Von Bürgernähe keine Spur: Polit-Alltag in Brüssel

Justus Lipsius

Eigentlich machen wir uns an dieser Stelle ja so unsere Gedanken über Gelungenes und weniger Gelungenes im Alltag Tschechiens. Heute aber machen wir aus aktuellem Anlass eine Ausnahme: Vergangene Woche ging ja in Brüssel der EU-Ratsgipfel über die Bühne. Für Radio Prag dabei war Daniel Kortschak, der jede Menge Eindrücke aus der europäischen Hauptstadt mitgebracht hat, die er Ihnen nicht vorenthalten will:

Oft wird sie angeprangert, die mangelnde Bürgernähe der Europäischen Union. Politiker beeilen sich dann stets, das Gegenteil zu versichern und zählen die Errungenschaften der Union in dieser Hinsicht auf: Informationsbüros in allen Mitgliedsstaaten, Podiumsdiskussionen mit Parlamentariern und Mitgliedern der Kommission und so weiter. Doch wer sich in Brüssel im EU-Viertel bewegt, merkt schnell, dass an dem Vorwurf, Politiker, Beamte und Parlamentarier würden sich einbunkern und vor zu viel Öffentlichkeit geradezu fürchten, mehr als nur ein Körnchen Wahrheit dran ist: Endlose Reihen betongrauer Häuser, deren Funktion die blaue Flagge mit den zwölf Sternen verrät. Dazwischen eine nicht abreißende Blechschlange aus Limousinen und hin und wieder ein eiliger Passant im dunklen Anzug. Kein bisschen Grün, keine Sitzgelegenheit, kein Kaffeehaus oder Geschäft.

An Tagen der EU-Gipfel verwandelt sich das Viertel Rund um den Schuman-Kreisverkehr überhaupt zur verbotenen Zone: Bereits Tage zuvor bringt die belgische Polizei Stacheldrahtsperren in Position, mehrere Stunden vor dem Eintreffen der Spitzenpolitiker der EU-27 fahren Mannschaftsbusse und Panzerwagen auf, und für alle, die nicht zum elitären Zirkel gehören, gibt es kein Durchkommen mehr.

Ein Kapitel für sich ist das EU-Ratsgebäude namens „Justus Lipsius“: Der gewaltige braune Komplex ist ein Beispiel für den nicht eben zurückhaltenden Baustil der 1980er-Jahre. Hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt ist er eine Welt für sich: Vom Reisebüro über den Zeitungsladen, den Geldautomaten und mehrere Cafés gibt es hier alles. Alle Räume sind vollklimatisiert und schalldicht, kein einziges Fenster lässt sich öffnen. Ganz so, als wollte man nicht wahrnehmen, was draußen vor sich geht. So bleibt auch der lautstarke Protest Hunderter Milchbauern völlig unbemerkt von Politikern, Diplomaten, Beamten und Journalisten.

Ratsgebäude "Justus Lipsius"
Das Gebäude „Justus Lipsius“ ist nicht nur ein Symbol für die mangelnde Bürgernähe der EU, es ist auch ein Sinnbild dafür, wie Politiker manchmal nach dem Motto „Wasser predigen und Wein trinken“ handeln: Allen Appellen zum Klimaschutz zum Trotz erweist sich gerade das Brüsseler Ratsgebäude als wahrer Energiefresser. Auch riesige Müllberge werden Tag für Tag produziert: Der Kaffee im Buffet wird in Plastiktassen gereicht und Mineralwasser gibt es nur in Plastikflaschen, von denen viele noch dazu aus dem weit über tausend Kilometer entfernten Italien herangekarrt werden. Und während die belgische Bevölkerung zu Europas Musterschülern in Sachen Mülltrennung zählt, landet im EU-Hauptquartier aller Abfall unsortiert in großen schwarzen Müllsäcken.

Im Sinne des Klimaschutzes rufen Politiker nahezu ständig dazu auf, sparsamere Autos zu fahren und den Gebrauch des Pkw nach Möglichkeit einzuschränken. Doch an den glänzenden Wagenkolonnen der Politikerdelegationen mit ihren PS-starken Luxuskarossen scheinen diese Appelle spurlos vorüber zu gehen.