„Die Munition lag ja überall herum“ – Kriegsspielplatz Ralsko versucht Neustart

Aus dem ehemaligen Flughafen in Ralsko

Verbrannte Erde – das ist, was oft übrig bleibt, wenn ein Krieg über das Land hinweggezogen ist. So war es auch in Ralsko / Rollberg kurz nach der Samtenen Revolution von 1989. Die Armeen mehrerer Länder waren über den riesigen Truppenübungsplatz im Norden Tschechiens gerollt. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg lagen hier 16 Dörfer. Die tschechoslowakische Armee hatte sie platt gewalzt. Die schlimmste Erbschaft hinterließ die Sowjetarmee, die 1968, nach der Okkupation der Tschechoslowakei, das Gebiet in Beschlag nahm. Christian Rühmkorf berichtet im Forum Gesellschaft über Vergangenheit und Zukunft einer Gegend mit tonnenschweren Altlasten.

Eine endlos erscheinende, gerade Landstraße knapp 80 Kilometer nördlich von Prag zerschneidet die Gemeinde Ralsko in zwei Hälften. Ralsko – zu Deutsch Rollberg - nennen die Menschen hier „das größte Dorf Tschechiens“: Die Samtgemeinde umfasst über 170 Quadratkilometer, eine trockene Geestlandschaft mit sanften Hügel, und wie es scheint – fast menschenleer. Auf Ansiedlungen trifft der Besucher eher durch Zufall. Auf einer Landkarte von Tschechien fällt der große unbesiedelte Fleck sofort ins Auge. Ein Natur- und Wanderparadies, wie es scheint. Aber Ralsko war die längste Zeit ein Ort, wo vor allem die Sowjetarmee den Ernstfall geprobt hat: Krieg.

„Nein. Das ist alles beseitigt hier in den umliegenden Wäldern. Hier gibt es keine Minen mehr. Ich habe keine Angst“, sagt die junge Frau, die an der Landstraße Blaubeeren verkauft.

Dabei sollen im Gebiet des früheren Truppenübungsplatzes Ralsko noch an die 3000 Tonnen Spreng- und Schadstoffe liegen. Oft nur unter einer dünnen Sandschicht verborgen. Warum man dort, wo Pilze und Blaubeeren wachsen, mittlerweile dennoch ohne Angst sammeln kann, das erklärt der stellvertretende Bürgermeister Václav Bilický. Er war als Pyrotechniker federführend an der systematischen Entschärfung und Beseitigung der explosiven Erbschaft beteiligt.

Ehemalige Schule und künftiges Museum in Ralsko
„In den letzten 20 Jahren haben Pilzsammler und Blaubeerenpflücker die gefährlichste Munition aufgestöbert und den Behörden gemeldet. Auf diese Weise haben sie den Wald – da wo Pilze und Blaubeeren wachsen – von der Munition gereinigt.“

Tödliche Unfälle hat es auch gegeben, aber nur wenn Pilzsammler die Munition als Souvenir mit nach Hause genommen haben, berichtet Bilický. Trotzdem: Noch heute stoßen Pilzsammler hier immer wieder auf zum Teil noch scharfe Munition. Da heißt es: Auf den Wegen bleiben! (siehe www.radio.cz/de/artikel/130703). Neben den Bewohnern, die Munition aufgespürt haben, war aber die professionelle Beseitigung der Spreng- und Schadstoffe entscheidend. Václav Bilický:

Aus dem ehemaligen Flughafen in Ralsko
„Die teilweise pyrotechnische Sanierung des Gebiets seit 1990 war eine der größten in Europa, was Fläche und Dauer betrifft. Es waren zwei Militärgebiete, rund 100 Quadratkilometer, und das Ganze hat zehn Jahre gedauert. Jedes Jahr hat rund 30 Millionen Kronen gekostet.“

In großem Umfang findet man direkt an der Oberfläche nicht mehr viel Munition. Einige Flächen sind gesäubert worden bis in die Tiefe von 30 Zentimetern, andere bis zu einer Tiefe von 50 Zentimetern. Die allgemeine Sicherheit sei im Grunde im ganzen Gebiet gegeben. Fast:

„In den Wäldern herrscht mittlerweile eine Sicherheit, die vergleichbar ist mit allen Gebieten in Europa, wo Krieg war.“

Außer am Ort Prosička, erklärt der Pyrotechniker Bilický. Hier haben die Sowjets die Bombardierung eines Flugplatzes aus der Luft geübt. In dieses Gebiet darf bis heute niemand einen Fuß setzen, der Zutritt ist streng verboten. Dennoch: Der bombenverseuchte Bereich ist frei zugänglich. Früher gab es einen Zaun um das Gelände. Seit der schrittweise demontiert – also geklaut - wurde warnen nur noch Schilder vor dem Zutrittsverbot.



