Der 390. Jahrestag der Schlacht am Weißen Berg
In der tschechischen Geschichte gibt es wohl kein anderes Ereignis, das stärker von Mythen umgeben wird, wie die Schlacht am Weißen Berg vom 8. November 1620, die sich vor 390 Jahren ereignete. Mehr über die Schlacht und deren Folgen, hören Sie nun in einer weiteren Ausgabe der Kapitel aus der tschechischen Geschichte.
Die einflussreichen und selbstbewussten böhmischen Stände wählten am 5. Juni 1617 den Habsburger Ferdinand II. zum neuen König. Schon bald kam es jedoch zu ersten Konflikten mit dem neuen Herrscher, der versuchte die Macht der Stände einzuschränken. Außerdem weigerte sich Ferdinand, das so genannte Majestat seines Vorvorgängers Rudolf II. aus dem Jahr 1609 anzuerkennen, welches das freie Glaubensbekenntnis der Stände garantieren sollte.
Aus Protest gegen die harte Haltung Ferdinands kam es am 23. Mai 1618 zum so genannten Prager Fenstersturz, bei dem die Stadthalter des Königs aus den Fenstern der Prager Burg geworfen wurden. Das war die Initialzündung für den Aufstand der böhmischen Stände gegen Ferdinand II. Am 19. August 1619 setzten die böhmischen Stände Ferdinand II. ab und wählten an dessen Stelle Friedrich V. von der Pfalz – einen Protestanten und Schwiegersohn des englischen Königs Jakob I. - zum neuen König.Die Schlacht am Weißen Berg, die sich ein Jahr später, ereignete, brachte also auch eine Entscheidung in diesem lange schwelenden Machtkampf um die Kontrolle über die Länder der Böhmischen Krone. Über deren Bedeutung unterhielten wir uns im Folgenden mit dem Historiker Jiří Mikulec von der Tschechischen Akademie der Wissenschaften, der gleich einleitend auf ein interessantes Paradox verweist:
„Die Schlacht am Weißen Berg gehört zwar zu den kürzeren Schlachten im Rahmen des Dreißigjährigen Krieges, aber sicher war sie kein unbedeutendes Handgemenge, wie das manchmal geschildert wird. Mehr als hundert Jahre wird nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch unter Historikern das Bonmot gepflegt, dass es sich um eine unerhebliche militärische Konfrontation mit riesigen Folgen handelte. Die Schlacht als solche dauerte zwar weniger als zwei Stunden, allerdings nahmen an ihr auf beiden Seiten Zehntausende Soldaten teil. Bei der Bedeutung der Schlacht am Weißen Berg muss man zwischen ihren Folgen für die Länder der Böhmischen Krone und für Europa unterscheiden. In Böhmen, Mähren und Schlesien fanden danach radikale Veränderungen statt. Zum einen wurden die drei Kronländer zur dauerhaften Erbpacht der Habsburger. Zum anderen wurden durch ihre militärische Niederlage die böhmischen Stände, die während des gesamten 16. Jahrhunderts eine starke Opposition gegenüber dem König bildeten, völlig ausgeschaltet. Konfessionspolitisch gesehen findet in den Folgejahren eine Re-Katholisierung statt. Die zuvor über zwei Jahrhunderte bestehende Koexistenz zweier Konfessionen, der katholischen und protestantischen, wurde beendet.“ Obwohl die Rivalen in diesem Konflikt auf den ersten Blick ebenbürtig schienen, waren die Unterschiede, vor allem was die materielle Ausstattung angeht, in Wahrheit doch sehr deutlich.Ferdinand II. stand das Heer der katholischen deutschen Länder, an der Spitze mit Bayern, zur Seite. Zudem hatte Ferdinand die Unterstützung des Papstes. Aber die österreichischen Habsburger erhielten insbesondere große finanzielle Zuwendungen von ihren spanischen Verwandten. Die internationale Unterstützung für die böhmischen Stände war hingegen sehr schwach. Geld erhielten sie lediglich aus den Niederlanden, wobei dieser Geldfluss in dieser Zeit bereits zu versiegen begann. Sie hofften auf die Hilfe des englischen Königs Jakobs I., die allerdings nicht im erhofften Ausmaß eintrat.
