Tschechien mit größter Winter-Olympiamannschaft in Vancouver am Start

Am Freitag beginnen in Vancouver die XXI. Olympischen Winterspiele. In den darauf folgenden 16 Tagen blickt die ganze Welt in die kanadische Pazifikstadt, wenn dort in 86 Wettbewerben die Medaillen vergeben werden. Auch die Tschechische Republik will ein Stück vom Medaillenkuchen. Radio Prag schätzt ein, wie groß die Chancen der tschechischen Athleten auf olympisches Edelmetall tatsächlich sind.

An den Olympischen Winterspielen in Vancouver nimmt Tschechien mit 92 Sportlern teil. Mehr als ein Viertel davon, exakt 23, spielen im nationalen Eishockeyteam. Sieben weitere gehen ebenfalls auf Kufen an den Olympiastart – vier im Eiskunstlauf und drei im Eisschnelllauf. Auf den Brettern, die ihre Welt bedeuten, sind insgesamt 44 Biathleten, Skilangläufer, Skiabfahrer und Skiakrobaten unterwegs. Fünf weitere Akteure schwingen sich auf einem Snowboard den Hang hinunter. Und 13 kräftige Athleten benutzen einen Schlitten oder Bob, um nach rasender Schussfahrt in der Eisrinne bis ins Ziel zu kommen. Doch wer von ihnen kann realistisch von einer Medaille träumen?

Um diese Frage zu beantworten, muss man entweder auf das Eis oder in die Langlaufloipe gehen. Letztere ist die Wirkungsstätte von Lukáš Bauer, dem exzellenten Skilangläufer aus Boží Dar / Gottesgab im Erzgebirge. Der 32-jährige Topathlet hat in seiner schon recht erfolgreichen Karriere sowohl zweimal die Tour de Ski als auch einen Saison-Weltcup gewonnen. Von internationalen Meisterschaften hat Bauer bislang drei silberne Plaketten mit nach Haus gebracht. In Vancouver wird Bauer gleich viermal an den Start gehen: in den Einzelkonkurrenzen über 15 km freier Stil, im Verfolgungsrennen und über 50 km klassisch sowie in der Männerstaffel. Seine Chancen ordnet er dabei so ein:

„Ich denke, dass ich in allen Einzeldisziplinen in der Lage bin, die Konkurrenten zu fordern. Experten und Fans räumen mir jedoch die größten Chancen im abschließenden 50-km-Lauf ein. Man wird also sehen, ob ich schon eher alle überraschen kann.“

Šárka Záhrobská  (Foto: Tomáš Lisý)
Überraschen wollen nach Möglichkeit auch die alpinen Skiläufer, die in Šárka Záhrobská sogar eine Weltmeisterin in ihren Reihen haben. 2007 gewann die inzwischen 25-Jährige im schwedischen Åre die WM-Goldmedaille in der Slalomkonkurrenz. In diesem Winter aber ist alles anders. Erst vor der Saison hat sich Šárka Záhrobská von ihrem langjährigen Trainer getrennt. Es ist kein Geringerer als ihr Vater Petr Záhrobský. An seine Stelle ist mit Antonín Strach der ehemalige Konditionstrainer von Šárka getreten. Ein Fakt, den Vater Petr nicht gerade mit Wohlwollen zur Kenntnis nahm:

„Für Šárka ist jetzt eine andere Person verantwortlich. In diesem Fall ist es Herr Strach, der meine Tochter coacht und somit auch die Verantwortung für ihre Leistungen trägt.“

In den Weltcup-Wettbewerben dieses Winters konnte Šárka Záhrobská bisher noch nicht an ihre tollen Vorstellungen vergangener Jahre anknüpfen. Umso mehr freut sie sich, dass sie in Vancouver für mehrere Tage auch wieder ihren Bruder Petr trifft, der jetzt anstatt ihrer vom Vater trainiert wird:

„Bei den Olympischen Spielen werden wir uns ganz gewiss begegnen. Wir Tschechen bewohnen ein gemeinsames Haus oder zumindest die Etage eines Hauses im olympischen Dorf. Von daher werde ich mit meinem Bruder und dem Vater eine ganze Woche zusammen sein.“

Fast nicht in Vancouver dabei gewesen wäre hingegen Nikola Sudová, die tschechische Medaillenhoffnung auf der olympischen Buckelpiste. Zu Beginn des Jahres hatte sie sich im Training das Knie verstaucht. Die Folge: Das für dieses Gelenk so wichtige Kreuzband war überdehnt, was Sudovás Olympiateilnahme mit einem Schlag in weite Ferne rücken ließ. Doch Nikola ist eine Frohnatur, die ihren Optimismus nie verliert. Mit dieser Einstellung hat sie trotz ihres Verletzungspechs dann auch nicht nachgelassen:

Nikola Sudová  (Foto: ČTK)
„Es gibt keinen anderen Weg, als sich damit abzufinden. Es ist passiert und ich werde auch nach diesem Malheur weiter kämpfen. Es heißt ja so viel sagend, die Hoffnung stirbt zuletzt, und das trifft auch für mich zu. Also werde ich kämpfen und alles dafür tun, um in Vancouver dabei zu sein.“

Die Verletzung ist abgeklungen und die 27-jährige Vizeweltmeisterin des Jahres 2005 wird in Vancouver am Start sein. Ihr Wille und ihr Optimismus haben sie früher als erwartet auf die buckelige Rennpiste zurückgebracht. Und wer weiß, vielleicht ist ja gerade das ein gutes Omen für eine vordere Platzierung im olympischen Wettkampf.

