Der tschechische Knoten – Lissabon und der Ruf nach EU-Erweiterung
Am vergangenen Wochenende war Tschechien wieder einmal der Nabel der Welt. Der Außenminister und derzeitige EU-Ratspräsident Karel Schwarzenberg hatte seine 26 europäischen Amtskollegen auf das Schloss Hluboká an der Moldau eingeladen. Sprechen wollte man über das weitere Vorgehen in Afghanistan, im palästinensisch-israelischen Konflikt und in der Östlichen Partnerschaft. Einen großen Schatten auf die Verhandlungen warf allerdings die tschechische Regierungskrise.
„Um uns abzulösen, wäre es notwendig, eine Mehrheit im Parlament zu finden. Wenn die da ist, dann werden wir abgelöst, wenn die nicht da ist, werden wir nicht abgelöst.“
Und die Position der tschechischen Ratspräsidentschaft - ist sie in dieser Situation geschwächt? Ist das bei den Verhandlungen auf Schloss Hluboká schon zu spüren?„Nein, hier bei den Verhandlungen überhaupt nicht. Im Gegenteil. Ich spüre eigentlich ein besonderes Entgegenkommen und eigentlich ein Bemühen, uns zur Seite zu stehen und zu helfen. Wie ich schon gesagt habe: Die europäische Solidarität hat sich hier in Praxis bewährt.“
Diese europäische Solidarität gegenüber der tschechischen Regierung schimmerte in vielen Stellungnahmen der Außenpolitiker vor der Presse durch. Zum Beispiel beim deutschen Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier:
„Das ist natürlich ein informelles Außenminister-Treffen, das unter besonderen Voraussetzungen zustande kam, nach dem Misstrauensvotum in dieser Woche. Ich bin dem tschechischen Kollegen und Außenminister Schwarzenberg dankbar, dass er sich nicht hat irritieren lassen, sondern mit dem notwendigen Engagement auch die Vorbereitungen für diese Zusammenkunft getroffen hat.“Aber es geht dabei doch nicht nur um eine innerpolitische Angelegenheit Tschechiens und das Mitgefühl der europäischen Kollegen für den tschechischen Noch-Außenminister Schwarzenberg. Die tschechische Regierungskrise ist auch ein handfestes europäisches Problem. Und das wurde auf dem EU-Außenminister-Treffen in Südböhmen auch erläutert. Das Problem heißt: Lissabon. Die Länder, in denen der EU-Reformvertrag abgelehnt bzw. noch nicht ratifiziert wurde, sind Irland und Tschechien. Am Stolperstein Irland feilt die Europäische Union beflissen und will ein zweites Referendum. Das Misstrauensvotum gegen die tschechische Regierung aber bringt - gerade was den Lissabon-Vertrag betrifft - Unsicherheit auf der europäischen Agenda. Der luxemburgische Vizepremier und Außenminister Jean Asselborn am Samstag:
„In Irland sieht das in der Substanz sehr gut aus. Durch die Krise – leider – ist Europa populärer geworden. Aber wenn jetzt hier in Prag wieder dieser Rückschlag kommt und es wird zu viel gezögert, dann kann das Folgen haben und wir machen schließlich damit weiter, uns selbst ein Bein zu stellen.“Was wird also aus dem Lissabon-Vertrag?
„Zurzeit wissen wir, dass die Antwort hierauf nicht klar ist. Es liegt vieles in der Hand von Präsident Klaus. Und ich hoffe, dass er – der ja weiß, was es heißt, ohne Europa zu leben – dass er auch weiß, was Europa bedeutet, was die Europäische Union bedeutet und diese Kultur bedeutet.“
Die Großen in der EU, Großbritannien, Frankreich und Deutschland, haben in der vergangenen Woche die Erweiterungshoffnungen für die EU gebremst. Erst Lissabon, dann eine Fortsetzung der Erweiterung, so das Junktim aus dem „alten Europa“. Im Wahlprogramm der CDU für die bevorstehenden Europawahlen taucht zum Beispiel in der Erweiterungsperspektive von den Balkanländern nur noch Kroatien auf. Und hier beginnt das tschechische Paradoxon. Die Prager Regierung hat sich seit langem für eine schnellstmögliche Aufnahme der westlichen Balkanländer ausgesprochen, blockiert aber selbst den Lissabon-Vertrag, der von den meisten EU-Ländern als Grundlage für die kommende Erweiterung angesehen wird.
