Tschechen streiten über Sexualkunde-Leitfaden für Lehrer

Der neue Bildungsminister Dobeš ist erst seit kurzem im Amt, da muss er auch schon Wogen in der tschechischen Gesellschaft glätten. Und nichts bringt mehr in Wallung als das Thema Sex. Fachleute, unter anderem Psychologen und Sexologen, haben im Auftrag des Ministeriums einen Leitfaden für Sexualerziehung erarbeitet. Er soll ein konkreter Ratgeber für Lehrer sein. Schon an die 6000 Bürger haben in einer Petition gegen diesen Leitfaden protestiert. Auch die Kirche hat sich auf ihre Seite geschlagen. Till Janzer sprach mit Christian Rühmkorf über den Streit.

Leitfaden für Sexualerziehung
Christian, worin scheiden sich denn die Geister? Auf der einen Seite stehen die Autoren des Leitfadens und auf der anderen die Bürger beziehungsweise die Eltern und die Kirche…

„Der Leitfaden entwickelt ein Konzept für die Grundschule; das betrifft in Tschechien die Klassen eins bis neun. Der Streit entfacht sich an der schlichten Frage: Soll Sexualkunde, soll Sex in der Schule zum Thema gemacht werden. Und da sagen die protestierenden Eltern ganz klar: nein. Es sei erwiesen, dass Sexualerziehung an Schulen bei der Jugend das ´Einstiegsalter´ und die Promiskuität erhöhe. Die ´gesunde Scham´ solle so lange wie möglich erhalten bleiben, denn sie sei Garant dafür, dass ein aktives Geschlechtsleben erst in einer stabilen Beziehung – sprich: Ehe - stattfindet. Der Leitfaden – und damit auch das Ministerium – meinen: ´Über Sexualität muss man reden´ und zwar ´korrekt und vernünftig´.“

Bildungsminister Josef Dobeš
Bei diesen verschiedenen Grundsätzen braucht man eigentlich nicht mehr über den Leitfaden an sich zu sprechen. Christian, Du hast Dir dennoch den Stein des Anstoßes angeschaut. Was will der Leitfaden bewirken, wo könnten Probleme liegen?

„Der Leitfaden will aufzeigen, ´wie das Thema in den Rahmenplan zu integrieren ist und eine ethische Perspektive auf das Thema anbieten´. So heißt es im Vorwort. Er informiert über alle grundsätzlichen Aspekte der Sexualität, über Gefahren von Krankheiten, über sexuell abnormes Verhalten wie Zoophilie, über Kommerzialisierung von Sex oder ungewollte Schwangerschaft. Der Leitfaden informiert aber auch in aller Offenheit über Selbstbefriedigung und bezieht klar Stellung, was Homosexualität betrifft: Homosexualität sei nicht abnorm, es sei eine ´normale sexuelle Orientierung einer Minderheit´.“

Ist die Kritik der Eltern an dem Leitfaden zu verstehen?

„Um ein Beispiel herauszugreifen: Die Eltern kritisieren die Erziehung der Kinder zur Promiskuität, zur Autoerotik und zur Loslösung der Sexualität von der Ehe. Im Leitfaden finden sich aber auch Sätze wie dieser: ´Angenehme sexuelle Erfahrungen macht man am besten in einer langen, stabilen und schönen Beziehung´. Das ist weit entfernt von Promiskuität. In der Diskussion treffen einfach eine sehr enge und eine sehr weite Vorstellung aufeinander und zwar darüber, was Sexualität ist.“



Wie beurteilst Du den Leitfaden?

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„Es werden viele wichtige Probleme angesprochen, über die Kinder aufgeklärt werden müssen. Allein, wenn man an das Internet denkt. Problematisch ist sicherlich hier und da der Zugang. Zum Beispiel ein Einführungsspiel in der Klasse, so was wie die Reise nach Jerusalem und zwar mit Aufforderungen wie: ´Alle tauschen die Stühle, die schon einmal onaniert haben´. Aber im Ganzen gilt vielleicht: Die Bälle flach halten. Denn der Leitfaden ist für Lehrer gedacht, er ist kein Lehrbuch für Schüler.“