Teenagerin Štěrbová bezwingt Ärmelkanal in Klassezeit

Lenka Štěrbová (Foto: Archiv von Lenka Štěrbová)

Das Jahr 2010 neigt sich dem Ende zu und mit ihm auch das Sportjahr der Winterspiele von Vancouver und der Fußball-WM in Südafrika. Über diese Großereignisse und andere sportliche Meisterschaften haben wir mehrfach berichtet. Etwas zu kurz gekommen sind wie immer die, die fernab des Medienrummels eine große sportliche Leistung vollbracht haben. Eine solche Sportlerin ist die 16-jährige Langstreckenschwimmerin Lenka Štěrbová.

Lenka Štěrbová  (Foto: Zdeněk Zamastil,  http://pardubicky.denik.cz)
Wir schreiben den 9. September 2010, es ist kurz vor 13 Uhr, als an der nordfranzösischen Atlantikküste eine blutjunge Tschechin dem zirka 17 Grad kalten Meereswasser entsteigt und sich feiern lässt. Es ist die erst 16-jährige Schwimmerin Lenka Štěrbová, die gerade den Ärmelkanal zwischen Dover und der Halbinsel Cap Gris-Nez durchschwommen hat. In der tollen Zeit von 9 Stunden und 22 Minuten. Ganz klar, dass sie darüber sehr glücklich ist:

„Ich erinnere mich noch etwas an das unglaubliche Glücksgefühl, das ich hatte, als ich aus dem Wasser stieg. Ich war stolz darauf, dass ich meinen Traum verwirklicht hatte. Erst recht nach den Komplikationen, die wir im August mit dem Wetter hatten. Im zweiten Anlauf hatte ich es endlich geschafft, und das machte mich froh“, sagte Lenka Štěrbová kurz nach ihrer Rückkehr in Prag gegenüber dem Tschechischen Fernsehen.

Halbinsel Cap Gris-Nez  (Foto: Donar Reiskoffer,  www.wikimedia.org)
Ihr erster Versuch, den Ärmelkanal zu durchschwimmen, war am dritten Augustwochenende wegen schlechten Wetters kurzfristig abgesagt worden. Nur zweieinhalb Wochen später erhielt sie ihre zweite Chance – und packte sie beim Schopf. Zurück in der Heimat, musste Štěrbová viele Fragen beantworten. Zum Beispiel die, ob sie auch kritische Momente auf der 38,4 Kilometer langen Schwimmstrecke zu überstehen hatte:

„Am meisten erschöpft fühlte ich mich zirka zwei Kilometer vor der französischen Küste, wo ich ziemlich lange gegen die Brandung ankämpfen musste und das Ufer einfach nicht näher kommen wollte. Aber als ich endlich vorwärtskam, wurden in mir sofort neue Kräfte frei.“

Und wie empfand sie andere Beleitumstände wie zum Beispiel die häufige Begegnung mit ganzen Fischschwärmen?

„Also wirklich riesige Fischschwärme habe ich nicht gesehen, sondern nur die Fische, die sich mir so bis auf 30 Zentimeter genähert haben. Ich denke, dass sie der Schatten des Begleitschiffes angelockt hat, um einfach zu sehen, was dort passiert.“

Rund dreieinhalb Stunden hatte das Schiff auch einen hellen Lichtkegel auf das Wasser geworfen, denn wegen der anfangs noch ruhigen Wetterlage war Lenka schon nachts kurz nach halb Vier in Dover gestartet. Auf zirka halber Strecke begann die See dann aber wieder aufzubrausen. Dachte sie dabei vielleicht auch an eine Aufgabe ihres mutigen Unterfangens?

Dover
„Ich sagte mir ständig, aufgeben kommt für mich überhaupt nicht in Frage. Außerdem haben mich meine Eltern und mein Bruder, die auf dem Begleitschiff waren, immer wieder zu motivieren versucht, indem sie auf großen Zetteln viele witzige Bilder malten und sie mir zeigten. Damit wollten sie mich psychisch bei Laune halten, und das hat mir auch sehr geholfen.“

Stausee in Seč  (Foto: www.wikimedia.org)
Der Begleitschutz von Lenkas Eltern während der gesamten Aktion war alles andere als ein Zufall, denn – so verrät Lenka weiter – das Schwimmen sei ihr quasi in die Wiege gelegt worden:

„Eine große Rolle haben stets meine Eltern gespielt, denn sowohl mein Vater als auch meine Mutter sind aktive Schwimmer. Dazu kommt noch mein Großvater, der Eisbader ist. Kurz gesagt: Der Schwimmsport gehört einfach zu unserer Familie.“

Lenka Štěrbová ist 1994 im ostböhmischen Pardubice geboren und ganz in der Nähe, im malerischen Seč aufgewachsen. Dort, am Fuße des Eisengebirges, gibt es einen sehr schönen Stausee, in dem auch Lenkas kindliche Träume reiften:

