Willkommen bei Graf Spaßvogel und Henker Hermann – Adelssitze im östlichen Böhmen

Henker Hermann (Foto: Martina Schneibergová)

Bei einer Führung durch ein Schloss oder eine Burg sind die Besucherinnen und Besucher meistens nur passive Zuhörer. Ein Projekt mit dem Titel „Öffnet die 13. Schlosskammer“ bietet den Touristen nun die Möglichkeit, aktiv mitzuwirken. Als im April die Touristensaison eröffnet wurde, schlossen sich zehn historische Sehenswürdigkeiten diesem Projekt an, darunter die Schlösser Loučeň und Karlova Koruna und die Burg Kost.

Graf Spaßvogel  (Foto: Martina Schneibergová)
Eine Führung durch die Schlösser und Burgen im Rahmen des Projektes „Öffnet die 13. Schlosskammer“ unterscheidet sich deutlich von den üblichen Besichtigungen. Die Besucher bekommen beim Betreten der Sehenswürdigkeiten zusammen mit ihrer Eintrittskarte auch eine Spielkarte. In der Residenz, die sie als Erste besuchen, erhalten sie zudem auch eine Art Reisepass. Während der Besichtigung sollen die Besucher mit Hilfe der Schlossführer ein Lösungswort auf der Spielkarte erraten. Für jede erratene Lösung erhalten sie dann einen Schlüssel. In jeder der besichtigten Sehenswürdigkeiten genau einen. Und mit jedem neuen erworbenen Schlüssel nähern sich die Besucher dem Weg in die 13. Kammer. Haben sie insgesamt sieben von zehn möglichen Schlüsseln erhalten, werden sie in der Lage sein, eine von ihnen selbst ausgewählte 13. Kammer in einer der zehn Sehenswürdigkeiten zu öffnen. Jede der Attraktionen, die am Projekt „Öffnet die 13. Schlosskammer“ teilnehmen, wird durch eine geheimnisvolle Person symbolisiert. Einige Residenzen haben eine historische Persönlichkeit als Symbol, andere eher eine Märchenfigur. Diese Person führt die Besucher im entsprechenden historischen Kostüm durch das Schloss und erzählt dabei ihre eigene Geschichte. Die Symbolfigur des Barockschlosses Karlova Koruna / Karlskron ist beispielsweise Graf Spaßvogel.

Schloss Karlova Koruna | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International
Bei Chlumec nad Cidlinou ließ Graf Franz Ferdinand Kinský vor etwa 300 Jahren seinen Repräsentationssitz erbauen. Der namhafte Architekt Johann Blažej Santini-Aichl hat das Barockschloss entworfen. Mit dem Bau wurde František Maxmilian Kaňka beauftragt. Das Schloss hat einen ungewöhnlichen Grundriss: drei quadratische Schlossflügel sind jeweils mit einer Ecke an einen runden Mittelbau angeschlossen. Dieser Mittelbau, der wie ein breiter Turm aussieht, überragt alle Seitenflügel. Das gesamte Schloss erinnert mit seiner Form beim Blick aus der Ferne an eine Krone. Im Jahr 1723 besuchte Kaiser Karl VI. die soeben fertig gestellte Residenz. Das Schloss wird seitdem Karlova Koruna / Karlskron genannt. Am Eingang werden die Sucher nach der 13. Schlosskammer von Graf Spaßvogel begrüßt. Er stellt sich als Octavian Kinský vor, der hier vor fast 200 Jahren gelebt habe, sagt der Mann im weißen Frack und schwarzen Zylinderhut und führt die Gäste zuerst in den Herrensalon.

Schloss Karlova Koruna  (Foto: Martina Schneibergová)
„Vor allem Gräfinnen, Komtessen und alle weiteren Damen sollten den Salon diesmal genießen, denn beim nächsten Mal werde ich hier nur noch Herren empfangen. Die Audienz darf nicht allzu lange dauern, denn es kommen noch viele weitere Gäste. Ich richte mich nach dieser historischen Uhr hier. Gleich zu Beginn habe ich eine Testfrage für Sie: Auf dem Tisch steht noch eine weitere Uhr, an ihr ist etwas Ungewöhnliches, heutzutage könnte man es für einen Fehler halten. Wenn Sie es entdecken, können Sie das auf Ihrer Spielkarte notieren.“

Der wirkliche Graf Octavian Kinský wurde 1813 geboren. Er war oberster Landhofmeister von Böhmen und vor allem ein passionierter Pferdesportler und Züchter einer eigenen Rasse: der Kinsky-Pferde. Mehr über Kinskýs Verdienste um den Pferdesport erfahren die Besucher im Salon, der geschmückt ist mit zahlreichen Gemälden mit Pferdemotiven.

Während der Führung stellt Octavian noch weitere Fragen. Für die erratene Lösung belohnt er die aufmerksamen Besucherinnen und Besucher zum Abschluss mit einem Schlüssel, den sie auf den Weg in die 13. Kammer mitnehmen können.

Schloss Karlova Koruna lebt jedoch nicht nur von der Suche nach der 13. Schlosskammer. Martina Kubešová leitet die Verwaltung des Schlosses. Ihren Worten zufolge konzentriert man sich in Karlova Koruna besonders auf Programme für Familien mit Kindern. Für die Öffentlichkeit sei das Schloss von April bis Oktober geöffnet, sagt Kubešová.

