Tschechien debattiert über František Kriegel
Vergangene Woche wurde in ganz Tschechien an den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen von 1968 erinnert. Zugleich ist eine öffentliche Debatte um einen bedeutenden Protagonisten des Prager Frühlings entbrannt. Vor genau 46 Jahren, am 26. August 1968, hatte sich František Kriegel als einziger tschechoslowakischer Politiker geweigert, das „Moskauer Protokoll“ zu unterzeichnen. Mit diesem Dokument wurden alle Reformen des Prager Frühlings zunichte gemacht und die sogenannte Normalisierung eingeleitet. Ob František Kriegel aber deshalb ein Held ist, darüber streiten sich Politiker und Historiker derzeit.
„Für mich ist František Kriegel ein Symbol des Widerstandes gegen die Invasion, ich würde sagen, ein Symbol der Standhaftigkeit.“
Am Montag wurde Uhls Antrag im Stadtrat mit 14 zu sieben Stimmen abgelehnt, sechs Abgeordnete enthielten sich der Stimme. Die Debatte im Vorfeld hatte wieder einmal gezeigt, dass die Gräben tief sind, wenn es um die Bewertung der sozialistischen Vergangenheit geht. In einem Streitgespräch im Tschechischen Rundfunk äußerten sich zwei Weggefährten Kriegels. Der Atomphysiker František Janouch ist heute Vorsitzender der Stiftung Charta 77, die auch einen František-Kriegel-Preis für Zivilcourage verleiht:
„Er war ein sehr mutiger Mensch. Er hat fast zehn Jahre im Zweiten Weltkrieg gekämpft, erst im spanischen Bürgerkrieg, dann in China gegen Japan und schließlich noch in der US-Armee in Burma, wo er beim Bau der Burmastraße geholfen hat, über die China mit Waffen versorgt werden sollte. Ich kannte ihn sehr gut und bin der Meinung, dass er ein außergewöhnlicher Politiker war. Ich kenne niemanden, den man mit ihm vergleichen könnte. Für den zweiten Prager Stadtbezirk wäre es selbst eine Ehre, wenn er Ehrenbürgerschaft erhält.“
Von allen Seiten wird Kriegel angerechnet, dass der hohe Funktionär im August 1968 in Moskau standhaft blieb und als Einziger die Unterschrift unter das Moskauer Protokoll verweigerte. Nicht akzeptabel ist für seine Gegner jedoch die Rolle, die Kriegel unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg gespielt hat. Kriegel, der einem deutsch-jüdischen Elternhaus in Galizien entstammte, war in den 1930ern zum Medizinstudium nach Prag gekommen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte er in die Tschechoslowakei zurück und stieg innerhalb der Kommunistischen Partei schnell in hohe Kader auf. John Bok, wie Kriegel und Janouch ein Unterzeichner der Charta 77, äußerte sich im Tschechischen Rundfunk dazu:„Er hat als Leiter der Prager Volksmiliz eine bedeutende Rolle beim kommunistischen Umsturz von 1948 gespielt. Da wurden ganz klar Menschen eingeschüchtert und bedroht. Diese Vorgänge werden heute relativiert, die Beteiligten werden zu edlen und aufrechten Menschen erklärt, und aus Kriminellen werden anständige Bürger gemacht. František Kriegel saß niemals im Gefängnis, er wurde nur seiner hohen Funktion in der Partei enthoben. Meinetwegen, er mag sich anständig verhalten haben, es gibt auch ein Beispiel aus den 1950ern, als er einer jüdischen Auschwitz-Überlebenden geholfen hat. Das hat eine menschliche Dimension, aber ich verstehe nicht, weshalb jemand aus diesem Grund Ehrenbürger werden oder irgendeine Ehrung erhalten sollte. Soweit ich weiß, wurde Herr Kriegel dreimal von den Kommunisten geehrt.“
Nach der Rückkehr aus Moskau 1968 weigerte sich Kriegel ein zweites Mal, der sogenannten Normalisierung den Weg zu bereiten. Im Herbst 1968 stimmte er gemeinsam mit nur drei weiteren Abgeordneten der Nationalversammlung gegen einen „zeitlich beschränkten Aufenthalt“ der sowjetischen Truppen in der Tschechoslowakei. Im Jahr darauf erfolgte sein Ausschluss aus der Kommunistischen Partei. Das letzte Jahrzehnt seines Lebens galt er als Dissident; Kriegel gehörte zu den ersten Unterzeichnern der Charta 77. Der tschechoslowakische Geheimdienst (StB) observierte ihn bis zu seinem Tod im Jahr 1979.