Freibier und Tränen – vor fünf Jahren trat Tschechien der EU bei

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2004 ist die Tschechische Republik zusammen mit weiteren neun Staaten der Europäischen Union beigetreten. Es war die erste Beitrittswelle von Ländern des ehemaligen Ostblocks. In Tschechien hatten sich zuvor zwei Drittel der Bürger in einem Referendum für den Beitritt ausgesprochen. Allerdings kursierte die Meinung, dass die Tschechen den Beitritt 2004 eher nüchtern gesehen haben und es sich mit der Euphorie eher in Grenzen hielt. Wie damals die Feiern verliefen, berichten drei Redakteure von Radio Prag.

Vladimír Špidla,  Gerhard Schröder und Leszek Miller  (Foto: ČTK)
Martina Schneibergová und Gerald Schubert sowie Daniel Kortschak, der damals noch nicht zum Radio-Prag-Team gehörte, haben den EU-Beitritt an verschiedenen Orten in Tschechien oder im Grenzgebiet miterlebt. Till Janzer sprach mit ihnen über ihre Erlebnisse am 1. Mai 2004.

Gerald, du warst bei der großen politischen Feier im Dreiländereck Tschechien, Deutschland, Polen. Dort trafen sich die damaligen Ministerpräsidenten der drei Länder, Miller, Špidla und Schröder. War dies vorrangig eine Zusammenkunft von Politikern oder sind sich denn auch die Menschen aus den genannten Staaten näher gekommen an diesem Tag?

G. Schubert: „Es war überhaupt nicht nur ein Treffen von Politikern, sondern ein großes Fest. Schon am Vorabend – am 30. April – war zu beiden Seiten der Neiße, die dort der Grenzfluss ist zwischen Polen auf der einen Seite und Deutschland und Tschechien auf der anderen Seite, ein großes Festgelände mit vielen Zelten, mit Musik und Imbissständen eingerichtet. Allerdings war auch der politische Zusammenhang nicht zu übersehen, überall hingen Fahnen und ein Gedenkstein wurde installiert. Auf dem Gedenkstein steht: ´Hier wächst Europa zusammen.´ Politische Ansprachen wurden gehalten und um Mitternacht wurde ein Feuerwerk in den Himmel geschossen. Am 1. Mai ging das Ganze weiter mit dem Auftritt der Ministerpräsidenten aus Tschechien, Polen und Deutschland. Es war also große Volksfestatmosphäre, das Schengener Abkommen ist dort für eine Nacht schon damals in Kraft getreten. In der Nacht vom 30. April auf 1. Mai wurde an den Grenzen nicht kontrolliert. Es gab zwei Stege über die Neiße, auf denen man ungehindert von einem Land ins nächste gehen konnte. Es war eine sehr gelöste, eigentlich sogar euphorische Stimmung - aber nicht nur Volksfest, sondern auch mit dem politischen Bewusstsein, dass hier Geschichte geschrieben wird.“

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Dem EU-Beitritt vorausgegangen sind ja teils sehr harte Verhandlungen über die Bedingungen, unter denen dies geschehen sollte. Auch das hat etwas die Stimmung gedrückt. Wie erwähnt galten und gelten die Tschechen eher als nüchterne EU-Mitglieder. War denn davon etwas zu spüren bei den Politikern oder hielten diese typische Festtagsreden?

G. Schubert: „Es waren schon typische Festtagsreden, aber die Euphorie wurde von dem Begriff ´Verantwortung´ begleitet. Der damalige tschechische Ministerpräsident, Vladimír Špidla, strengte einen Vergleich an. Er sagte in seiner Rede am Morgen des 1. Mai, dass jetzt der europäische Riese erwache und sich blinzelnd umblicke, aber sich dabei auch seiner Verantwortung bewusst werde. Es gab also nicht nur Euphorie nach dem definitiven Ende des Kalten Krieges, das schon 15 Jahre zuvor durch den Fall des Eisernen Vorhangs eingeleitet wurde, sondern Europa hat durch seine neu gewonnene Größe auch Verantwortung übernommen. Das waren die Begriffe, die damals benutzt wurden. Mit Skepsis hat das meiner Meinung nach jedoch nichts zu tun. Die historische Bedeutung brachte damals Gerhard Schröder gut auf den Punkt. Er sagte: ´Wer hätte das vor 60 Jahren gedacht, als hier der Zweite Weltkrieg noch tobte oder gerade zu Ende ging und sich die Völker anscheinend unversöhnlich gegenüber standen.´“

