Regisseurin Vlachová: Dokumentarfilme über kommunistisches Unrecht
In Tschechien findet immer im März das weltweit größte internationale Dokumentarfilmfestival über Menschenrechte statt. „Jeden svět“, zu Deutsch „Eine Welt“ heißt es, und besteht seit 14 Jahren. Im Vorfeld des Festivals wollen wir uns schon heute mit Filmen über Menschenrechtsverletzungen in der Zeit des Kommunismus beschäftigen. Dieses Thema konnten tschechische Regisseure erst nach dem Wendejahr 1989 aufgreifen. Eine Zeitlang bevorzugten jedoch viele von ihnen auch in den veränderten gesellschaftspolitischen Verhältnissen eher unpolitische Themen. Kristína Vlachová ist indes einer der Ersten, die den Fokus auch auf schmerzliche und lange tabuisierte Themen aus der Zeit des Kommunismus gerichtet hat. Auch sie sollte die Erfahrung machen, dass der ersehnten Schaffensfreiheit trotz gesellschaftlichen Umbruchs immer noch Schranken gesetzt werden. In einer neuen Ausgabe des Kultursalons hören Sie nun ein Portrait der renommierten Filmregisseurin und Drehbuchautorin.
Die Eltern von Kristína Vlachová waren nie Mitglieder der kommunistischen Partei, und das war seinerzeit ein Minus, wenn man sich um einen Studienplatz bewerben wollte. Technische Fächer waren aber unterbesetzt, und so entschied sich Kristina Vlachová nach dem Abitur 1960 für ein Studium der Elektrotechnik mit dem Schwerpunkt Radio, Fernsehen und Film. Über dieses technische Fach habe sie eine Hintertür zur Kunst geöffnet, sagte sie später in einem Presseinterview. Ihr Weg zum Dokumentarfilm war daher lang und verschlungen. Nach ihrem Abschluss im Jahr 1966 arbeitete sie in technischen Berufen und belegte im Fernstudium dann ab 1967 das Fach Drehbuch und Dramaturgie an der Prager Filmhochschule (FAMU). Nach der Niederschlagung der Reformbewegung des Prager Frühlings im Sommer 1968 veränderte sich die innenpolitische Lage von Grund auf – und damit auch die Karrierechancen.
Vlachová fand eine Anstellung im Buchverlag Orbis und bearbeitete dort Malvorlagen für Kinder. Als bekannt wurde, dass die meisten Entwürfe von Dissidenten stammten und unter Decknamen herausgegeben wurden, mussten mehrere Mitarbeiter des Verlags gehen. Auch Kristína Vlachová. Sie habe sich danach als Portier in einem Studentenwohnheim „etabliert“, sagt sie heute ironisch. Doch gerade dort habe sie ihr späteres Thema als Filmemacherin gefunden:„Dort lernte ich einen Mann kennen, der den Boden um die Mülltonnen kehrte. Es war ein ehemaliger politischer Häftling. Gemeinsam haben wir mehrmals über die Lage im Land diskutiert. Dabei wurden wieder meine Erinnerungen an die Zeit der 1950er Jahre wach, als der Rundfunk Direktübertragungen von den politischen Prozessen ausstrahlte. Das hatte mir als achtjährigem Mädchen Angst bereitet, denn es war oft von Hinrichtungen die Rede. Ich fürchtete um meinen Vater, weil er Slánský hieß. Die Erinnerungen haben mich zu dem Entschluss gebracht, mich mit diesem Thema zu befassen.“
Es mussten jedoch noch einige Jahre ins Land gehen, bevor Kristína Vlachová nach der politischen Wende von 1989 ihren Plan umsetzen konnte. Ihre Dokumentarfilme aus den 1990er Jahren waren jedoch thematisch noch recht breit angelegt. So ging es auch um den Holocaust, das Schicksal der Roma und oder den Drogenhandel. Parallel dazu sammelte Vlachová kontinuierlich Filmmaterialien für ihre großen Filmdokumente, die erst nach dem Jahr 2000 entstehen konnten.Anfang der 1990er Jahre wurde ein Gerichtsverfahren gegen den ehemaligen Wächter des kommunistischen Arbeitslagers beim Uranbergwerk in Jáchymov / Joachinsthal, Bohumír Vlačiha, eröffnet. Der Angeklagte gestand seine Tat, einen flüchtenden Lagerinsassen zunächst in den Rücken und dann aus kurzer Entfernung ins Gesicht geschossen zu haben. Diese Tat war auch durch die kommunistische Gesetzgebung nicht gedeckt gewesen, doch nach seiner Tat wurde Vlačiha sogar befördert und mit einer Prämie ausgezeichnet. 1997, nach seiner Verurteilung zu drei Jahren Haft ohne Bewährung, legte er Berufung ein. Der Prozess endete 2002 mit einer Entscheidung des Gerichts, dass es sich zwar um eine Straftat gehandelt habe, diese aber mittlerweile verjährt sei. Im selben Jahr beendete Kristína Vlachová ihren fast einstündigen Dokumentarfilm über den Fall, für den sie viele Jahre lang Aussagen von überlebenden Zeitzeugen und Archivdokumente zusammengetragen hatte. 1996 gelang es ihr sogar, ein Interview mit Vlačiha zu drehen. Der Film mit dem Titel „Der Todesturm – ein Kapitel aus der neuesten Geschichte der tschechischen Justiz“ stellt die unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen der politischen Häftlinge im nordböhmischen Uranbergwerk Jáchymov in den 1950er Jahren auf der einen Seite und den Umgang tschechischer Richter der Nachwendezeit mit dem damaligen Unrecht gegeneinander.
