Stadt des Stillstands

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„Grüne Stadt des Porzellans“, so lautet der Spruch, der das Stadtwappen am Ortseingang von Nová Role / Neurohlau ziert. Derzeit ist der Ort bei Karlsbad jedoch mehr eine Stadt des Stillstands. Denn der größte Arbeitgeber, die Karlsbader Porzellan AG, hat den Betrieb im März eingestellt. Der größte tschechische Porzellanhersteller war im Dezember in Konkurs gegangen. Demnächst wird Nová Role seinem Wappenspruch aber wieder näher kommen. Die Gläubigerversammlung hat dem Verkauf der Unternehmensgruppe an die Hengis AG zugestimmt. Der neue Besitzer will schon im Mai die Produktion wieder aufnehmen. Wie immer das unternehmerische Wagnis enden wird, eines steht fest: Wie früher wird es in Nová Role nicht mehr werden.

Verwaltungsgebäude der Porzellanfabrik
Tiefrosa überstrahlen die Mauern des Verwaltungszentrums das Gelände der Porzellanfabrik von Nová Role, das wie leergefegt wirkt. Dieses kräftige, fast glühende Rosa ist die Kennfarbe der Handelsmarke „Thun“. Der Name Thun ist mit dem Porzellan aus der Karlsbader Region schon seit 1792 verbunden. Auch die 1993 gegründete Karlsbader Porzellan AG vertreibt ihre Erzeugnisse unter der renommierten Marke. Rosarot strahlt jedoch derzeit in Nová Role nur die Fassade der Fabrik, für die Mitarbeiter sind die Zeiten alles andere als rosig. 1100 der 1800 Beschäftigten ist zum 31. März gekündigt worden. Gibt es denn keine andere Arbeit vor Ort?

„Nein, die gibt es hier nicht. Es gibt überhaupt nirgends hier eine freie Stelle. Man könnte nach Karlsbad pendeln. Dort sind Geschäfte und große Supermärkte. Da könnte man als Verkäuferin unterkommen. Aber wer kleine Kinder daheim hat wie ich, bei dem geht das nicht. Die Frauen haben überhaupt keine anderen Möglichkeiten. Es gibt hier für sie keine Arbeit",

Handelsmarke Thun
erzählt eine Einwohnerin. 400 bis 450 der gekündigten Mitarbeiter könnten in den nächsten Wochen jedoch an ihre Arbeitsplätze zurückkehren, schätzt Michal Bíman. Er ist der neue Chef der Porzellanfabrik von Nová Role. Seine Firma Hengis AG hat das Porzellanimperium im März vom Konkursverwalter gekauft.

„Wir gehen davon aus, dass die Produktion in den ersten Monaten erst nach und nach anläuft. Ganz ausgelastet werden wir nicht gleich sein. Ich rechne damit, dass wir bis zum Jahresende 2009 auf 70 bis 80 Prozent der vorherigen Kapazität kommen könnten“, so Michal Bíman.

Im Dezember 2008 war die Karlsbader Porzellan AG endgültig in den Konkurs geschlittert, nachdem sie mehrere Jahre lang einen stetigen Niedergang erlebt hatte. Bei der Privatisierung im Jahr 1993 hatte die Unternehmensgruppe noch 14 Werke und 3000 Mitarbeiter in Karlsbad und Umgebung vereinigt. Zuletzt waren davon nur noch sechs Standorte mit 1800 Mitarbeitern übrig gewesen. Wie konnte es soweit kommen, dass es mit einer Branche, die Jahrhunderte lang der Stolz der tschechischen Industrie gewesen war, dermaßen bergab ging?

„Ich glaube, es lag am Management. Sie haben den Betrieb schlecht organisiert und es nicht geschafft, genug zu verkaufen. Die Lager sind gestopft voll. Wenn sie mehr Waren zu niedrigeren Preisen verkauft hätten, würde es jetzt vielleicht hier anders aussehen",

vermutet eine ehemalige Mitarbeiterin der Fabrik. An der Qualität der Ware könne der schleppende Absatz nicht liegen, davon ist man in Nová Role fest überzeugt. Eine Rentnerin erzählt, sie habe früher in der Porzellanmalerei gearbeitet, im Stahldruck. Diese Technik werde jetzt leider nicht mehr praktiziert, sie sei zu kostspielig, ebenso die Gravuren. Diese und andere Arten der Dekoration haben die Porzellanarbeiter in der Fachschule für Keramik im nahen Rybáře gelernt. Gut ausgebildet sind sie, doch Hochwertigkeit allein reicht heute nicht mehr aus, um auf dem globalisierten Markt erfolgreich zu sein. Michal Bíman muss die richtige Strategie erst ausloten:

