Stolperstein Tschechien und der Doktortitel für ´nen Appel und´n Ei
Womit haben sich die tschechischen Kommentatoren diese Woche befasst? Der Lissabon-Vertrag hält alle in Atem, genauer gesagt Tschechien, das als fast letztes Land das Dokument noch nicht ratifiziert hat. Und immer wieder tut sich da etwas Überraschendes - dank Präsident Klaus. Auch das Verfassungsgericht hatte sich in dieser Woche zu Wort gemeldet. Außerdem geht es um den wohl größten Uni-Polit-Skandal an der Westböhmischen Alma Mater, wo man juristische Abschlüsse und Doktortitel ganz leicht erwerben konnte.
C.R.: Der stellvertretende Chefredakteur der „Mladá Fronta Dnes“, Viliam Buchert, sieht schwarz nach dem Grünen Licht für Lissabon seitens der irischen Bevölkerung:
„Alle Europa-Politiker und –Beamten wiederholen seit Jahren schon, dass sie sorgfältig auf die Stimmen ihrer Bürger hören. Wenn sich aber in irgendeinem Staat die Bürger gegen die Interessen der Brüsseler Bürokratie-Maschinerie aussprechen, dann werden sie so lange meinungsmäßig vergewaltigt, bis sie ´freiwillig´ ihre Entscheidung zurücknehmen. Das haben wir jetzt erneut erlebt. Diesmal mit dem irischen Referendum über den Lissabonner Vertrag.“
Zbyněk Petráček von der „Lidové Noviny“ wiederum sieht Klaus auf dem Olymp, auf dem Olymp der Eitelkeiten und fragt:
„Unterschreibt er am Ende? Oder unterschreibt er nicht? In dieser Frage würde ein vorsichtiger Mensch kein Geld setzen. Aber darauf, dass Klaus seine Sternstunde auf dem Olymp genießt, darauf können Sie ihr Gehalt verwetten.“
Moderator: Am Donnerstagabend gab es ja noch eine neue Entwicklung. Wir haben es im Tagesecho schon gehört. Präsident Klaus möchte als Bedingung für seine Unterschrift eine Ergänzung zur EU-Grundrechte-Charta. Dazu gibt es wohl noch keine Kommentare, oder?
C.R.: Nein, das ist noch zu früh. Da kommt wohl noch einiges am Samstag. Aber für Kommentator Jan Macháček ist ohnehin viel wichtiger, was das ganze Gerangel für den Ruf der Tschechischen Republik bedeutet. Dieser Ruf leide in diesen Tagen besonders stark, meint er in seinem Blog in der „Hospodářské Noviny“ vom Mittwoch. Etwas zu boykottieren, was nahezu 30 Staaten gemeinsam beschlossen haben, gehöre sich schon mal nicht. Das alles aber während der größten Wirtschaftskrise zu tun, verhindere wichtige Schritte der EU. Jan Macháček schreibt:
„Das Schlimmste an der ganzen Situation ist, dass die Tschechen nicht fähig sind zu erklären, warum sie das alles tun. Haben sie das Gefühl, dass ihre Demokratie und ihre Verfassungsordnung besser, effektiver und weiter entwickelt sind als in Westeuropa. Haben sie das Gefühl, dass ihre Politiker traditionell fundamental besser sind als die westeuropäischen? Fürchten sie um ihre Umwelt wie die Österreicher um ihre Alpen? Haben sie Angst vor Transitverkehr? Haben wir weniger Korruption, haben wir bessere Regeln? (...) Hat die Tschechische Republik etwa niedrigere Steuern und ein effektiveres System von Sozialhilfe als der Rest von Europa? Nein“, meint Jan Macháček.
