Triumphale Rückkehr - der Weg zum tschechischen Kult um Edvard Beneš

Edvard Beneš

Edvard Beneš, der ehemalige tschechoslowakische Staatspräsident, ist Held und Reizfigur zugleich. Es kommt nur darauf an, wen man fragt. In unseren Sendungen haben wir bereits über die sudetendeutsche Wahrnehmung von Beneš gesprochen. Nun beleuchten wir das Bild, das sich die tschechoslowakischen Bürger von ihrem Präsidenten gemacht haben - und zwar in der Zeit ab dem Münchner Abkommen von 1938, als Beneš abdankte, und vor allem während seiner triumphalen Rückkehr in die Nachkriegs-Tschechoslowakei.

Edvard Beneš
Ende 1935 wird Edvard Beneš tschechoslowakischer Staatspräsident. Er ist Nachfolger des verstorbenen Staatsgründers Tomáš Garrigue Masaryk. Doch es sind aufreibende Zeiten. Die Tschechoslowakei gerät als demokratischer Staat in Mitteleuropa immer mehr in die Isolation. Der Druck von Hitler-Deutschland wächst und gipfelt in der Sudetenkrise im Jahr 1938. Die tschechoslowakische Politik muss sich dem deutschen Diktat beugen und nach dem Münchner Abkommen von Ende September des Jahres die Sudetengebiete abtreten. Kurz darauf reicht Staatspräsident Beneš seinen Rücktritt ein. In einer emotionalen Rede wendet er sich am 5. Oktober 1938 ein letztes Mal an seine Bürger:

„Ich verlasse das Schiff nicht im Sturm. Ich glaube hingegen, dass in diesem Moment mein Opfer politisch notwendig ist, auch wenn es nicht heißt, dass ich meine Pflicht vergäße, weiter als Bürger und Patriot tätig zu sein.“

Michal Pehr
Eine politische Niederlage, auch wenn sie nicht mehr zu vermeiden gewesen war, nachdem England und Frankreich eingeknickt waren. Kurz darauf emigrierte der nun ehemalige Präsident nach Großbritannien, während auf die Tschechoslowakei noch Schlimmeres zukommen sollte: die Teilung des Staates und die Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren unter deutscher Aufsicht.

Michal Pehr, Historiker vom Masaryk-Institut der Tschechischen Akademie der Wissenschaften, hat sich mit dem Bild Benešs in der tschechoslowakischen Gesellschaft beschäftigt. Zur Abdankung im Jahr 1938 sagt Pehr:

„Edvard Beneš ist sein Verhalten durch die tschechische Gesellschaft nach dem Münchner Abkommen vorgeworfen worden, also während der so genannten Zweiten Republik. Nach dem Zweiten Weltkrieg war dies aber bereits vergessen. München symbolisierte einen Verrat. Der Verrat von München war ein Begriff in der tschechoslowakischen Gesellschaft, aber er wurde nicht mit Edvard Beneš in Verbindung gebracht. Auf der anderen Seite war für Beneš selbst das Münchner Abkommen ein sehr traumatisches Erlebnis. Sein ganzes restliches Leben hat er sich damit beschäftigt, einige seiner Mitarbeiter haben ihm vorgeworfen, dies viel zu intensiv zu tun. Die tschechoslowakische Gesellschaft hat ihm dies aber nicht vorgeworfen.“

Münchner Abkommen
Im Exil erklärte Edvard Beneš das Münchner Abkommen für ungültig und protestierte international gegen die Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren. Er wurde zur Leitfigur des tschechoslowakischen Widerstandes gegen Hitler im Ausland und gründete die Exilregierung in London. Beneš erreichte, dass die Alliierten diese Regierung als rechtmäßig anerkannten. Im Dezember 1943 reiste er bereits in der Funktion als tschechoslowakischer Staatspräsident im Exil nach Moskau und unterschrieb einen Vertrag mit der Sowjetunion. Aus Moskau brach er auch im Frühjahr 1945 zu seiner Rückreise in die Tschechoslowakei auf.

Edvard Beneš
Am 16. Mai 1945 kehrt Beneš nach Prag zurück. Der Tschechoslowakische Rundfunk sendet live, der Reporter ist aus dem Häuschen:

„Überall Prager Bürger und Menschen aus dem Umland. In jedem Fenster, auf jedem Balkon und auf jedem Dach. Überall winkende Hände und Fahnen. Raketen fliegen über den Wenzelsplatz, und die Flammen in unseren Herzen: Unser Präsident Doktor Edvard Beneš, du Teurer, du Geliebter!“

Der Reporter verfolgt die gesamte Ankunft - vom Wilson-Bahnhof, dem heutigen Hauptbahnhof, bis ans Smetana-Ufer an der Moldau. Über zwei Stunden Spielzeit hat die Aufnahme, die im Archiv des Tschechischen Rundfunks erhalten geblieben ist. Historiker Michal Pehr:

Edvard Beneš  (Foto: Beneš in Fotos,  Orbis Prag)
„Ganz ohne Zweifel war die Rückkehr von Edvard Beneš ein Triumph, da er nach sechs beziehungsweise sieben Jahren im Exil zurückkam. Zumindest die tschechische Gesellschaft setzte seine Rückkehr mit dem Kriegsende gleich und mit der Wiedererrichtung eines eigenständigen Staates. Die Rückkehr war aber eine lange Reise. Anfang April 1945 reiste Beneš in die bereits befreiten östlichen Teile des tschechoslowakischen Staates und verbrachte rund einen Monat in Košice. Im Mai kam er zuerst nach Bratislava und dann nach Brünn. Erst von dort brach er nach Prag auf. Dieser letzte Teil seiner Rückkehr aus Mähren nach Prag wurde der triumphalste Teil.“