Ein Film, dessen Entstehung Kristína Vlachová besonders am Herzen lag, heißt „Causa Uherské Hradiště“. Darin setzt sie sich mit dem Fall von Alois Grebeníček auseinander, der an der Wende zu den 50er Jahren als Ermittler brutale Foltermethoden bei den Verhören politischer Häftlinge anwendete. Die Premiere des Films war 2006, die Dreharbeiten hatte die Regisseurin ursprünglich allerdings viel früher beenden wollen:
„Es war in der Zeit, als die Presse jeden Tag spekulierte, ob Alois Grebeníček endlich vor Gericht erscheint, oder ob er sich erneut entschuldigt. Die Frage war, ob das Gerichtsverfahren überhaupt zustande kommt. Das zog sich über fast zehn Jahre hin. Die ganze Zeit über wollte ich darüber einen Dokumentarfilm drehen und wartete auf die Zustimmung der Befugten. Weil sich Grebeníčeks Wohnort im südmährischen Uherské Hradiště befand, hatte ich in dieser Angelegenheit mit dem TV-Regionalsender des Tschechischen Fernsehens in Brünn zu tun. Es war ein ermüdender Kampf. Erst jetzt, vor etwa zwei Wochen, habe ich erfahren, dass sich damals der kommunistische Abgeordnete und Parteichef Miroslav Grebeníček, Sohn von Alois Grebeníček, im kulturpolitischen Ausschuss über meine publizistische Tätigkeit beschwerte und aufregte. Das galt speziell meinen Beiträgen, die über den Prozess mit seinem Vater berichteten. Erst als er aus dem Amt des Parteivorsitzenden geschieden war, bekam ich grünes Licht, den Film zu drehen.“
Die Suche nach Archivmaterial und Zeitzeugen war mühsam. Aber aufgeben, das wollte sie nicht:„Weil ich gesehen habe, dass alle davor zurückschreckten, auch wenn es um eine große und augenfällige Ungerechtigkeit ging! Damals kannte ich bereits eine ganze Reihe von ehemaligen politischen Häftlingen, denen Grebeníček viel Leid durch brutale Foltermethoden angetan hatte. So ließ er den Häftlingen bei den Verhören unter anderem spezielle Schuhe anziehen, durch die Stromstöße gejagt werden konnten. Jeder Mensch hätte doch verstehen müssen, dass so etwas eine krasse Verletzung der Menschenrechte ist.“
Alois Grebeníček sei zu früh gestorben, um verurteilt zu werden, und so gelte er bis heute als unschuldig, konstatiert Vlachová noch heute enttäuscht.
2009 vollendete sie ihren bisher letzten großen Dokumentarfilm mit dem Titel „Die Botschaft von Jan Palach“. Mit Hilfe von bislang unveröffentlichten Dokumenten und Filmausschnitten versuchte die Regisseurin eine Antwort auf die Frage zu finden, warum sich Jan Palach im Januar 1969 selbst verbrannt hat. Und sie wollte wissen, in welchem Maß seine Tat für den Widerstand gegen das Regime bis hin zur politischen Wende von 1989 ausschlaggebend war. Der Film wurde am 15. Januar 2009 vom Tschechischen Fernsehen anlässlich des 40. Jahrestages von Palachs tragischer Tat ausgestrahlt. Für Kristína Vlachová war das traurige Jubiläum jedoch nicht der Hauptgrund für den Film. Über Jan Palach sagt sie:„Er ist DAS Thema meines Lebens! Nicht Grebeníček. Ich habe ihn als wichtig für unsere Gesellschaft gehalten, es war aber keine Herzenssache. In meiner Familie wurde in der schweren Zeit der 1950er Jahre niemand vom Regime verfolgt. Die Ereignisse hingegen, die mit Palach verbunden sind, habe ich selbst erlebt. Seitdem habe ich mich oft nach seinem Vorbild für dies und jenes entschieden. In meinem Leben hat mich nichts so tief getroffen. Während meines Lebens hat sich auch nichts Wichtigeres ereignet als die Tat von Jan Palach.“Vlachová hat bis heute insgesamt 25 Filme gedreht und eine Reihe von Filmpreisen gewonnen. Einige von ihren Dokumentarfilmen sind auch im Ausland auf Resonanz gestoßen, 2009 und 2010 zum Beispiel beim „Festival tschechischer Kunst und Kultur Berlin-Prag“.
Große Freude bereitet ihr, dass ihre Filme in das Projekt „Geschichten des Unrechts“ aufgenommen wurden, das wiederum integriert ist in ein spezielles Bildungsprogramm der Menschenrechtsorganisation Člověk v tísni (Mensch in Not). Mit dem Bildungsprogramm erhalten Schüler an Grund- und Mittelschulen einen Einblick in die moderne Geschichte des Landes, über diese Zeit wird ansonsten in den Schulen eher selten unterrichtet. Vlachovás Schwerpunkt liegt auf der kommunistischen Zeit. Dokumentarfilme sind immer häufiger auch in den Programmen der Kinos zu finden. In diesem Zusammenhang bietet sich die abschließende Frage für die eingefleischte Filmemacherin Kristína Vlachová: Welchem Gebiet ist das Genre des Filmdokuments, wie sie es produziert, zuzuordnen?„Das ist eben das Schöne am Dokumentarfilm, dass er mehrere Bereiche umfassen kann. Als Oberbegriff würde ich dafür die Bezeichnung ´Bildung´ im breitesten Sinne des Wortes verwenden. Es geht um eine geschichtswissenschaftliche Belehrung. Über die jüngere Geschichte unseres Landes ist an den Schulen immer noch nicht viel bekannt. Auch wenn viele Lehrer guten Willens sind, die Wissenslücken ihrer Schüler zu füllen, fehlt es an den Schulen auch heute noch an geeigneten Lehrbüchern.“