Martina Sáblíková  (Foto: Bjarte Hetland,  CC BY-SA 3.0)
Mehrere solcher Wettkämpfe wird die heißeste Medaillenkandidatin unter den tschechischen Olympiateilnehmern bestreiten – die fünffache Weltmeisterin im Eisschnelllauf, Martina Sáblíková. Vor vier Jahren, bei den Spielen in Turin, durfte Sáblíková die tschechische Flagge bei der Eröffnung in die olympische Arena tragen. Es war ein Vorgriff auf die goldenen Zeiten, die nach der olympischen Feuertaufe für die damals erst 18-Jährige folgen sollten. Sie galt seinerzeit schon als ein Rohdiamant, den man nur noch schleifen müsse. Inzwischen hat sich die zierliche Läuferin aus Žďár nad Sázavou ihre Sporen längst verdient. Insbesondere auf der 5000-Meter-Distanz hat sie sich eine gewisse Vormachtstellung erarbeitet: sie ist nicht nur die Weltrekordlerin, sondern bei Weltmeisterschaften auch schon drei Jahre lang auf dieser Strecke ungeschlagen. In Vancouver wird Sáblíková auch über 1500 und 3000 Meter an den Start gehen. In allen Wettbewerben hat sie Medaillenchancen, doch mit ihren Erwartungen hält sie sich bewusst zurück:

„Mir wäre jede Medaille recht, Hauptsache ist, ich gewinne eine. Dann wäre ich sehr zufrieden. Ich wäre aber enttäuscht, wenn ich aus Vancouver mit leeren Händen zurückkommen würde.“

Die Rennen der Martina Sáblíková im Richmond Olympic Oval von Vancouver werden mit Sicherheit Abertausende Tschechen an den TV-Bildschirmen verfolgen und ihr dabei die Daumen drücken. Es gibt aber noch eine andere Sportart, der die Menschen zwischen Aš / Asch und Třinec mit vollem Herzen entgegenfiebern: das Eishockey. Wenn die tschechische Nationalmannschaft am 17. Februar (Ortszeit) mit dem Duell gegen die benachbarte Slowakei in das olympische Turnier einsteigt, dann wird wieder eine Megaschar zeitversetzt am frühen Morgen des 18. Februar vor der Röhre sitzen. Aus gutem Grund, denn das Eishockey ist neben dem Fußball die populärste Sportart hierzulande. Und vor zwölf Jahren, bei den Spielen in Nagano, war die tschechische Nation dank ihrer Cracks schon einmal schier aus dem Häuschen:

„Das Spiel ist aus, das Spiel ist aus … und wir haben die olympische Goldmedaille!“, jubelte Rundfunkreporter Aleš Procházka begeistert, als feststand, dass die tschechische Mannschaft nach einem 1:0-Finalsieg über Russland tatsächlich Olympiasieger ist.

Jaromír Jágr  (Foto: ČTK)
Der einzige noch aktive Eishockeyspieler der Tschechen, der aus dem siegreichen Team von Nagano auch in Vancouver auflaufen wird, ist Superstar Jaromír Jágr. Für den fast 38-jährigen Ausnahmekönner sind es bereits die vierten Spiele in seiner Karriere. Und wie in Nagano, Salt Lake City oder Turin freut er sich auch diesmal, bei der Parade der weltbesten Puckjäger dabei zu sein:

„Jede Olympiade ist anders. Auf allen Spielern, die an ihr teilnehmen, lastet ein großer Druck. Auf der anderen Seite steht gerade das Eishockeyturnier im interessierten Fokus der Sportöffentlichkeit, besonders hier in Kanada, der Wiege des Eishockeys. Die Fans in Kanada sind sehr enthusiastisch. Sie und die Veranstalter werden alles dafür tun, dass man nachher vom größten olympischen Eishockeyturnier aller Zeiten sprechen wird.“

An den Winterspielen in Vancouver nimmt Tschechien mit seiner zahlenmäßig größten Olympiamannschaft teil. Ob sie auch die erfolgreichste der nationalen Sportgeschichte sein wird, werden die Wettkämpfe zeigen. Nach der optimistischen Prognose der amerikanischen Presseagentur AP wird Tschechien viermal Gold und zweimal Bronze gewinnen. Die Tschechen selbst sind etwas zurückhaltender. Einer Umfrage zufolge rechnen 45 Prozent der Befragten mit zwei bis drei Medaillen und 38 Prozent mit vier bis fünf Medaillen.

Autor: Lothar Martin
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