Schriftstellerkongress 1956: Harte Kritik am Regime
In der letzten Aprilwoche 1956 fand in Prag der 2. Kongress des Tschechoslowakischen Schriftstellerverbandes statt. Nach dem Wunsch des Regimes sollte er zu einer pompösen Manifestation der Einigkeit werden zwischen der herrschenden Staatspartei, der KSČ, und den – wie es offiziell hieß – „fortschrittlichen schöpferischen Kräfte“ der Gesellschaft. Stattdessen wurde das Schriftstellertreffen zu einer Plattform für die härteste Kritik an den Verhältnissen seit der kommunistischen Machtübernahme 1948.
Der 22. April 1956 war ein Sonntag und mancher Zeitgenosse kann sich noch erinnern, dass schönes Wetter an dem Tag herrschte. Über seine Atmosphäre schrieb der Schriftsteller Zdeněk Vavřík in der Tageszeitung „Lidové noviny“:
„Es war so frühlingshaft, wie wir es in diesem Jahr noch nicht gewohnt waren: die Sonne am blauen Himmel, milde Luft über den glänzenden Knospen und den ersten hellgrünen Blättchen in Prager Parks.“
Das tolle Wetter schien vorerst auch symbolisch für den Verlauf der achttägigen Schriftstellerkonferenz im Prager Rudolfinum, dem damaligen Sitz der Nationalversammlung. Zumindest an den ersten zwei Tagen. Am dritten Konferenztag passierte etwas Unerhörtes: Der Dichter František Hrubín prangerte in seinem Diskussionsbeitrag diejenigen an, die für das Regime unliebsame Kollegen aus der Literatur herausdrängten. Erstmals seit 1948, als die Kommunisten an die Macht kamen, ertönte solche Kritik. Noch radikaler war am 27. April 1956 der Dichter Jaroslav Seifert, der spätere Dissident und Nobelpreisträger. Beide Diskussionsbeiträge wurden anschließend unzensiert in der Lidové noviny veröffentlicht. Sie werden auch im Rundfunkarchiv aufbewahrt.
„Immer wieder ist hier zu hören, es sei notwendig, dass die Schriftsteller die Wahrheit schreiben. Soll ich das so verstehen, dass die Schriftsteller in den letzten Jahren keine Wahrheit geschrieben haben. Ja oder nein? Freiwillig oder unfreiwillig? Willig oder unwillig? Ohne Begeisterung oder mit leidenschaftlicher Zustimmung?“
So Jaroslav Seifert. Das Schlüsselwort seiner Rede war „die Wahrheit“. Er stellte sich und seinen Kollegen noch weitere Fragen:
„Sind wir in der Tat nur Produzenten von Versen, Rhythmen und Metaphern? Sind wir wirklich nur Erzähler von Geschichten und nicht anderes mehr?“
In Bezug auf die damalige Realität sprach der Fragensteller Seifert seine Ansicht über Wahrheit aus:
„Wenn irgendjemand die Wahrheit verschweigt, kann es ein taktisches Manöver sein. Verschweigt ein Schriftsteller die Wahrheit, dann lügt er.“
Kurz vor dem Schriftstellerkongress wurde eine ganze Reihe von unbequemen Literaten und Intellektuellen „vorsichtshalber“ festgenommen. Andere, die das Regime zur Emigration gedrängt hatte, verfolgten das Schriftstellertreffen gespannt aus dem Ausland. In der New Yorker Redaktion des Senders „Freies Europa“ zum Beispiel diskutierte man, ob Hrubíns und Seiferts Reden auf dem Kongress als positives Signal für dauerhafte Änderungen in der Tschechoslowakei zu deuten seien.
Der namhafte Journalist Ferdinand Peroutka sagte am 5. Mai in einem Kommentar: Die Schriftsteller in Prag hätten sich vor allem - Zitat –
„mit der wichtigen und keineswegs leichten Frage beschäftigt, wie aus einem Quadrat ein Kreis zu machen ist, wie man also frei in der Diktatur sein kann“.