Burg Kost  (Foto: Martina Schneibergová)
„Die Schlossbesitzer – Familie Kinsky dal Borgo - leben in Italien. Sie sprechen aber gut tschechisch und kommen etwa einmal im Monat hierher. Während ihres Aufenthalts wohnen sie in den Appartements außerhalb des Hauptgebäudes, denn das Schloss diente und dient immer noch als ein Repräsentationsgebäude.“

Das Eigentum der Familie Kinský wurde nach der kommunistischen Machtübernahme von 1948 in der Tschechoslowakei vom Staat konfisziert. Nach der Samtenen Revolution erhielten die Kinskýs in der Restitution das Schloss Karlova Koruna zurück.

Auch die gotische Burg Kost erhielt die Adelsfamilie Kinský nach der Samtenen Revolution von 1989 zurück. Die Burg steht im Unterschied zu den meisten anderen Burgen in einem Tal, und zwar in der malerischen Landschaft des Böhmischen Paradieses (Český ráj). Der Bau aus dem 14. Jahrhundert, dessen Wahrzeichen ein hoher Weißer Turm ist, blieb sehr gut erhalten. Die Burg sehe seit fast 500 Jahren unverändert aus, erzählt der dortige Verwalter Jan Macháček. Im Rahmen der Aktion „13. Schlosskammer“ schlüpft er in die Rolle des Henkers Hermann, der die Symbolfigur von Kost ist. Henker Hermann erzählt über den Beginn seiner beruflichen Karriere:

Tal ´Plakánek´  (Foto: Martina Schneibergová)
„1580 fing ich hier in Kost als Henker an. Die erste Strafe, die ich vollziehen musste, hing mit dem hiesigen Tal zusammen, das seitdem ´Plakánek´- auf Deutsch etwa ´Der Weinende´ genannt wird. Ich erzähle ihnen die traurige Geschichte: Die schöne Tochter des hiesigen Försters hatte sich in einen der Burgbeamten verliebt. Dieser ließ sie jedoch im Stich, als sie schwanger wurde. Sie brachte dann geheim im Wald einen Sohn zur Welt. Aus lauter Verzweiflung hat sie ihr Kind dann in der Erde vergraben. Als sie nach Hause kam, wurde sie sich ihrer schlimmen Tat bewusst und versuchte, das Kind wieder zu finden. Dies gelang ihr nicht, das Grab war verschwunden. Nachdem die Öffentlichkeit von ihrer Tat erfahren hatte, wurde die Frau zum Tod verurteilt. Sie musste auf die gleiche Art wie ihr Kind sterben: Sie wurde lebendig begraben.“

Henker Hermann  (Foto: Martina Schneibergová)
Henker Hermann führt die Besucher danach durch die Folterkammern, den mittelalterlichen Kerker sowie die Kellerräume. Während der Führung stellt der Henker auch hier den Besuchern aus dem 21. Jahrhundert einige Fragen, für deren richtige Beantwortung sie am Schluss einen Schlüssel für die 13. Schlosskammer bekommen.

Dem Projekt „Öffnet die 13. Schlosskammer“ haben sich neben Karlova Koruna und Kost acht weitere Sehenswürdigkeiten angeschlossen: das westböhmische Schloss Kozel, das Schloss Děčín / Tetschen und die Burg Grabštejn / Grafenstein in Nordböhmen, Kloster Broumov / Braunau in Ostböhmen, Schloss Slatiňany in Ostböhmen sowie die Schlösser Kačina und Loučeň / Lautschin in Mittelböhmen. Eben dorthin führt der letzte Ausflug.

„Weiße Frau“  (Foto: Martina Schneibergová)
Das Barockschloss Loučeň liegt etwa 60 Kilometer von Prag entfernt, in der Nähe des Städtchens Nymburk. Die symbolische Figur, die hier die Besucher durch die Schlosszimmer führt, ist die „Weiße Frau“. Der Legende nach soll es der Geist der Adeligen Tereza Berková z Dubé sein. Nach der Schlacht am Weißen Berg lebte die Dame, die sich zum protestantischen Glauben bekannt hatte, im Exil. Auf ihr geliebtes Loučeň sei sie erst nach dem Tod als guter Geist zurückgekehrt, so die Legende. Die Weiße Frau zeigt den Besuchern zu Beginn den prunkvollen Speisesaal:

„Kommen Sie herein, meine Herrschaften, in den Speisesalon unseres Schlosses. Hier traf die Familie des Schlossbesitzers beim Mittagessen zusammen, aber nur wenn Fürstin Marie von Thurn und Taxis zu Hause war. War die Fürstin gerade nicht zu Hause, hat ihr Mann oft nur in der Küche gegessen. Das habe ich selbst gesehen. Falls einer unserer kleinen Besucher ausprobieren möchte, wie es ist, am gedeckten Fürstentisch zu sitzen, kann er es gerne tun.“

Schloss Loučeň  (Foto: Archiv von Radio Prag)
Während der Besichtigung der Schlossräume vergisst die Weiße Frau nicht, den Besuchern Quizfragen zu stellen, damit sie auch hier einen Schlüssel zur 13. Schlosskammer erhalten können. Die Schlosszimmer in Loučeň sind teilweise noch so eingerichtet, wie unter den Thurn und Taxis, die vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg in Loučeň gelebt haben. Die Thurn und Taxis hatten damals oft illustre Gäste zu Besuch – beispielsweise den Schriftsteller Mark Twain oder den Dichter Rainer Maria Rilke. Auch der tschechische Komponist Bedřich Smetana hat das Schloss gerne besucht.



Labyrinth in Loučeň  (Foto: Archiv von Radio Prag)
Schloss Loučeň ist zudem durch eine Reihe von Labyrinthen bekannt geworden. Die Besucher können die Irrgärten im Schlosspark besichtigen und natürlich auch ausprobieren. Und nicht zuletzt gibt es in Loučeň den ältesten Fußballverein Tschechiens – gegründet wurde er schon 1893.

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