„Da – auf dem westlichen Balkan - darf kein schwarzer Fleck bleiben, der nicht in der EU ist“, hatte Außenminister Schwarzenberg am Samstag noch einmal betont. Bundesaußenminister Steinmeier war am Freitag in dieser Frage vorsichtig und appellierte noch einmal an die Tschechische Republik:„Wir sollten jetzt nicht zu schwarz malen. Aber natürlich darf man auch nicht naiv sein und den Menschen etwas vormachen. Das, was durch das Misstrauensvotum hier in der Tschechischen Republik stattgefunden hat, macht die Ratifizierung des Lissabon-Vertrages nicht einfacher. Im Gegenteil, die Sorgen sind gewachsen, dass hier in kurzer Zeit kein Ratifizierungsbeschluss im tschechischen Senat zustande kommt. Aber ich rate uns dringend, dass wir uns jetzt nicht in negativen Spekulationen ergießen, sondern das tun, was in einer solchen Situation getan werden muss: nämlich mit unseren Möglichkeiten auf den Senat, auf die Senatsmitglieder zuzugehen und Überzeugungsarbeit zu leisten. Ich denke, die Tschechische Republik hat – wie alle anderen – ein objektives Interesse daran, dass der Lissabon-Vertrag in Kraft tritt.“
Der tschechische Chefdiplomat Schwarzenberg wies darauf hin, dass die große Erweiterung von 2004, bei der auch Tschechien aufgenommen wurde, ja schließlich auch ohne Lissabon-Vertrag funktioniert habe. Er zeigte aber Verständnis für die Zurückhaltung der Großen in der Erweiterungsfrage.
„Ja, die verstehe ich absolut! Aber persönlich denke ich, dass hier zwei Dinge zusammengetan wurden, die eigentlich nicht so viel miteinander zu tun haben. Wir haben uns erfolgreich unter dem Vertrag von Nizza erweitert. Das wäre sicherlich möglich. Aber ich respektiere natürlich – und das möchte ich betonen – die Ansicht anderer Mitgliedstaaten, in dem Falle Deutschlands, Frankreichs und anderer, welche die Bedingung stellen, dass zunächst einmal der Lissabonner Vertrag in Kraft treten muss und dass infolge dessen sozusagen das Regieren der Europäischen Union einfacher sein wird und die Institutionen gestärkt werden. Ich verstehe diesen Standpunkt und respektiere und akzeptiere ihn.“Karel Schwarzenberg weiß, dass nun eine große Verantwortung auf Irland und der Tschechischen Republik lastet. Den Iren will er aber nicht hineinquatschen; Prag habe mit sich selbst genug zu tun:
„Wir sollten ihnen nicht hineinquatschen. Ich bin überzeugt, die Iren wissen selber, was das Beste für sie ist. Aber ich weiß: Für unser Land wäre es das Beste, wenn wir so schnell wie möglich auch die Ratifizierung im Senat durchzögen und der Präsident den Vertrag unterzeichnen würde.“
Tschechien will den Iren also nicht hineinreden. Aber die anderen europäischen Partner sollen auch den Tschechen nicht hineinquatschen, oder, Herr Schwarzenberg?
„Das ist auch richtig. Das tut nie gut, weil bekanntermaßen ein guter Rat die einzige Sache ist, wo der christliche Spruch ´Geben ist seliger denn nehmen´ stimmt: Jeder gibt gerne einen guten Rat, niemand hört ihn gerne.“