Es würde allerdings der Bedeutung der Schlacht nicht gerecht werden, wenn man ihre Folgen nur auf die Länder der böhmischen Krone beziehen würde. So markierte sie nicht nur das Ende der ersten Phase des Dreißigjährigen Krieges, die oft auch als Böhmischer Krieg bezeichnet wird. Sie hatte auch großen Einfluss auf die weitere Stellung des Hauses Habsburg in Europa. Der Historiker Jiří Mikulec geht sogar so weit, zu sagen:„Mit dem Sieg am Weißen Berg haben die Habsburger die Monarchie gerettet. Aus der Sicht Ferdinands II. kam der 8. November 1620 praktisch einem Tag der Wiedergeburt des Habsburger Reiches gleich.“
Wie bereits eingangs erwähnt wurde, hat sich rund um die Schlacht am Weißen Berg ein großer nationaler Mythos entwickelt. In der Zeit der so genannten Nationalen Wiedergeburt im 19. Jahrhundert, waren die Folgen der Niederlage der Stände für die böhmischen Länder sehr drastisch geschildert worden: Jahrhunderte lange Unterdrückung Böhmens, Germanisierung und ein absolutistisch reg ierendes Herrscherhaus sollen die Wichtigsten davon gewesen sein. Es sind allerdings auch andere, völlig entgegengesetzte Meinungen zu hören. Wie ist das zu verstehen? Welche entspricht eher der Wirklichkeit? Der Historiker Jiří Mikulec hält beide für stark vereinfachend, wie er in diesem Zusammenhang festhält:„Jedes europäische Volk entwickelte im Verlauf des 18. und 19. Jahrhunderts seinen großen nationalen Mythos, mit dem es sich dann identifizierte. Bestandteil des tschechischen nationalen Mythos ist die Schlacht amrigh Weißen Berg und die darauf folgende Geschichtsepoche, die als so genannte Zeit der Finsternis bezeichnet wird. Dieser Mythos, der im 19. Jahrhundert entsteht, ist auf national-protestantischen Positionen aufgebaut. Der Grund dafür ist, dass die Tschechen sich damals in einer Gegnerschaft zur deutschen Minderheit befanden und gegen die Germanisierung eintraten – das war sozusagen die nationale Komponente dieses Mythos. Weil es in der Habsburger Monarchie faktisch eine Allianz von Thron und Altar gab und die katholische Kirche eine herausragende Rolle einnahm, hat man als Reaktion die protestantischen Züge in der eigenen Geschichte hervorgehoben. Es gibt aber natürlich auch eine andere Sichtweise, und zwar die katholische. Hier wurde vor den Gefahren gewarnt, welche von einem möglichen Sieg der böhmischen Stände ausgehen könnten. Dazu gehört die drohende Germanisierung, weil eine große Zahl der protestantischen Adelsfamilien deutschsprachig war; gleichzeitig wurde auch vor der Gefahr eines drohenden Zerfalls des Böhmischen Königreiches gewarnt, weil nämlich die starken Stände nur eine schwache zentrale Königsmacht zulassen würden. Das könnte zu einem Auseinanderfallen des Königreiches führen, so wie das in Polen geschah. In Polen entstand eine konstitutionelle Monarchie, die innerlich permanent zerstritten und schwach war, was dazu führte, dass der polnische Staat im 18. Jahrhundert völlig von der Landkarte verschwand.“ Beide diese extremen Sichtweisen sind laut Mikulec stark ahistorisch und waren die Folge des Versuchs, die Geschichte politisch zu instrumentalisieren. Die moderne tschechische Geschichtsschreibung versucht, seinen Worten zu Folge, die Geschichte nicht in so genannte gute und böse Epochen einzuteilen. Heißt das also, dass sich von so etwas wie einem Konsens unter den tschechischen Geschichtswissenschaftlern reden lässt, wie man die Schlacht am Weißen Berg und deren Folgen interpretieren soll? Hören Sie dazu abschließend noch einmal den Historiker Jiří Mikulec von der Tschechischen Akademie der Wissenschaften:„In der fachlichen Geschichtswissenschaft besteht im Prinzip Konsens. Es gibt aber unterschiedliche Blickwinkel. Mit anderen Worten: Ein Militärhistoriker wird die Schlacht auf dem Weißen Berg anders sehen, als ein Allgemeinhistoriker. Aus der Sicht der politischen Geschichte stellt die Schlacht einen riesigen Umbruch dar und zwar wegen der vielen Veränderungen in Gesellschaftsstruktur und bei der neuen Stellung des Königreiches Böhmen. Für einen Kirchenhistoriker steht wiederum die Frage im Vordergrund, dass mit dieser Schlacht das Zusammenleben zwischen Katholiken und Protestanten nach mehreren Jahrhunderten abrupt beendet wurde. Den Konsens würde ich vor allem darin sehen, dass die Historiker heute jeglichen Versuch einer politischen Instrumentalisierung dieses Geschichtsereignisses ablehnen. Daneben gibt es allerdings eine relativ große Gruppe von historisch gebildeten Laien, wozu zum Beispiel die Geschichtslehrer an den Schulen gehören, bei denen von Fall zu Fall die alten schematischen Darstellungs- und Interpretationsweisen noch weiter bestehen können. Das größte Problem stellen allerdings verschiedene Laien dar, die popularisierende Bücher schreiben und dort kann man häufig auf ziemlich katastrophale Vorstellungen und Meinungen treffen.“