Zu Hause bei den Přemysliden – das Leben am mittelalterlichen Hofe in Böhmen

Wenzel III.

Mehr als 400 Jahre waren die Přemysliden die Herrscher in Böhmen. Unter ihren stieg das Land zum Königreich innerhalb des Heiligen Römischen Reiches auf. 1306 endete mit der Ermordung von König Wenzel III. die Dynastie des böhmischen Adelsgeschlechts. Kulturgeschichtlich umfasst die Herrschaftszeit der Přemysliden große Teile des frühen Mittelalters und das gesamte Hochmittelalter mit seiner Ritterkultur. Seit einigen Jahren beschäftigen sich junge Historiker von der Tschechischen Akademie der Wissenschaften mit dem Leben am Hofe der Přemysliden. Anders als in Deutschland, wo die Forschung zum mittelalterlichen Herrscherhof schon eine längere Tradition hat, können sie eine Fragestellung gleich überspringen: Wo das Zentrum des Přemyslidenhofes war. Es lag natürlich in Prag.

Was ein mittelalterlicher Herrscherhof war, davon dürfte fast jeder von uns eine grobe Vorstellung haben. Ob aus Historienfilmen oder populärwissenschaftlichen Büchern - klar ist, dass dieser Hof rund um den Haushalt der Herrscherfamilie aufgebaut war. Historikerin Dana Dvořáčková von der Tschechischen Akademie der Wissenschaften:

„Der Grundstein jedes Hofes war der Haushalt des Herrschers mit einer bestimmten Gruppe an Dienern, die sich um die materielle Versorgung kümmerten. Untrennbarer Teil des Hofes war auch eine Gruppe an Würdenträgern, mit denen der Herrscher zusammen die Regierungsgeschäfte führte. Er übte also zusammen mit ihnen die Rechtssetzung, die Gerichtsbarkeit und die ausführende Gewalt aus.“

Přemysl Ottokar II.,  Wenzel II. und Wenzel III. in der Königsaaler Chronik
Die Gruppe um den Herrscher war zudem in weltliche und kirchliche Würdenträger geteilt. Aus beiden Lagern kamen der oder die Berater des Potentaten. Das ist so ungefähr die Grundlage des mittelalterlichen Hofes nicht nur in Böhmen. Doch die Přemysliden-Herrschaft dauerte mehrere hundert Jahre. Und zwischen dem Ende des 9. Jahrhundert und 1306 wandelte sich auch der Hof:

„Die ältesten Beschreibungen des Přemyslidenhofes kommen aus der Legende des Heiligen Wenzel aus dem 10. Jahrhundert. Wir wissen zum Beispiel, dass Fürst Wenzel sicher Köche hatte, jemand musste ja schließlich kochen. Der Haushalt hatte auch einen gewissen vorstehenden Verwalter namens Podiven, der Wenzel sehr nahe stand“, sagt Dvořáčkovás Kollege Jan Zelenka.

Chronica Boemorum  (Cosmas-Kronik)
Weitere Ämter werden in der Cosmas-Kronik aus dem 11. Jahrhundert erwähnt. Anfang des 12. Jahrhunderts hatte den Quellen nach auch der Přemysliden-Hof die vier Hofämter, die im ganzen mittelalterlichen Europa verbreitet waren: den Truchsess, dem die Aufsicht über die fürstliche Tafel zustand, den Mundschenk, den Marschall und den Kämmerer.

Doch gab es auch einen Hof der Herrscherin? Dana Dvořáčková:

„In den meisten Fällen war der Hof der Dame eher ein Teil des Fürstenhofes, also des Gatten. Dennoch berichten die Quellen auch, dass die Fürstengattin eigene Einnahmen hatte, aus denen sie ihre eigenen Würdenträger und Bediensteten bezahlte. Daraus lässt sich schließen, dass der Hof der Dame zumindest gewisse Merkmale der Eigenständigkeit trug. Eine andere Situation entstand, wenn die Dame verwitwet war. So führte zum Beispiel Elisabeth Richza von Polen aus ihren Einnahmen einen vollkommen unabhängigen Hof zuerst in Königgrätz und dann in Brünn.“

Elisabeth Richza von Polen gehört in die Spätphase der Přemyslidenherrschaft zu Beginn des 14. Jahrhunderts. Sie brachte in ihrer zweiten Ehe den ersten Habsburger auf den böhmischen Königsthron.


Elisabeth Richza von Polen
Wie sah aber der Alltag des Herrschers aus? Diese Frage würden auch die Historiker gerne beantworten, doch die Quellen geben nur wenig Verlässliches preis. Für den Přemyslidenhof fehlen zum Beispiel gänzlich die Hofordnungen, die einen Blick hinter die Kulissen des Fürstenhauses gewähren könnten. Ein Element ist indes bekannt: das Reisen, obwohl es im Mittelalter eine zeitraubende Angelegenheit war. Das Zentrum des böhmischen Hofes lag in Prag, aber nur der galt als Herrscher, der sich auch zeigte. Zudem musste Diplomatie betrieben werden. Also setzte sich der Hof in Bewegung. Jan Zelenka:

„Der Fürst war fast immer im Sattel, die Zusammensetzung des Begleitrosses unterschied sich nach dem Ziel der Reise. War er auf eines der Jagschlösser unterwegs, dann war der Tross selbstverständlich deutlich kleiner als bei einer Auslandsreise. Die Auslandsreisen führten die Přemysliden am häufigsten zu den Reichstagen nach Deutschland und später auch nach Paris und ins päpstliche Avignon.“

Jiří Kalouseks Bildnis des Soběslav I.
Ein bestimmtes Bild einer fürstlichen Reise ließe sich bei Soběslav I. gewinnen, als er 1137 in Schlesien einen Frieden mit dem polnischen König schloss, fügt Historiker Zelenka an:

„Als Soběslav von der Burg Glatz zurückkehrte, begleiteten ihn, wie wir wissen, neben den Waffenknechten und böhmischen Adligen auch seine Jäger. Das heißt, selbst bei solch einer Reise war Zeit für das Vergnügen der Jagd. Bei den Reisen zu den Reichstagen wurden die Fürsten wiederum häufig vom Bischof begleitet. So reiste zum Beispiel mit Vladislav II. zusammen auch Bischof Daniel. Und das aus logischem Grund, der Bischof war Berater von Vladislav und gestaltete, wie man sagen könnte, die Außenpolitik dieses Přemyslidenherrschers. Bischof Daniel traf häufig allein, ohne Vladislav, mit Kaiser Friedrich Barbarossa zusammen und verhandelte zu seinen Gunsten.“


Wenzel I.
Ritterturniere und Minnesang verbinden sicher viele von uns mit dem Mittelalter. Doch das kommt in den böhmischen Ländern erst in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts auf. Um 1230 gibt es bereits konkrete Berichte über das Wirken von Dichtern am Königshof und in dieser Zeit setzt sich auch die Veranstaltung von Ritterturnieren oder die Teilnahme des böhmischen Adels an den Turnieren durch, wie Dana Dvořáčková erzählt:

„Es gab praktisch zwei Wege, auf denen die Ritterkultur in die böhmischen Länder kam. Das waren zum einen jene Teilnahme an den Turnieren und später die eigene Ausrichtung dieser Veranstaltungen. Und zum anderen war das die Literatur, die an den Prager Hof durch die Zureise von Dichtern kam. Sie schrieben hier dann Gedichte oder höfische Epik. Einer der bedeutendsten Dichter am Hof von Wenzel I. war Reinmar von Zweter, der zuvor auch am Hof Friedrichs II. lebte. Zurzeit von Wenzels Sohn Ottokar II. sind eine ganze Reihe von Dichtern belegt sowie der Versepiker Ulrich von Etzenbach, der auf Deutsch den Alexanderroman schuf.“

Dichter Reinmar von Zweter
Und geht man noch eine Generation weiter, zu König Wenzel II., dann zeigt sich auch der Einfluss der Minnesänger. Heinrich von Meißen, genannt Frauenlob, war zu dieser Zeit am böhmischen Hof tätig:

„Wir nehmen sogar an, dass Frauenlob mit seinem Werk das Schaffen von Wenzel II. beeinflusst hat. Vom böhmischen König sind uns drei Minnelieder überliefert. Diese Zeit bedeutet den Höhepunkt des deutschen Minnesangs am böhmischen Hof, die typisch ist für die Ära der Přemysliden im 13. Jahrhundert“, so Dvořáčková.

Jan Zelenka ergänzt jedoch, dass das Bild des Herrn als Ritter bedeutend älter ist als die Ära der Ritterturniere und des Minnesangs:

Wenzel II.
„Auch in den früheren Quellen ist der Fürst im Grunde als Ritter abgebildet, als Mensch, der Witwen und Waisen beschützen, seinen Mitstreitern ein Vorbild an Kampfeskunst sein und sich nach einem bestimmten Kodex verhalten sollte. Damit verbunden spricht bereits die Legende des Heiligen Wenzel davon, dass Wenzel und seine Gefolgschaft Kampfspiele auf Pferden veranstalteten, die sich allerdings nicht mit den Ritterturnieren im 13. Jahrhundert vergleichen lassen. Aber es sind Verhaltensweisen, die dann halfen, die höfische Ritterkultur aus dem Westen hier zu adaptieren.“


Přemysl Ottokar II.
Ein Kapitel für sich ist die Bildung im Mittelalter. Lesen und Schreiben war meist den Kirchenvertretern überlassen. Die Bildung der Fürstenkinder – ob Junge oder Mädchen - umfasste andere Fertigkeiten und begann meist im Alter von sieben Jahren. Dana Dvořáčková:

„Im Fall des zukünftigen Herrschers wurden vor allem körperliche Fähigkeiten vermittelt: Reiten, der Umgang mit Waffen. Zudem war eine Erziehung in Landesführung und Verwaltung vorgesehen. Wichtig waren aber auch Fremdsprachenkenntnisse. Die böhmischen Länder waren zweisprachig, also musste die Muttersprache Tschechisch beherrscht werden, aber auch Deutsch. Denn die Frauen der Přemyslidenherrscher kamen meist aus deutschen Gegenden.“

Was die Alphabetisierung anbetraf, gab es jedoch auch positive Ausnahmen:

Ermordung von König Wenzel III.
„Im Grunde können wir uns nur bei einem sicher sein, und das war Jindřich Břetislav. Er war ursprünglich Geistlicher und Prager Bischof und wird erst danach Fürst. Das ist der einzige Nachweis eines gebildeten Herrschers. Bei den anderen Přemysliden gibt es keine Hinweise, dass sie lesen und schreiben konnten. Einzig die Zbraslav-Chronik erinnert, dass König Wenzel II. sogar lateinische Texte verstand. Die Frage ist aber, wie glaubhaft diese Information ist, denn die Chronik feiert den Herrscher als Gründer des Klosters Zbraslav“, so Historikerin Dana Dvořáčková.

Das geschriebene Wort hatte im Übrigen im Mittelalter ohnehin nicht die Bedeutung wie heute oder seit der Entstehung des Buchdrucks in der frühen Neuzeit. Gesetzliche Regelungen galten auch, wenn sie einfach mündlich überliefert waren.

Autor: Till Janzer
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