Moderator: Sie hören Radio Prag, die Auslandssendungen des Tschechischen Rundfunks. Wir sind mitten drin im Medienspiegel, heute mit Christian Rühmkorf. Christian, schon am Dienstag war eine neue Nachricht zum Thema Lissabon hinzugekommen. Das Verfassungsgericht hat eine der beiden Klagen der konservativen Bürgerdemokraten abgeschmettert. Die kleinere. ODS-Senatoren hatten das so genannte gebundene Mandat kritisiert. Das besagt, dass das Parlament zustimmen muss, wenn nationale Kompetenzen auf die EU übertragen werden. Eigentlich eine gute Sache für die Konservativen, wenn die nationale Entscheidungsebene gestärkt wird. Aber die Senatoren wollten die Latte noch höher legen und fordern eine Verfassungsmehrheit bei Kompetenzübertragungen. Das Verfassungsgericht hat nun am Dienstag diese Klage ungeprüft abgewiesen.C.R.: Ja und das findet Kommentator Daniel Kaiser in der „Lidové Noviny“ mehr als verdächtig:
„Die Entscheidung des Gerichts wird den politischen Eliten Europas gefallen. Die Leichtigkeit, mit der das Verfassungsgericht die sorgsam ausgearbeitete Beschwerde vom Tisch gefegt hat, weckt einen hässlichen Verdacht – nämlich dass sich die Verfassungsrichter nur gegen die heimischen Politiker etwas trauen, während sie sich an Brüssel nicht heranwagen.“
Adam Černý von der „Hospodářské Noviny“ blickt in Sachen Lissabon woanders hin, nach Großbritannien. Der Tory-Vorsitzende, Lissabon-Gegner und vielleicht künftige Premier David Cameron droht ja auch mit einem Referendum, wenn er die Wahlen gewinnt. Adam Černý schreibt dazu:
„Ein Referendum hat Cameron zwar versprochen – aber zu einer Zeit, als die Wahlen noch genauso weit weg waren wie die Vorstellung, dass er sein Versprechen erfüllen muss. Mit jedem Tag, den die Wahlen näher rücken, nähert sich auch das Dilemma, in dem sich jeder Politiker der britischen Torys befindet: Wenn er weiter seinen europa-skeptischen Kurs fährt, schwächt er seine Position innerhalb der EU. Wenn er pragmatisches Handeln vorzieht, lehnt sich die Parteibasis gegen ihn auf“, meint Adam Černý und kommt zu dem Schluss:
„Sein Versprechen, dass er ein Referendum über den Lissabon-Vertrag abhält, würde David Cameron am liebsten vergessen. Möglicherweise weiß deshalb niemand, was er Václav Klaus in seinem letzten Brief eigentlich geschrieben hat.“
Moderator: Kommen wir noch zu einem anderen Thema – an der Uni Pilsen gab es einen Skandal, der in Tschechien vergeblich seinesgleichen sucht. An der juristischen Fakultät haben dutzende „Pseudo-Studenten“ zum Teil innerhalb weniger Monate ein Jura-Studium absolviert inklusive aller Prüfungen. Andere haben sogar ihren Doktortitel in Zwei-Monatsfrist erworben. Kurz: An der Westböhmischen Universität in Pilsen konnte man sich, wenn man wichtig genug war oder genug Geld hatte, allem Anschein nach die Titel und Abschlüsse erkaufen. Die Polizei ermittelt nun.C.R.: Das ganze ist vor allem auch deshalb brisant, weil unter den verdächtigen Studenten und Doktoranden auch hohe Beamte und sogar Ex-Premier Gross ist. Petr Uhl meint in der „Právo“, die Verantwortung dafür liege nicht nur bei den Lügen-Funktionären der Uni und den falschen Jura-Absolventen, sondern auch beim Bildungsministerium und seinen rechtlichen Rahmenregelungen. Petr Uhl betont die Dimension des Falles und schreibt weiter:
„Der Pilsener Komplott hat eine Menge Nebeneffekte. Durch ihn gerät auch die Glaubwürdigkeit des ´Instituts für Staats und Recht der tschechischen Akademie der Wissenschaften´ in Zweifel, wo ehemalige Funktionäre der Pilsener Fakultät arbeiten. Einer von ihnen – Vladimír Balas - ist dazu noch der Rechtsexperte des Staatspräsidenten und er vertritt sogar 17 Senatoren im Verfassungsprozess um den Lissabon-Vertrag.“
Moderator: Und damit wären wir auch schon wieder beim Lissabon-Vertrag.
C.R.: Ja, tut mir leid. In diesen Tagen führen eben alle Wege nach Lissabon.
Moderator: Christian Rühmkorf war das mit dem Medienspiegel – vielen Dank!