70 Jahre im Dachstuhl: „Sudetenschatz“ in Nordböhmen aufgetaucht

Foto: Gabriela Hauptvogelová, Archiv des Tschechischen Rundfunks

In Nordböhmen ist ein wertvoller Schatz aufgetaucht: Es sind die Habseligkeiten von sudetendeutschen Familien, die sie vor der Vertreibung 1945 versteckten. Verborgen im Dachstuhl einer Familienvilla in Libouchec / Königswald blieben die Alltagsgegenstände 70 Jahre lang unbemerkt. Nun kehrte der Sohn der Familie zurück und zeigte staunenden Historikern das Versteck.

Rudi Schlattner  (links). Foto: Jiří Preclík,  Archiv des Tschechischen Rundfunks
Rudi Schlattner erledigte es selbst: Nach ein paar Schlägen gegen die Holzverkleidung öffnete er einen Hohlraum im Dachstuhl der Villa. Dahinter befanden sich über 100 sorgfältig verschnürte Pakete und weitere Gegenstände, zum Beispiel ein hölzernes Paar Skier. Mit dabei war auch Václav Houfek, der Leiter des Stadtmuseums im benachbarten Ustí nad Labem / Aussig an der Elbe.

„Es ist wohl überhaupt das erste Mal, dass Historiker einen solch umfassenden ‚Sudetenschatz‘ dokumentieren können. Und dank des Zeitzeugen, der damals 12, 13 Jahre alt war, bekommen wir noch ergänzende Informationen zu den Gegenständen.“

Foto: Gabriela Hauptvogelová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks
Rudi Schlattner ist heute 83 Jahre alt und lebt in Bayern. Im Juni meldete er sich bei der Gemeinde Libouchec. Er wollte seiner Familie zeigen, was er selbst vor 70 Jahren mit versteckt hat. Die versteckten Schätze sollen nicht in Vergessenheit geraten. Als sein Eigentum beansprucht Rudi Schlattner die Dinge hingegen nicht: „Mir gehört davon gar nichts.“

Die Pakete sind mit Namen beschriftet, denn auch Familien aus der Nachbarschaft brachten ihre Besitztümer auf den Dachboden der Villa Schlattner. Im Museum von Ústí nad Labem werden die Pakete nun nacheinander aufgeschnürt und erfasst. Václav Houfek:

Foto: Gabriela Hauptvogelová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks
„Es sind hauptsächlich Dinge des täglichen Gebrauchs. Denn die Familien gingen davon aus, dass sie bald wieder zurückkehren würden, und dass sie, natürlich in der Not und unter den ärmlichen Bedingungen der Nachkriegszeit ein alltägliches Leben führen könnten. Wir haben etwa Mäntel, Hüte, einen Regenschirm und Geschirr gefunden. Auch eine Mauser-Pistole, sie war aber nicht geladen. Die Gegenstände demonstrieren wirklich beispielhaft die Mentalität der Menschen, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine Art Abschub erwartet haben; die nicht wussten, was mit ihnen passieren wird. In dieser Situation haben sie Dinge versteckt, die für sie von Bedeutung waren.“

Václav Houfek  (Foto: Archiv der Jan-Evangelista-Purkyně-Universität)
Zum Beispiel eine ganze Batterie von Perlmuttknöpfen – zur Zeit der Geldentwertung hätten sie als Zahlungsmittel dienen können. Ein Bild des Landschaftsmalers Malers Josef Stegl aus Děčín / Tetschen ist aufgetaucht, daneben Dokumente und Bücher, auch eine Ausgabe von Hitlers „Mein Kampf“. Ein solch umfassender Fund ist 70 Jahre nach der Vertreibung sehr ungewöhnlich, sagt Václav Houfek:

„Die meisten dieser sogenannten Sudetenschätze tauchten bald nach dem Krieg auf, als die Grenzgebiete von Tschechen neu besiedelt wurden. In den 1960er und 1970er kamen sehr viele Vertriebene zurück, um ihre versteckten Schätze zu heben. Hier in Nordböhmen spielte zudem die systematische Zerstörung vieler Gemeinden wegen des Braunkohleabbaus eine Rolle. Dabei sind mit Sicherheit hunderte von ähnlichen Schätzen verschwunden.“

Der späte Fund von Libouchec soll nun der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das Museum Ústí nad Labem möchte ihn in die Sammlung übernehmen und klärt derzeit die Eigentumsrechte. Rudi Schlattner wird voraussichtlich in ein paar Tagen nochmals nach Tschechien reisen und den Historikern noch mehr Einzelheiten über die Gegenstände verraten.


Der sogenannte „Sudetenschatz“ ist ab 31. September im Stadtmuseum von Ústí nad Labem zu sehen.