Lenka Štěrbová  (Foto: Zdeněk Zamastil,  http://pardubicky.denik.cz)
„Schon als kleine Kinder haben wir in dem See gespielt, dass wir den Ärmelkanal durchschwimmen. Mein Vater war damals Schwimmtrainer für den Nachwuchs, und so kamen viele junge Schwimmerinnen und Schwimmer zu uns nach Seč. Wir waren eine tolle Truppe und haben uns sehr oft mit dem Ärmelkanal befasst. Wir haben uns die engste Stelle des Stausees ausgesucht, um sie mit Schlauchbooten zu überqueren. Wir hatten Verpflegung an Bord und wir warfen mehrere Plastiktüten in den See, die uns die Quallen imitieren sollten. So haben wir uns die Meeresenge damals vorgestellt. Eines Tages, ich war 12 Jahre alt, rief mich mein Vater aus England an und sagte mir, er habe mit dem Lotsen gesprochen, der die Schwimmer mit seinem Boot durch den Ärmelkanal begleitet. Der Lotse habe in der zweiten Augusthälfte 2010 noch einen Termin frei, an dem er noch keinen Schwimmer habe und ich somit ganz oben auf seiner Liste stehen könnte. Mein Vater fragte mich, ob ich den Kanal durchschwimmen wolle, da habe ich nicht lange überlegt und sofort zugesagt.“

Lenka Štěrbová
Für ihren Traum, die Meeresenge zwischen Dover und Calais zu durchschwimmen, aber musste Lenka weiter eisenhart trainieren und diszipliniert leben. Von Kindesbeinen an trainierte sie im kalten Wasser, einmal durchschwamm sie den Staussee in ihrem Heimatort auch bei Nacht. Gegenüber dem Tschechischen Rundfunk schildert sie, wie ein normaler Schul- und Trainingstag bei ihr aussieht:

„Trainiert habe ich jeden Tag vor und nach dem Schulunterricht. Außerhalb des Schwimmbeckens musste ich zudem noch einiges für meine Fitness tun. Vor dem Unterricht trainierte ich meistens anderthalb Stunden, nach dem Unterricht dann zwei bis zu zweieinhalb Stunden. Hinzu kam noch eine Stunde Fitnesstraining.“

Lenka Štěrbová  (Foto: Archiv von Lenka Štěrbová)
Der große Aufwand und die Entbehrungen, die Lenka gegenüber Teenagern ihres Alters auf sich nahm, haben sich im Spätsommer dieses Jahres bezahlt gemacht. Mit ihren 16 Jahren ist Lenka Štěrbová jetzt die jüngste Sportlerin aus Tschechien, die den Ärmelkanal bezwungen hat. Sie löste damit Filip Pytel ab, der bei seiner erfolgreichen Schwimmaktion im Jahr 2007 zwei Jahre älter war. Sehr stolz darf Lenka auch auf ihre Zeit sein, denn die 9 Stunden und 22 Minuten, die sie für die knapp 40 Kilometer lange Strecke benötigte, sind die viertbeste Zeit, die je ein Tscheche oder eine Tschechin bisher erzielt haben. Und das bei den zum Teil schwierigen Wind- und Seeverhältnissen, die bei ihrem Versuch geherrscht haben. Deshalb wollte sich Lenka ursprünglich auch nur mit der einen, erfolgreichen Durchquerung des Ärmelkanals begnügen. Kurz nach diesem Erfolg aber wurden bereits die ersten Stimmen laut, die Lenka eine sehr erfolgreiche Zukunft prophezeien:

Lenka Štěrbová  (Foto: Jan Ptáček,  www.rozhlas.cz)
„Mich hat der Lotse sogleich motiviert, indem er mir sagte, dass man es selten sehe, wenn jemand nach der Tortur noch ziemlich frisch wirkt und wie ich ohne Probleme in das Schlauchboot steigt. Außerdem sei ich bei den schwierigen Bedingungen eine hervorragende Zeit geschwommen, so dass er mir zutraue, dass ich in ein paar Jahren auch versuchen könnte, die doppelte Strecke – also von Frankreich gleich wieder zurück nach Dover – oder einen Weltrekord zu schwimmen. Das hat mich natürlich angestachelt, so dass ich mich jetzt frage: Warum sollte ich das nicht versuchen? Von daher kehre ich vielleicht nochmals zum Ärmelkanal zurück, doch wann das sein könnte, kann ich jetzt noch nicht sagen.“

Den Weltrekord für eine Schwimmerin, die den Ärmelkanal von England nach Frankreich bezwungen hat, hält übrigens eine weitere Tschechin: Yvetta Hlaváčová. Im Jahr 2006 durchschwamm Hlaváčová den Kanal in 7:25,15 Stunden. Sie war damals 31 Jahre alt.

Autor: Lothar Martin
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