Ein Schneeball, der eine Lawine auslöste: Václav Havel zum 17. November 1989

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Die menschliche Verantwortung sei von der politischen nicht zu trennen. Diese Worte schrieb Václav Havel im Oktober 1989. Damals stand der Schriftsteller und Bürgerrechtler an der Schwelle zur politischen Macht. Nach der Samtenen Revolution vom 17. November 1989 wurde Havel Staatspräsident der Tschechoslowakei und danach der neu entstandenen Tschechischen Republik. Im Ausland mit vielen Auszeichnungen gewürdigt, hat Václav Havel bei der politischen Elite daheim zuletzt wenig Gehör gefunden. Doch nun meldete sich der Altpräsident bei einer Pressekonferenz zur Wende erneut zu Wort.

Václav Havel im Prager „Theater am Geländer“  (Foto: ČTK)
Was wollten wir damals erreichen? Was ist uns gelungen? Wohin sind wir gelangt? Das war der thematische Leitfaden der Pressekonferenz, die Václav Havel im Prager „Theater am Geländer“ gab.

„Die Richtung, die wir damals einschlugen, hin zu einem demokratischen Staat, zu einem Rechtsstaat, zur Freiheit der Bürger, Respektierung der Menschenrechte und Marktwirtschaft, alle das wird nach und nach verwirklicht und erfüllt. Wenn auch unendlich langsam, auf Umwegen, mit zahlreichen Hindernissen und unerwarteten Hürden. Doch ich würde nicht sagen, dass wir von unseren grundlegenden Idealen, die wir damals hatten, abgewichen sind“,

fasste der Altpräsident zusammen. Tschechien steckt laut Havel immer noch in einer Phase, die man als Postkommunismus bezeichnen kann. Es habe sich noch keine wirklich offene, demokratische Bürgergesellschaft entwickelt. Havel rügte unter anderem das Selbstverständnis der Parteien:

„Die Parteien entwickeln sich zu halb legalen, halb illegalen Metastrukturen im Staat. Sie erfüllen ihre Aufgabe nicht, ein Nährboden für politische Talente zu sein, die sich dann in den Dienst der Politik stellen.“

Damit sich in den postkommunistischen Staaten eine politische Elite von wahrhaft demokratischer Gesinnung herausbilde, seien Jahrzehnte vonnöten, glaubt Havel. Wie langwierig dieser Prozess ist, habe auch er unterschätzt, räumte der frühere Staatspräsident ein. Die größte Erblast der kommunistischen Herrschaft sei der Verlust der Sittlichkeit, so Havel.

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Dann wurde er um seine Meinung zur aktuellen Krise bei der Ratifizierung des Lissabon-Vertrages gebeten. Glaube er, dass der Lissabon-Vertrag zu Eingriffen in das tschechische Recht durch Vermögensforderungen von Sudetendeutschen führen könne? Havel verneinte:

„Ich glaube aus vielen Gründen, die auch schon in den Medien lang und breit analysiert wurden, nicht, dass es eine solche Bedrohung gibt. Gleichzeitig ist das aber natürlich ein Argument, das seine Wirkung auf die Öffentlichkeit nicht verfehlt. Denn wir wurden Jahrzehnte lang zu bestimmten Vorurteilen erzogen, und davon wird die Gesellschaft wohl noch lange nicht frei sein.“

Das Verhalten von Staatspräsident Klaus sei verantwortungslos und schädige Tschechien, kritisierte Havel. Er persönlich sei der festen Überzeugung, dass der Lissabon-Vertrag im Interesse von ganz Europa ratifiziert werden solle, stellte Václav Havel fest.

Sein Medienauftritt im „Theater am Geländer“ fand übrigens an demselben Ort statt, an dem Havel auch seine ersten Pressekonferenzen nach der Wende vor 20 Jahren gegeben hatte.