Vor Fledermauskulissen: Das Noir-Film-Festival auf Burg Křivoklát

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Zynische Einzelgänger, die sich durch den unwirtlichen Dschungel der amerikanischen Großstadt kämpfen – das ist die gängige Vorstellung vom Film Noir. Tatsächlich ist das Genre noch weitaus vielseitiger und beeinflusst bis heute das internationale Kino. Beim „Noir Film Festival“ ab Donnerstag sind über 30 Klassiker und Raritäten zu entdecken, das alles vor der Kulisse von Burg Křivoklát unweit von Prag.

Burg Křivoklát  (Foto: Martina Bílá)
Ein vordergründig braver Bürger mit dunkler Vergangenheit in Nazideutschland steht im Mittelpunkt von Orson Welles Film „The Stranger“ aus dem Jahr 1946. In den nächsten Tagen läuft er beim „Noir Film Festival“ auf Burg Křivoklát. Verantwortlich für das Programm ist der Filmwissenschaftler Milan Hain. Film Noir ist eines seiner Spezialgebiete:

„Das Genre entstand in einer Zeit, als der Film alles absorbiert hat, was in der amerikanischen Gesellschaft geschah: den Zweiten Weltkrieg, die Desillusionierung danach, den Kalten Krieg. Der Film Noir ist in vielerlei Hinsicht subversiv. Zu einer Zeit, als sich die meisten Zuschauer Komödien, Musicals und Romanzen angesehen haben, hat er dieses System ein wenig unterwandert. Der Film Noir lehnt die typischen Hollywood-Konventionen nicht völlig ab, er greift sie auf und unterläuft sie zugleich unauffällig. Damit bringt er etwas Beängstigendes und Dunkles in dieses sonst so strahlende Hollywood.“

Milan Hain  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Zum dritten Mal findet das Festival des Film Noir inzwischen statt. Einzigartig ist der Veranstaltungsort. Burg Křivoklát ist eine der ältesten Burgen in Tschechien. Im Hof und in vier Sälen stehen nun Leinwände. Milan Hain:

„Diese Burg schafft eine ganz einzigartige Atmosphäre. Wenn wir die Filme in der Nacht vorführen, ist das ziemlich düster. Dort fliegen auch Fledermäuse herum. Und genau wie diese Burg sind auch die Filme: dunkel und geheimnisvoll.“

‚Gaslight‘
Ab 1940 entstanden die ersten Streifen, für die der französische Kritiker Nino Frank später das Label des Film Noir erfand. Thematisch gibt es kaum eine Einschränkung. Es ist eher die Bildsprache, mit scharfen Kontrasten und Anleihen beim Expressionismus, die eine Klammer bildet. Das Festival zeigt einen Querschnitt:

„Wir haben dieses Jahr die Sektion ‚Gothic Noir‘, die eben mit dieser Umgebung, Burg Křivoklát zusammenspielt. Diese Filme zeichnen sich durch eine klaustrophobische Atmosphäre aus, zum Beispiel ‚Gaslight‘ mit Ingrid Bergmann, ein ganz beeindruckender Film. Außerdem haben wir eine Sektion mit Film-Noir-Parodien. Da läuft der hervorragende Film ‚Tote tragen keine Karos‘ oder der bei uns völlig unbekannte ‚Unfaithfully yours‘, den ich sehr empfehle. Das sind Filme, die dieses Genre, den Film Noir und die Detektivfilme auf die Schippe nehmen.“

Orson Welles  (Foto: Carl Van Vechten,  U. S. Library of Congress,  Public Domain)
Zum 100. Geburtstag von Orson Welles gibt es außerdem eine kleine Retrospektive. Daneben stellt das Festival französische und tschechische Filme vor, die dem Film Noir zugerechnet werden oder zumindest von ihm beeinflusst sind. Serien wie „True Detective“ und „Olive Kitteridge“ zeigen, dass der Film Noir auch heute noch präsent ist. Aber auch was die Originale aus den 1940ern und 1950ern betrifft, liefert der Film Noir mindestens noch Stoff für zehn weitere Jahrgänge, sagt Filmwissenschaftler Milan Hain. Für Filmfans sind es Raritäten, die in Tschechien oft erstmals zu sehen sind:

„Einige Filme feiern hier wirklich ihre Premiere, sie waren hierzulande weder in den Kinos noch im Fernsehen zu sehen, zum Beispiel der Film ‚Hangover Square‘. Für ihn mussten wir erst einmal einen tschechischen Titel finden. Er heißt nun wörtlich ‚Katerplatz‘, auch wenn das nicht ganz glücklich ist, weil es in London tatsächlich einen Hanover Square gibt. Viele der Filme sind im Ausland bekannt, bei uns jedoch nie auf DVD erschienen, und die Menschen konnten sie lange Zeit nicht entdecken.“


Das „Noir Film Festival“ auf Schloss Křivoklát dauert vom 20. bis zum 23. August. Die Filme laufen im Original mit tschechischen Untertiteln. Alle weiteren Informationen – auch zur Anreise und Übernachtungsmöglichkeiten – finden sich im Internet auf Tschechisch und Englisch unter www.noirfilmfestival.cz.

Autor: Annette Kraus
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