin ich hierhergekommen und habe es gemalt.“

Es war ein Zeichen der Trauer für die Geschehnisse in Paris – und zugleich wolltest du auf die Wahrnehmung der Anschläge in Tschechien aufmerksam machen...

ChemiS  (Foto: Annette Kraus)
„Genau. Es war nicht nur für Paris. Gleich nach dem Ereignis wurden die sozialen Netzwerke von unglaublich vielen negativen Postings überschwemmt. Das hat mich erschreckt, denn diese Beiträge waren sehr radikal. Darum habe ich mich entschieden: Das wird nicht nur ein Gemälde für die Opfer. Nach meinen Informationen war in Frankreich keine Rede davon, dass Flüchtlinge etwas mit den Anschlägen zu tun haben. Es ging um Terrorismus und dass Frankreich den Terrorismus bekämpft. Hier allerdings haben alle nur über Flüchtlinge gesprochen. Das hat mich gestört, und ich wollte meine Meinung sagen. Nicht nur mit dem Bild, sondern auch auf meiner Webseite. Wie ich es dort geschrieben habe: Es ist für die Menschen, die nicht eine Mehrheit für die Tat von Einzelnen verurteilen.“

Bild von ChemiS in The Guardian  (Foto: Offizielle Facebook-Seite von ChemiS)
Dein Bild war weltweit in den Medien. Hat dich das überrascht?

„Mich hat eher überrascht, wie meine Meinung oder besser ein kleiner Ausschnitt davon aufgefasst wurde. Andere Zeitungen auf der Welt haben das Bild dann übernommen. Das wiederum war keine Überraschung, und ich bin natürlich froh darüber. Zugleich bin ich auch froh, wenn dieses Werk so interpretiert wird, wie ich es gemeint habe, und wenn man mich danach fragt, zum Beispiel hier vor Ort. Denn für die Artikel hat mich niemand um ein Interview gebeten. Das alles war eigentlich über mich – ohne mich. Sie haben sich genommen, was sie brauchten und haben aus mir eine Person gemacht, die ich gar nicht bin.“

Illustrationsfoto: Sokoljan,  Public Domain
Es war zu lesen, dass die Boulevardzeitung Blesk dein Werk völlig falsch interpretiert hat. Könntest du das erklären?

„Ich wollte darauf hinweisen, wie sich die Leute auf Facebook zu den Anschlägen äußern. Doch die Interpretation von Blesk lautete, dass ich alle Tschechen hassen würde. Dabei lebe ich seit 20 Jahren in diesem Land. Wenn ich von irgendwo nach Tschechien zurückkomme, dann sage ich: Ich fahre nach Hause. Und auf einmal haben mich Menschen beschimpft, die ich gar nicht kenne. Da war mir klar: Sie haben diesen Artikel im Blesk gelesen. Der ist so geschrieben, als würde ich alle Tschechen für Dummköpfe und ein Volk von Rassisten und Fremdenfeinden halten. Dabei sind ja die Leute, die so darauf reagiert haben, die Dummköpfe. Sie haben nicht gelesen, was ich geschrieben habe, haben das nicht in den Kontext gesetzt und nicht gemerkt, dass mein Statement eine Reaktion auf ihre Postings war.“

Václav Havel  (Foto: Offizielle Facebook-Seite von ChemiS)
War es das erste Mal, dass du so schnell auf ein politisches Ereignis reagiert hast?

„Nein. Als Václav Havel gestorben ist, bin ich gleich am nächsten Tag hierhergekommen und habe ein Bild für ihn gemalt. Er war für mich wirklich ein großer Repräsentant der tschechischen Nation und der Demokratie. Das Bild war dann auch in den Medien zu sehen. Mein Name ist aber nirgends aufgetaucht. Fotos davon wurden zum Beispiel beim Wettbewerb für das tschechische Foto des Jahres ausgezeichnet. Da hätte man aber wenigstens sagen können, wer das gemalt hat, denn ein Foto davon kann schließlich jeder machen.“

Těšnov  (Foto: Matěj Baťha,  CC BY-SA 3.0)
Zweieinhalb Wochen nach den Anschlägen stehen wir in Těšnov, und das Bild für Paris ist schon übermalt. Findest du es schade, dass deine Kunst so schnell verschwindet?

„Schwer zu sagen. Ich habe nicht damit gerechnet, dass es ein halbes Jahr oder ein Jahr bleiben wird. So läuft es halt hier in Těšnov. Es ist eine legale Fläche, jeder kann hier malen. Ich weiß nicht genau, wie lange das Bild hier war, aber es war ein relativ langer Zeitraum. Ich male aber sowieso lieber auf Wänden, wo ich die Erlaubnis des Besitzers habe. Dort bleibt es ein Leben lang. Das Problem in Prag ist aber, dass es für mich schwer ist, solche Flächen zu finden. Nur diese legalen Flächen kann ich immer bemalen. Wenn ich dort etwas male, kann es in zwei Tagen wieder weg sein, und alles, was bleibt, ist ein Foto.“

Autor: Annette Kraus
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