Der Exil-Präsident wird im Juni 1946 auch zum ersten regulären Staatsoberhaupt nach dem Krieg gewählt. Umstritten ist zwischen deutschen und tschechischen Historikern, wie hoch sein Anteil an der Entscheidung war, die Deutschen nach dem Krieg aus der Tschechoslowakei zu vertreiben. Während deutsche Historiker Edvard Beneš als treibende Kraft sehen, sind ihre tschechischen Kollegen zurückhaltender. Für das sudetendeutsche Bild Benešs nach dem Krieg ist die Vertreibung auch tatsächlich ausschlaggebend, nicht aber für sein Bild in der Tschechoslowakei:

Vertreibung der Sudetendeutschen  (Foto: Sudetendeutsches Archiv / Creative Commons 1.0 Generic)
„Edvard Beneš ist dort ein Symbol für die Erneuerung der Tschechoslowakischen Republik. Beneš symbolisiert in dem Moment die Erste Republik, also die Tschechoslowakei aus der Zwischenkriegszeit, aber zugleich auch die Hoffnung für die Zukunft, dass die in der Folge bereits Dritte Tschechoslowakische Republik auf demokratischen Idealen aufgebaut wird“, so Michal Pehr.

Darf man hier bereits von einem Kult um Edvard Beneš sprechen? Der Historiker hält das für gerechtfertigt:

„Wenn man sich ansieht, welche Gedichte entstanden, die ihn gefeiert haben, wie sein Geburtstag öffentlich begangen wurde und wie einige seiner Reisen durchs Land begleitet wurden – dann zeugt das davon, dass er als Held angesehen wurde. Es lässt sich also in einem gewissen Sinn des Wortes von einem Kult sprechen.“

Klement Gottwald am 25. Februar 1948
„Ich komme gerade von der Burg vom Präsidenten der Republik. Ich kann Ihnen sagen, dass der Präsident alle meine Vorschläge angenommen hat“, so der kommunistische Parteivorsitzende Klement Gottwald, damals bereits tschechoslowakischer Premier, am 25. Februar 1948.

Es ist der Auftakt zur Machtergreifung der Kommunisten, die über eine Regierungsumbildung führt. Klement Gottwald hatte Staatspräsident Beneš die Entlassung aller nicht-kommunistischen Minister vorgeschlagen und die Ernennung von Politikern seiner Partei. Dass Edvard Beneš diesem Schritt zugestimmt hat, bezeichnen tschechische Historiker heutzutage als einen schicksalhaften Fehler. Der Staatspräsident als Steigbügelhalter für die Kommunisten? Wie sahen dies aber damals die Bürger des Landes? Historiker Pehr klärt auf:

Benešs Parte
„Beneš wird zumindest von einem Teil der Gesellschaft seine Entscheidung vorgehalten, die im Februar 1948 die kommunistische Machtübernahme erleichtert hat und damit auch eine Umwandlung der Tschechoslowakei in einen kommunistischen Staat. Es ist aber ein Thema, das eine detaillierte Aufarbeitung nötig hätte. Auf der anderen Seite wurde Edvard Beneš trotzdem als Symbol der Demokratie verstanden. Und es ist interessant, dass er - nach seiner Abdankung im Juni 1948 bis zu seinem Tod im September desselben Jahres - als Symbol der Demokratie auf vieler Weise geehrt wurde. Und sein Begräbnis im September 1948 wurde zu einer der letzten Äußerungen des freien Willens der damaligen tschechoslowakischen Gesellschaft.“

Benešs Grab in Sezimovo Ústí  (Foto: Irena Veselá,  Wikimedia Commons Free Domain)
Selbst ein Jahr später organisierte sogar der gleichgeschaltete Gewerkschaftsdachverband, die Revoluční odborové hnutí (ROH), Busfahrten zu Benešs Grab in die südböhmische Stadt Sezimovo Ústí / Alttabor. Für die Führung der kommunistischen Partei ein Angriff auf ihr Machtmonopol:

„Ihre Taktik ist jetzt, Beneš möglichst nicht zu erwähnen. Eine Reihe von Straßen, die nach Beneš benannt worden war, wird nach und nach umbenannt. Er wird als Vertreter der Bourgeoisie dargestellt. Die Kommunisten haben aber auch Angst vor dem Kult, und ihre Vorgehensweise ist zweigeteilt und sehr vorsichtig. Deswegen entscheiden sie sich dafür, an Beneš einfach nicht zu erinnern, ihn vergessen zu machen. Aber je größer ihre Bemühungen sind, ihn vergessen zu machen, desto mehr wird innerhalb der Gesellschaft an ihn erinnert – so wie an Masaryk. Edvard Beneš wird als Schüler von Masaryk angesehen. In vielen Familien hängt damals weiterhin ein Porträt dieses Präsidenten, oder Fotografien von ihm stehen in den Bücherregalen. Der Kult wird im Geheimen weiter gepflegt.“


Dieser Beitrag wurde am 17. Dezember 2011 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.

Autor: Till Janzer
schlüsselwort:
abspielen