Tschechien und der 11. September: Ein schreckliches Ereignis, aber keine Zeitenwende
Der 11. September 2001 – ein Datum, das sich mittlerweile in die Köpfe der Menschen eingebrannt hat. Am Sonntag hat der traurige terroristische Angriff auf die Vereinigten Staaten sein zehnjähriges Jubiläum. Die Gesellschaft hat sich seitdem verändert, nicht nur in den USA. Die Staaten haben mehr Möglichkeiten, ihre Bürger zu überwachen, die Sicherheitskontrollen an Flughäfen sind stärker geworden, und die Angst vor dem Islam ist in der Bevölkerung gewachsen. Die Anschläge haben natürlich auch in Tschechien Spuren hinterlassen.
„Ich bin im hinteren Teil der Maschine, das Cockpit antwortet nicht. In der Businessklasse wurde jemand erstochen. Jemand hat Pfefferspray versprüht, wir können nicht atmen. Ich glaube, wir werden entführt.“
Es war der Auftakt einer Tragödie, die als „Nine-eleven“, auf Deutsch als 11. September, in die Geschichte eingehen sollte. 25 Minuten nach dem Notruf traf das Flugzeug, aus dem die Stewardess den Notruf gesendet hatte, den Nordturm des World Trade Centers in New York. Um 9.03 Ortszeit raste ein weiteres Flugzeug in den Südturm. Beide Türme stürzten zusammen. Ein weiteres entführtes Flugzeug stürzte auf das US-Verteidigungsministerium, eine vierte Maschine erreichte ihr Ziel nicht, sondern stürzte in ein Feld in Pennsylvania, weil die Passagiere versucht hatten, die Entführer zu überwältigen.
Urheber dieser tragischen Ereignisse war das Terrornetzwerk Al-Kaida unter ihrem damaligen Führer Osama Bin Laden. 19 Terroristen hatten die vier Flugzeuge entführt, sie als Waffen missbraucht und den Tod von mehr als 3000 Menschen verursacht.
Danach wurde immer wieder davon gesprochen, dass diese Anschläge die Welt verändern würden. Sicherlich trifft das auf die Vereinigten Staaten zu, die unter Präsident Bush in Afghanistan und im Irak in den Krieg zogen, dort spricht man von der Zeit vor und nach „Nine-eleven“.
Auch in vielen europäischen Staaten wurden Sicherheitsgesetze verschärft, Datenschutzbestimmungen eingeschränkt und die Rechte der Polizei und Geheimdienste ausgeweitet. Konkrete Folgen bekamen allerdings nur Fluggäste zu spüren. Da die Terroristen zivile Flugzeuge als Waffen benutzt hatten, wurden die Sicherheitskontrollen massiv verschärft. Dies gilt natürlich auch für Tschechien, wie der Direktor für Sicherheitskontrollen am Prager Flughafen, Zdeněk Truhlář, erklärt:„Die meisten Beschränkungen bestehen für Reisende. Vor allem beim Transport von Flüssigkeiten, wie zum Beispiel Duschgel und bei den Schuhen. Die müssen auf Sprengstoffe abgesucht werden, und das bedeutet für die Passagiere, dass ihre Schuhe in Stichproben untersucht werden. Auf allen Gebieten gelten strenge Sicherheitsvorkehrungen, so auch bei der Bewachung des Flugfeldes und der Umgebung des Flughafens. Es handelt sich um ein komplettes Paket von Maßnahmen, das zusammengenommen die Sicherheit des Flughafen gewährleistet.“ Trotz der Angst vor Entführungen und der verschärften Sicherheitsvorkehrungen sowie der damit verbundenen Unannehmlichkeiten scheint in den vergangenen zehn Jahren aber die Angst nicht übermäßig gewesen zu sein, denn insgesamt ist es zu einem Anstieg der Passagierzahlen gekommen. Direkt nach den Anschlägen 2001 gab es zwar einen Einbruch vor allem für amerikanische Fluglinien, das Vertrauen kehrte aber schnell wieder zurück. In Tschechien stiegen zwischen den Jahren 2000 und 2010 die Flugbewegungen um elf Prozent, so Richard Klíma, Sprecher der tschechischen Flugverkehrskontrolle. Einen weitaus größeren Einbruch der Flugbewegungen habe die Wirtschaftskrise 2008 und 2009 bewirkt.Größere Probleme hatten die westlichen Gesellschaften mit ihren muslimischen Minderheiten. Da die Terroristen die Anschläge mit ihrem Glauben begründet hatten, breiteten sich Angst und starke Vorbehalte gegenüber dem Islam aus. Dies führte zu Spannungen und verschärften Integrationsdebatten. In Tschechien, wo nur eine geringe Anzahl Muslime lebt, sind derartige Spannungen eher gering, wie eine Frau in der Prager Innenstadt bestätigt:
„Solange sie in Ordnung sind und keine Schwierigkeiten machen, machen mir die Muslime nichts aus, aber es hängt davon ab, was es für Leute sind. Wenn es Terroristen sind, dann macht es mir natürlich etwas aus.“In den vergangenen Jahren erfolgten weitere terroristische Angriffe der Al-Kaida-Gruppe auch auf europäische Länder, zum Beispiel die Attentate auf Vorortzüge in Madrid 2004 und die Anschläge auf die Londoner U-Bahn 2005. In Tschechien ist die Angst vor Anschlägen heute jedoch gering, wie ein junger Student findet:
„Also Angst habe ich überhaupt keine. In Tschechien ist die Gefahr durch Terrorangriffe nicht so ernst. Der Terrorismus ist eher eine Gefahr woanders in der Welt. Hier in Tschechien sehe ich das nicht, maximal vielleicht in Prag, aber sonst nicht.“Ein anderer junger Mann hat eine etwas vorsichtigere Haltung, eine direkte Gefahr sieht aber auch er nicht:
„Die Gefahr ist immer da, und man muss mit ihr rechnen. Aber wir Tschechen müssen uns nicht so sehr fürchten wie zum Beispiel England und Frankreich, die im Nahen Osten engagiert sind und am Kampf gegen den Terror teilnehmen.“
Tschechien hat sich jedoch in den vergangenen zehn Jahren auch an der Seite der Vereinigten Staaten am Kampf gegen den Terror beteiligt: mit Truppen im Irak und in Afghanistan. Dass die Tschechen trotzdem zum Großteil keine Angst vor Anschlägen haben, bestätigte auch Petr Drulák, Direktor des Instituts für Internationale Beziehungen in Prag, in einem Interview. Er sieht auch keine Veränderungen im Alltag der Tschechen, wenn man einmal von den verschärften Fluggastkontrollen absieht.Waren die Ereignisse vom 11. September in Tschechien ein Thema und wie waren die Reaktionen?
