Mit der „Esko“ in die Stadt: Prager S-Bahn auf Erfolgskurs

Prag und die umliegende Region Mittelböhmen sind der Wirtschaftsmotor Tschechiens. In und um die Hauptstadt herrscht die höchste Bevölkerungsdichte, die Arbeitslosenrate liegt weit unter der im Rest des Landes, und die Kaufkraft ist deutlich höher als in den übrigen Regionen. Kein Wunder also, dass Prag viele Pendler aus dem Umland anzieht. Und dies bringt natürlich auch negative Effekte mit sich, etwa die täglichen Staus an den Stadteinfahrten. Stadt, Landkreis und Staat wollen mit dem massiven Ausbau des S-Bahn-Netzes gegensteuern.

Prager Hauptbahnhof  (Foto: Kristýna Maková)
Der Prager Hauptbahnhof am frühen Morgen: beinahe im Minutentakt kommen die Züge aus allen Richtungen an, Hunderte Pendler hetzen zu einem der Ausgänge oder in Richtung U-Bahn. Bis zu 90.000 Menschen fahren jeden Tag mit der „Esko“, wie die Züge der Prager S-Bahn genannt werden, in die Hauptstadt. Was in vielen deutschen, einigen schweizerischen und österreichischen Städten seit Jahren zum Pendler-Alltag gehört, war in Tschechien noch bis vor kurzem beinahe unbekannt. Erst im Jahr 2007 begann in Prag der Aufbau des S-Bahn-Netzes, im Vorjahr wurde das Angebot erweitert. Um ganze zehntausend pro Tag ist die Zahl der Fahrgäste innerhalb eines Jahres gestiegen, freut sich der Prager Verkehrsstadtrat Radovan Šteiner:

„Es sind natürlich hauptsächlich die Prager und die Einwohner des angrenzenden Kreises Mittelböhmen, die von diesem Angebot profitieren. Ich muss ehrlich sagen, es hat auch mich überrascht, dass die Fahrgastzahlen innerhalb nur eines Jahres um ein Drittel gestiegen sind. Das hat unsere Erwartungen weit übertroffen. Ein unglaublicher Erfolg ist das für die Tschechischen Bahnen und natürlich - bei aller Bescheidenheit - auch für uns, die Prager Stadtsenat. Ich denke, die Zahl von 20 Millionen Reisenden pro Jahr spricht für sich.“

Einen wichtigen Beitrag zum erfolgreichen Start des Prager S-Bahn-Systems hat die im Sommer der Vorjahres eröffnete so genannte „Neue Verbindung“ („Nové spojení“) geleistet: Auf mehreren Brücken und durch lange Tunnels führt diese neue Bahnstrecke, die den innerstädtischen Hauptbahnhof und den Masaryk-Bahnhof mit den an der Hauptstrecke Wien - Berlin gelegenen Bahnhöfen Prag-Libeň und Prag-Holešovice verbindet. Wo die Züge früher über rostige Brücken und marode Gleise direkt unter den Fenstern der geplagten Anrainer dahin rumpelten, gleiten sie heute beinahe geräuschlos mit über 100 Kilometer pro Stunde durch die Stadt. Gerade die veraltete Infrastruktur habe in der Vergangenheit oft als Ausrede für das schlechte Angebot herhalten müssen, gibt der für den Personenverkehr verantwortliche stellvertretende Generaldirektor der Tschechischen Bahnen, Antonín Blažek, zu:

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„Nun ermöglichen wir den Zügen, von den Hauptstrecken schnell und direkt ins Zentrum zu kommen. Wir tragen damit zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs in Prag bei und bieten den Fahrgästen einen viel höheren Komfort als früher. Sie kommen heute unglaublich schnell vom Stadtrand ins Zentrum. Die erste Phase des Ausbaus ist beinahe abgeschlossen, doch damit geben wir uns nicht zufrieden und arbeiten bereits an weiteren Projekten.“

Tatsächlich gibt es noch viel zu tun. So ist etwa die Verbindung zwischen dem Hauptbahnhof und dem bedeutenden Bahnhof Smíchov im gleichnamigen Prager Stadtteil an ihre Kapazitätsgrenze gelangt. Probleme bereitet hier vor allem die über hundert Jahre alte Moldaubrücke, die den heutigen Anforderungen nicht mehr entspricht. Doch ein Neubau kommt wegen strenger Denkmalschutzauflagen nicht in Frage. Ebenfalls auf dem technischen Stand des ausgehenden 19. Jahrhunderts ist die überlastete Strecke in die mittelböhmische 70.000-Einwohner-Stadt Kladno westlich von Prag. Bereits die kleinste Unregelmäßigkeit bringt den Fahrplan auf der eingleisigen Strecke völlig aus dem Lot. Und wie Eisenbahner hinter vorgehaltener Hand erzählen, birgt das aus der Eisenbahn-Steinzeit stammende Betriebskonzept auch ein erhebliches Sicherheitsrisiko: Immer noch werden auf einem Teil der Strecke die Züge per Telefon von Bahnhof zu Bahnhof weitergemeldet. Eine kleine Unachtsamkeit eines der Fahrdienstleiter genügt, und es droht ein folgenschwerer Frontalzusammenstoß zweier Züge.