Die explosiven Altlasten im Gebiet Ralsko wiegen schwer. Die längste Zeit hat die Rote Armee das Gebiet mit Bomben und anderen Waffen zerpflügt. Heute gelten „die Russen“ oft als der alleinige Übeltäter. Das sei so nicht ganz richtig, meint Bilický:

„Tatsache ist, dass auch unsere, die tschechoslowakische Armee hier viel Munition hinterlassen hat. Sie hat hier militärische Übungen von 1947 bis 1968 durchgeführt. Aber es stimmt: 80 Prozent der Munition stammt von der Sowjetarmee“.

Luftbild von Berg Ralsko  (Foto: www.wikimedia.org)
Aber die Geschichte des Truppenübungsplatzes Ralsko begann schon viel früher, zu k und k Zeiten. Und auch die Wehrmacht erkannte nach der Besetzung der Tschechoslowakei seine Vorteile. Und zwar für eine besondere Aufgabe, wie Bürgermeister-Vize Bilický erklärt:

„Hier hat das Afrika-Corps Manöver durchgeführt. Und zwar auf den Feldern in der Umgebung des Berges Ralsko. Die Felder waren sandig, und wenn die Bauern gepflügt hatten, dann machte die Wehrmacht ihre Militärübungen auf den Feldern, denn der Sand hatte Ähnlichkeit mit der Sahara. Das waren Antipanzer-Einheiten der Afrika-Corps.“

Ehemalige Gebäude der Sowjetarmee in Ralsko-Svébořice  (Foto: www.wikimedia.org)
Und nach dem Zweiten Weltkrieg, als die überwiegend deutsche Bevölkerung vertrieben war, gewährte die Tschechoslowakei dem entstehenden Staate Israel seine Unterstützung. Israelische Fallschirmjäger probten hier schon bald nach dem Krieg bis zum Jahr 1950.

Für den damaligen Pyrotechniker Václav Bilický war die Säuberung des Gebietes seit Anfang der 90er Jahre eine große Herausforderung. Denn seinerzeit hatte Präsident Václav Havel Auslandstschechen zur Rückkehr in das Land ihrer Vorfahren eingeladen. Und zwar die so genannten Wolhynien-Tschechen aus der heutigen Ukraine. Viele von ihnen litten unter den Folgen der Tschernobyl-Katastrophe von 1986.

„Sie kamen im Grunde aus einem Gebiet, in dem es eine große unsichtbare Gefahr gab. Und sie sollten in einem Gebiet in Tschechien angesiedelt werden, in dem es zwar auch eine große Gefahr gab, aber die war wenigstens sichtbar. Die Munition lag ja überall herum. Und dass sie in ein sauberes Gebiet kommen, das war meine Aufgabe als Pyrotechniker der Armee. Das war nicht einfach. Ich musste das fast alleine erledigen. Und ich muss sagen, dass mir das auch irgendwie gelungen ist, dieses Gebiet so gut wie möglich zu säubern.“

Ralsko  (Foto: Petr Šimr,  http://ceskolipsky.denik.cz)
In Deutschland und Polen habe er ähnliche Gebiete besucht. Eine so intensive Sanierung wie in Ralsko habe man dort nie durchgeführt, sagt Pyrotechniker und Bürgermeister Bilický bescheiden aber stolz. Nun muss ihm noch ein letzter Schritt gelingen. Er will Gelder aus den EU-Fonds bekommen, um ein touristisches Infozentrum aufzubauen. Arbeit gebe es in diesem Gebiet kaum, dafür aber etwas anderes:

„Kurz gesagt: Es ist eine herrliche Natur. So eine Naturlandschaft in so einem Umfang finden sie nicht noch mal.“