„Das war ein großes Thema. Dieses schreckliche Ereignis hat die tschechische Gesellschaft erschüttert, und natürlich ist eine spontane Solidarität mit den Amerikanern entstanden. Es wurde als ein Angriff auf den Westen empfunden, im Rückblick muss man aber sagen, dass dies keine Wende war. Im Vergleich zu den USA, wo man zwischen vor und nach „Nine-eleven“ unterscheidet, ist es in der Tschechischen Republik anders. Es war ein schreckliches Ereignis, aber keine Zeitenwende.“
Wie werden die Ereignisse heute, also zehn Jahre danach, wahrgenommen?„Vor zehn Jahren war das natürlich ein sehr aktuelles Thema und deswegen haben sich die Menschen auch bedroht gefühlt. Das ist heute anders. Ich habe nicht das Gefühl, dass sich die Tschechen durch Terroristen bedroht fühlen. Es wird heute schon als historisches Ereignis wahrgenommen.“
Hat der 11. September denn das tägliche Umfeld der Menschen in Tschechien verändert?
„Nein, das würde ich nicht sagen. Den Alltag haben die Terroranschläge nicht verändert. Natürlich müssen Leute, die mit dem Flugzeug reisen, mehr Sicherheitsprozeduren ertragen. Aber das gehört ja nicht zum alltäglichen Leben, also in diesem Sinne hat sich das Leben nicht verändert.“
Hat sich denn das Engagement der Tschechischen Republik in der Welt seit dem 11. September verändert?„Seit diesen Anschlägen hat die Welt mehrere Kriege gesehen, in Afghanistan und im Irak. Die Tschechische Republik hat diese Kriege, anders als manche europäische Staaten, unterstützt, auch wenn das tschechische Engagement im Irak eher symbolisch war. In diesem Sinn spiegelt sich die Solidarität der Tschechischen Republik mit Amerika in der Beteiligung an den Kriegen im nahen Osten wieder.“
Wie sind die Beziehungen Tschechiens zu den arabischen Ländern?„Die Tschechische Republik nimmt sich als Verbündeter von Israel war. Und diese Bindung an Israel bestimmt die tschechische Außenpolitik und auch ihre Politik gegenüber den arabischen Staaten.“
Wenn Sie eine Prognose wagen: Osama bin Laden ist tot, in den arabischen Ländern finden Revolutionen statt, Amerika ist durch seine Kriege und die wirtschaftliche Situation geschwächt. Ist der Terrorismus in der Zukunft noch eine Gefahr?
„Der Terrorismus wird wahrscheinlich immer eine Gefahr bleiben. Man kann aber sagen, dass der Kampf gegen Al-Kaida ziemlich erfolgreich war. Die Organisation ist nicht vernichtet, das ist bei diesem Typ von Organisation auch kaum möglich, aber sie ist sehr geschwächt. Der Terrorismus ist aber nicht nur Al-Kaida. Ich glaube, die Wurzeln des Terrorismus liegen viel tiefer, wir sollten nicht nur über islamistisch orientierten Terrorismus reden, Terrorismus ist viel eher ein universelles Phänomen. Er wird sicher eine Bedrohung bleiben, aber wahrscheinliche keine Frage von Leben oder Tod unserer Gesellschaften.“Vor allem jüngere Menschen in Tschechien nehmen die Anschläge des 11. Septembers als ein eher historisches Ereignis wahr. In England oder Spanien und auch in Deutschland bleiben die Ereignisse in New York im Gedächtnis der Menschen. In vielen europäischen Ländern hat es Anschläge gegeben, oder sie konnten, wie in Deutschland, in letzter Minute verhindert werden. Auch ist der Krieg in Afghanistan oder im Irak tägliches Thema in den Medien, vor allem, weil es Gefallene und Verletzte gibt. In Tschechien gelangen diese Themen wenig in die Öffentlichkeit, deswegen ist die Wahrnehmung der Anschläge auch eher historisch, wie ein junger Mann auf dem Prager Náměstí Míru bestätigt:
„Eine Meilenstein der Geschichte. Ich erinnere mich noch heute, dass ich als kleiner Junge im Fernsehen diese Katastrophe gesehen habe, die ich in diesem Moment selbstverständlich gar nicht bewältigen konnte. Bis heute kann ich nicht verstehen, welche Folgen das haben wird. Etwas hat mein Leben verändert und darüber spekuliere ich noch immer.“
Der Terrorismus spielt im Alltag der Tschechen nur eine geringe Rolle – allerdings nimmt man die Solidarität zu den USA sehr ernst. Auch deshalb werden die Tschechen am Sonntag den Toten gedenken.