Foto: Archiv Radio Prag
Die Pläne, die Strecke zu einer modernen Schnellbahn auszubauen, sind bereits vorhanden. Damit würde auch endlich eine adäquate Verbindung zum nahe gelegenen Prager Flughafen geschaffen. Doch die Umsetzung der Pläne sei Sache des Staates, sagt der Prager Verkehrsstadtrat Radovan Šteiner im Gespräch mit Radio Prag, das übrigens dem Anlass entsprechend in einem S-Bahn-Zug stattgefunden hat:

„Diese Strecke gehört dem Staat. Die Stadt Prag unterstützt dieses Projekt mit Nachdruck, aber für die Umsetzung ist das Verkehrsministerium zuständig. Wir arbeiten inzwischen an der Verlängerung der U-Bahn in Richtung der Universitätsklinik Motol und eventuell weiter in Richtung Flughafen. Bereits zum Ende dieses Jahres sollen die Bauarbeiten beginnen.“

Widerstand gegen den Bau der S-Bahn zum Flughafen und weiter nach Kladno kommt vor allem aus dem vornehmen Stadtbezirk Prag 6. Wenn schon, dann müsse die Bahnstrecke unterirdisch geführt werden, heißt es im dortigen Rathaus. Die enormen Kosten eines solchen Vorhabens lassen die Realisierung allerdings unwahrscheinlich erscheinen.

Weiter fortgeschritten ist der Ausbau der S-Bahn-Linie 9 in Richtung Benešov im Südosten der tschechischen Hauptstadt. Neue Haltestellen, etwa beim Slavia-Stadion mit dem gegenüberliegenden Einkaufszentrum oder nahe der dicht besiedelten Gartenstadt („Zahradní město“) soll das Umsteigen auf die „Esko“ in Zukunft noch attraktiver machen. Und aus dem reichlich baufälligen und bisher eher schwach frequentierten Vorstadt-Bahnhof Prag-Hostivař soll in Zukunft eine Verkehrsdrehscheibe zwischen S-Bahn, Straßenbahn und Bus werden. Auch an einen Anschluss an das Metro-Netz denke man langfristig, sagt Stadtrat Šteiner.

Auch beim Wagenpark der S-Bahn hatten die Tschechischen Bahnen einiges aufzuholen. Noch sind auf den Strecken Richtung Benešov und Beroun südlich von Prag bis zu 45 Jahre alte Triebwagengarnituren im Einsatz, in denen es kräftig rumpelt und scheppert. Natürlich seien diese Züge nicht mehr zeitgemäß, sagt ČD-Personenverkehrsvorstand Blažek. Daher investiere man auch laufend in neue Wagengarnituren. Knapp 60 der neuen Doppelstockzüge mit dem klingenden Namen „CityElefant“ sind bereits im Einsatz, weitere 15 bestellt:

„Aber es ist klar, dass diese Züge nicht von heute auf morgen überall fahren können. Wir bemühen uns, die neuen Garnituren vor allem auf den bereits modernisierten Strecken einzusetzen. Aber auch auf den anderen Strecken sind die City-Elefanten anzutreffen, und zwar am Wochenende, wenn der Fahrplan nicht so dicht ist und wir daher genügend neue Züge haben, um damit auch nach Beroun und Benešov zu fahren.“

Doch was nützt der schönste Zug, wenn er an einem dem jahrzehntelangen Verfall preisgegebenen Bahnhof hält. Zwar geht die Modernisierung des Prager Hauptbahnhofs langsam ihrem Höhepunkt entgegen und die Stationen Prag-Dejvice und Prag-Vršovice wurden kürzlich denkmalgerecht saniert. Doch die meisten anderen Prager Bahnhöfe befinden sich in einem äußerst tristen Zustand.

„Der staatliche Schiennetzbetreiber SŽDC plant gemeinsam mit uns unter anderem die Modernisierung der Bahnhöfe Prag-Smíchov, Prag-Hostivař, den Neubau einer Station in Prag-Malešice und so weiter“, sagt ČD-Vorstand Blažek

Bereits beängstigende Ausmaße hat die Verwahrlosung am architektonisch wertvollen Masaryk-Bahnhof am Rande der Prager Altstadt angenommen: In der Vergangenheit musste sogar die Feuerwehr wegen akuter Einsturzgefahr anrücken. Nun stützen provisorische zusätzliche Holzpfeiler das Dach der 165 Jahre alten Bahnhofshalle. Aus dem Prager Stadtmagistrat waren in jüngster Zeit immer wieder Stimmen laut geworden, den heute hauptsächlich dem Nahverkehr dienenden Bahnhof stillzulegen und das Areal zu „entwickeln“, mit anderen Worten, an eine Immobiliengesellschaft zu verkaufen. Verkehrsstadtrat Šteiner betont, auch die Bahnhöfe seien Sache des Staates:

„Diskutiert wird schon seit Jahrzehnten. Es liegt am Eigentümer des Bahnhofs zu entscheiden, was mit diesem bedeutenden Gebäude weiter passiert. Die Stadt Prag ist bereit, beide Varianten zu unterstützen: den Weiterbetrieb als Bahnhof oder seine Schließung und die Zusammenlegung mit dem Hauptbahnhof.“

Die letztere Variante, so heißt es - inoffiziell freilich - aus Kreisen der Tschechischen Bahnen, sei allerdings kaum denkbar, denn der Hauptbahnhof könne die zusätzlichen Züge gar nicht mehr aufnehmen. Bleibt zu hoffen, dass die unendliche Geschichte rund um den Masaryk-Bahnhof bald ein gütliches Ende nimmt. Möglichst noch bevor jemanden dort womöglich die Decke auf den Kopf fällt.