„Wir möchten erreichen, dass die Handelsmarke ‚Thun’ auch in Zukunft ihren Wert behält, und zwar sowohl auf dem tschechischen als auch auf dem mitteleuropäischen Markt. Wir zielen hauptsächlich auf das obere Marktsegment. Uns auf einen Preiskrieg mit billiger Massenware einzulassen, das entspricht nicht unserer Strategie.“

Die Produktion soll auf mehreren Linien fahren. Nicht nur exklusive Kleinserien, auch weißes, spülmaschinenfestes Hotelporzellan will Bíman herstellen. Und zusätzlich zu Russland, wohin in den letzten Jahren ein Großteil der Produktion verschickt worden ist, hofft Bíman mit der Zeit weitere Absatzgebiete zu erschließen. Stärker konzentrieren will er sich nicht zuletzt auch auf den heimischen Markt.

Vier der sechs Standorte des abbröckelnden Karlsbader Porzellanimperiums hat die Hengis AG im März übernommen. Neben dem Werk in Nová Role sind es die Betriebe in Klášterec, Lesov und dem Karlsbader Vorort Stará Role. Die Hengis AG ist mit einem Grundkapital von nur zwei Millionen Kronen, also rund 72 000 Euro, im tschechischen Handelsregister eingetragen. Die Karlsbader Firmengruppe hat jedoch einen Wert von Zigmillionen Euro. Hengis ist mit der in Prag ansässigen Aktiengesellschaft AP Trust verwoben. Wie diese Verflechtung genau aussieht, erfährt man von Michal Bíman allerdings nicht:

„Im Augenblick wollen wir uns zur Verflechtung unseres Vermögens mit dem des AP Trust nicht näher äußern. Was unser Potential betrifft, so haben wir schon mehrmals gesagt, dass wir uns bemühen, einen strategischen Partner zu finden. Darum geht es meines Erachtens jetzt. Bis es soweit ist, wollen wir die Fabriken in einen Zustand bringen, der sie für einen Partner attraktiv macht.“

Die Firma Hengis sei eine Zweckgründung für den Kauf der Karlsbader Porzellan AG gewesen, erklärte der Aufsichtsratsvorsitzende des kapitalkräftigeren AP Trust, Miroslav Kříž, laut einem Bericht der Tageszeitung „Plzeňský deník“. Kříž ist zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der Hengis AG und steht außerdem noch einem Pilsner Fußballklub vor. Im Vorstand von Hengis werde es zu Veränderungen kommen, kündigte Kříž an. Einen späteren Weiterverkauf der Karlsbader Porzellanfabriken schloss er in dem Zeitungsbericht nicht aus. Beide Gesellschaften, der AP Trust und die Hengis AG, haben sich bislang auf dem Immobilienmarkt betätigt, sind also branchenfremd.

Die Menschen in Nová Role kümmern die langfristigen Strategien der neuen Fabrikbesitzer wenig. Für sie ist entscheidend, was in den nächsten Wochen und Monaten geschieht. Seit die Karlsbader Porzellan AG im Dezember in Konkurs gegangen ist, sind die Mitarbeiter nicht mehr ausbezahlt worden.

„Vier Monate haben wir jetzt schon keinen Lohn mehr bekommen. Das ist wirklich schlimm. Man muss sich Geld leihen, um über die Runden zu kommen, Kredite aufnehmen.“

Dennoch wären die meisten froh, wenn sie nun wieder an ihre Arbeitsplätze zurückkehren könnten.

„Ich bin zuversichtlich, dass die Fabrik wieder in Gang kommt. Im Mai soll der Betrieb erneut anlaufen. Derzeit beziehe ich Arbeitslosenunterstützung, wie die meisten anderen auch. Ab Mai soll wieder produziert werden, und 50 bis 60 Prozent der Beschäftigten sollen wieder an ihre Arbeitsplätze zurückgerufen werden. Ich rechne damit, dass auch ich darunter bin. Ich wäre sehr froh, und nicht nur ich, auch alle andern.“

Auch Firmenchef Michal Bíman ist mittlerweile von den Emotionen angesteckt, die in Nová Role in der Luft liegen.

„Ganz erwehren kann ich mich der Gefühle nicht. Wir haben es hier mit hochwertiger Ware zu tun und es liegt uns viel daran, dass es gelingt, den totalen Absturz, der die Porzellanfabrik in den letzten Monaten erfasst hat, zu stoppen.“

In Nová Role lassen die Geschicke der Fabrik niemanden kalt. Über einen Horizont von fünf bis zehn Jahren hinauszuplanen, das wagt derzeit niemand, selbst die neue Unternehmensleitung nicht.

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