Martina, du warst ebenfalls dienstlich am 1. Mai 2004 unterwegs, allerdings nicht gerade im Mittelpunkt des Geschehens. Du warst in Nordmähren im Städtchen Bruntál. Auch dort fand auch eine Feier zum EU-Beitritt statt, und das in einer Gegend mit starker kommunistischer Wählerschicht. Hat sich das irgendwie auf die Stimmung ausgewirkt, kamen überhaupt Besucher zur Feier?

Uhlířský vrch
M. Schneibergová: „Die eigentliche Feier mit einem Volksfest fand Punkt Mitternacht statt, am Wallfahrtsort Uhlířský vrch. In dem Moment wurde die neue Beleuchtung der Kirche angeschaltet, die zuvor gefehlt hatte. Die dortigen Bewohner hatten im Vorfeld ein bisschen die Befürchtung, dass die dortigen Kommunisten provozieren könnten. Es kam zwar zu einem kleinen Zwischenfall, aber insgesamt sind dort einige Tausend Menschen zusammengekommen. Einige hatten Sekt, andere Slivovice mitgebracht, die Menschen haben sich gegenseitig zum EU-Beitritt gratuliert. Ich sprach mit einem alten Mann, der auch an der Installierung der Beleuchtung beteiligt war. Der alte Mann hat wirklich geweint und sagte, er habe sich nicht vorstellen können, dass die Kommunisten nicht mehr an der Macht sein werden und die Kirche nach so vielen Jahren wieder beleuchtet wird.“

Daniel, du warst vor fünf Jahren noch nicht bei Radio Prag. Zur Feier der EU-Osterweiterung bist du aber sowohl in der Slowakei, als auch nach Tschechien gefahren. War das rein private Neugier?

Mikulov
D. Kortschak: „Es war rein private Neugier. Wir sind eigentlich sehr spontan am Vormittag des 1. Mai von Wien aus aufgebrochen. Wir sind in Richtung Norden gefahren, entlang der March, die dort die Grenze zur Slowakei bildet. Und in Angern an der March gibt es seit einigen Jahren eine kleine Fähre, die gab es auch damals schon. Um diese Fähre zu entlasten hat die Feuerwehr des Bezirks aber ganz spontan mit einigen Booten eine sehr behelfsmäßige und wackelige Brücke über die March geschlagen. Man konnte dann hinübermarschieren nach Záhorská Ves, in das slowakische Nachbardorf von Angern. Und kontrolliert wurde auch nicht. Es stand nur eine einzige österreichische – damals noch – Gendarmeriebeamtin mit einem Stempel in der Hand. Sie hat auch Erinnerungsstempel gedruckt auf Wunsch, und so ein Stempel ziert bis heute meinen Reisepass.“

Am Abend warst du dann in Tschechien – und dort scheint die Stimmung ja sehr gelöst gewesen zu sein mit Freibier, obwohl ja auf politischer Ebene Österreicher und Tschechen sich nicht immer gut vertragen?

D. Kortschak: „Wir sind dann über Hohenau weitergefahren, das liegt im tschechisch-österreichisch-slowakischen Grenzgebiet. Dort gab es eine offizielle Feier mit dem Landeshauptmann aus Österreich und dem Kreishauptmann aus Tschechien sowie einem großen Festzelt. Die Feier ging aber gerade zu Ende, deswegen haben wir unsere Fahrt in Richtung Břeclav fortgesetzt und landeten dann in Mikulov. Dort fand keine offizielle Feier statt, aber auf österreichischer Seite hatte jemand auf die Straße geschrieben: ´Herzlich willkommen in der EU, Tschechien´. Das war schon sehr rührend, dies zu sehen, wenn man bedenkt, wie es vor 15 oder 20 Jahren dort ausgesehen hat. Auf tschechischer Seite sind wir dann in ein Gasthaus gegangen und der Wirt schenkte einfach für die Österreicher, die herübergekommen waren, Freibier aus. Es wurde ein Tisch rausgestellt und gesagt, heute sei das Bier gratis. Das war eher unspektakulär, aber einfach eine nette Geste.“