Die Platte lebt II: tschechische Plattenbauten als Vogelparadies

Mauersegler (Foto: Amikosik, Creative Commons 3.0)

Er ist ein Tier der Superlative: mehrere Stunden, ja sogar Tage und Monate hält er sich in der Luft auf und erreicht im Sturzflug bis zu 200 Stundenkilometer. Die Rede ist vom Mauersegler, tschechisch „rorýs“ genannt und auf Latein „Apus apus“. Die dunkelgrauen bis schwarzen Vögel mit dem zierlichen Körper und den langen, spitzen Flügeln nisten besonders gerne in Plattenbauten.

Bald ist ihr Gesang wieder über unseren Städten zu hören: Anfang Mai übersiedeln die Mauersegler aus ihrem Winterquartier in Südafrika nach Mitteleuropa. Gerade rechtzeitig zur Brutzeit. Und gerade zur Brut zieht es die Mauersegler in die Städte, wie der stellvertretende tschechische Umweltminister Tomáš Rothröckl erläutert:

Tomáš Rothröckl  (Foto: Znojemský deník)
„Sie kennen das sicher: Sie sitzen an einem lauen Sommerabend draußen und plötzlich zieht über Ihnen in schnellem Tempo ein Schwarm laut kreischender schwarzer Vögel hinweg, die irgendwie von Natur aus fröhlich wirken. Das ist der Mauersegler, der sich in unseren Städten besonders wohl fühlt.“

Lukáš Viktora von der Tschechischen Ornithologischen Gesellschaft ergänzt:

Lukáš Viktora  (Foto: www.mzp.cz)
„Der gemeine Mauersegler ist eine sehr interessante Vogelart. Und das nicht nur, weil er gerne in der Stadt lebt. Er lebt zwar nicht nur in der Stadt, aber dort fallen die Tiere am meisten auf. Besonders interessant an den Tieren ist, dass sie sich im freien Gelände bewegen. Das heißt, sie sind nicht an einen bestimmten Lebensraum, wie zum Beispiel ein Biotop, ein Waldgebiet oder eine Wasserfläche gebunden. Ihre Nahrung fangen sie daher nur in der Luft. Die Mauersegler verbringen eigentlich ihr ganzes Leben in der Luft. Sie jagen dort nicht nur Insekten, die Vögel können auch in der Luft schlafen und auch die Paarung findet meistens in der Luft statt; das ist einzigartig unter den europäischen Vogelarten. Deshalb müssen die Mauersegler jeden Tag große Wegstrecken zurücklegen. Man schätzt die tägliche Flugleistung auf bis zu 900 Kilometer. Es sind einfach großartige Flugkünstler. In Europa gibt es unter den Vögeln kaum schnellere und bessere Flieger.“

Doch eines kann auch der Mauersegler nicht: seinen Nachwuchs in der Luft aufziehen. Dazu brauchen auch die Flugkünstler ein Nest. Und dabei sind die Tiere, die zumeist in jahrelangen fixen Partnerschaften leben, durchaus wählerisch, wie Vogelschützer Viktora erklärt:

Mauersegler  (Foto: pau.artigas,  Creative Commons 2.0)
„Die Mauersegler brüten nur einmal im Jahr. Und sie nisten zu 95 Prozent in Gebäuden. Daraus ergibt sich eine hohe Abhängigkeit vom Menschen und seinem Handeln. An dieses Zusammenleben mit dem Menschen sind die Mauersegler bestimmt schon einige Jahrhunderte lang gewöhnt. Genau wissen wir das nicht, weil vogelkundliche Aufzeichnungen erst seit etwa 200 Jahren existieren. Aber die Vögel leben sicher schon viel länger in der Nähe der Menschen. Insgesamt leben bei uns hier zwischen 60.000 und 120.000 Brutpaare. Eigentlich müsste man aber sagen, so viele Paare haben hier gelebt. Denn diese Zahlen sind aus dem Jahr 2000.“

Um bis zu 40 Prozent sei in manchen Gegenden der Bestand an Mauerseglern zurückgegangen, sagt Ornithologe Lukáš Viktora. Denn die Sanierung der Altstädte hat den Lebensraum der kleinen Vögel beschränkt:

Foto: www.mzp.cz
„Die Mauersegler nisten am häufigsten auf Dachsimsen und in den verschiedensten Lücken und Spalten des Dachstuhls. Aber die Vögel fühlen sich auch in Ritzen alter Mauern wohl und überall dort, wo sich in einem Gebäude ein Zwischenraum auftut. Manchmal sind diese Lücken überraschend klein. Als Phänomen der vergangenen 15, 20 Jahre beobachten wir die zunehmende Besiedlung der Plattenbauten durch die Mauersegler. Früher haben die Vögel vor allem in den Altbauvierteln gewohnt. Damals galt: Je näher am Zentrum, desto dichter die Mauersegler-Population. Denn gerade in den historischen Zentren gab es die meisten Gelegenheiten zum Nisten. Nach der Wende im Jahr 1989 haben viele Altbauten neue Eigentümer bekommen und die haben begonnen, die Häuser zu renovieren. Dadurch sind viele Nistplätze verloren gegangen und die Mauersegler mussten sich ein neues Quartier suchen.“

Foto: Cactus26; www.wikimedia.org
Fündig geworden sind sie in den Plattenbausiedlungen, die in den 1970er und 1980er-Jahren am Rand vieler tschechoslowakischer Städte entstanden sind. Zwar bieten die grauen Betonklötze mit ihrer schmucklosen Fassade und den Flachdächern den Mauerseglern bei weitem nicht so gute Nistplätze wie die Altbauten mit ihren Simsen und Mauerritzen und den hohen Dachkonstruktionen. Doch die Vögel seien sehr erfinderisch bei der Suche nach einem geeigneten Platz zur Aufzucht ihres Nachwuchses, sagt Vogelkundler Viktora:

„Sehen Sie hier, auf dem Foto: Das ist die Ansicht des Dachs von einem Plattenbau. Am oberen Rand sehen Sie so kleine Spalten. Das sind Lüftungsöffnungen für den Zwischenraum unter dem Dach. Gerade dort brüten die Mauersegler besonders gerne. Aber die Plattenbauten haben auch schon ein gewisses Alter erreicht und zwischen den einzelnen Betonpaneelen bilden sich größere Spalten. Auch dort nisten sich die Mauersegler ein.“

Mauersegler  (Foto: Amikosik,  Creative Commons 3.0)
Seit einigen Jahren aber werden nun auch die Plattenbauten saniert. Im Rahmen von Förderprojekten bekommen sie außerdem eine Wärmedämmungsschicht aus Polystyrol, um ihre schlechte Energiebilanz zu verbessern. Und damit verschwinden nun auch die Lüftungsöffnungen unter dem Dach und die Spalten zwischen den Betonplatten. Die Mauersegler müssten sich also wieder auf Herbergssuche machen. Doch die Brutpaare bleiben einem einmal ausgewählten Nistplatz meistens ein Leben lang treu und kommen immer wieder zurück. Um sich an einen neuen Brutplatz zu gewöhnen, bräuchten die Vögel oft mehrere Jahre, sagt Ornithologe Viktora. Doch die Vogelschützer haben eine Lösung gefunden: Bei der Sanierung von Plattenbauten sollen nun eigene Nistkästen für die Mauersegler angebracht werden.

Kästen für Mauersegler hängen auch am Plattenbau des tschechischen Umweltministeriums  (Foto: www.mzp.cz)
„Hier haben wir so einen Nistkasten. Er besteht aus Polystyrol. Das ist ein sehr leichtes und haltbares Material. In Deutschland hängen manche dieser Kästen schon länger als fünfzehn Jahre. Wenn sie bei der thermischen Sanierung von Gebäuden angebracht werden, werden die Nistkästen direkt auf die ursprüngliche Außenwand geschraubt. Dann erst wird die Isolierschicht angebracht. Der Kasten verschwindet also fast vollständig unter den Polystyrol-Platten und steht nur um einige Zentimeter vor.“

Ein Umstand, der auch die Mauersegler freut. Denn in den oft noch recht kühlen Frühlingsnächten haben sie es angenehm warm. Und im Sommer hält die Isolierung die Hitze ab.

Kästen für Mauersegler hängen auch am Plattenbau des tschechischen Umweltministeriums  (Foto: www.mzp.cz)
Auch am Plattenbau des tschechischen Umweltministeriums hängen seit kurzem zwei der unscheinbaren grauen Kästen mit den zwei schlitzförmigen Öffnungen an der Unterseite. Bei der Auswahl des Standortes musste man mehrere Faktoren berücksichtigen, erklärte Ornithologe Lukáš Viktora beim Lokalaugenschein auf dem Dach des Ministeriums: So mögen es die Mauersegler nachts nicht zu hell und nicht zu laut. Auch zu starker Wind gefällt ihnen nicht. Ob ihnen die neue Brutmöglichkeit zusagt, wird sich in wenigen Wochen zeigen, wenn die ersten Mauersegler-Paare aus dem Winterquartier im südlichen Afrika nach Mitteleuropa zurückkehren.

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